Emanuela - Alle Lüste dieser Welt

Emanuela – Alle Lüste dieser Welt

Von Guy Montag

Im Grunde ist den geneigten Zuschauenden die Masche ja schon längst geläufig: eine vordergründig promiskuitive Reporterin – „Uns Emanuelle“ – verarztet die souverän abgeradelte Baedeker-Tour an Postkartenmotiven, trifft dabei auf allerlei schmuddeligen Schangel aus den exotischsten Winkeln der Erde, gibt den bösen Buben ordentlich Zunder – und nach anderthalb Stunden ist man gefühlt genauso weit wie zu Beginn. Doch wenn der nächste Flieger startet, checkt man als versierter Bahnhofskinobesuchender sicher wieder ein. Sie fliegen durch die Lüfte, Vögeln gleich.

So oder ähnlich könnte man EMANUELA – ALLE LÜSTE DIESER WELT fix zusammenfassen, der sogar direkt an seinen Vorgängerfilm BLACK EMANUELLE – STUNDEN WILDER LUST (1976) anschließt – diese Art von Fortsetzung ist im Genrefilm jener Jahre im Übrigen eher die Ausnahme denn die Regel. Doch der Film springt mit einer deftigen Sexszene gleich mitten hinein ins volle Menschenleben, Regisseur Joe D’Amato weiß, was sich gehört. Mit sonnig-fluffigen Vokalschmeichlern, untermalt von einlullender Nico Fidenco-Musik verbindet der Streifen erneut Reiselust mit Fleischeslust, vollzieht Ortswechsel in atemberaubender Geschwindigkeit, nutzt das architektonisch Upper class versprühende PAN AM-Building als Hintergrundbebilderung und Product-Placement, vor der sich unsere mit investigatorischem Brimborium aufgetakelte Sensationsjournalistin Emanuelle auf die Jagd nach gierig-geifernden Mädchenhändlern macht.

Dass die sozialkritischen Einsprengsel auf einer Briefmarke Platz haben und die zusammengesuchten Klischees exotischer Sitten von Land und Leuten mitunter tiefste postkoloniale Vorurteile bedienen, störte damals weder die Regenmantelfraktion der Kinozuschauer, noch sollte es den heute in jeder Hinsicht aufgeklärten Filmfreund jeden Geschlechts abschrecken. Für Laura Gemser fühlte sich ohnehin alles wie „ein einziger großer Film“ an, wie sie Jahrzehnte später – angesprochen auf ihre nicht wenigen, scheins direkt aufeinander folgenden Kinostreifen in diesen Jahren – freimütig bekunden musste. Auch Ivan Rassimov, der sich dank seiner charismatischen Gesichtszüge oft für sinistere Charaktere im Italo-Kino empfahl, war sich für kleine cineastische Ferkeleien wie diesen Reise-Rammel-Film nicht zu schade – denn was ein Umberto Orsini kann, das kann ein Rassimov allemal. Die deutsche Synchronfassung konfrontiert das Publikum indes mit jener zeittypisch nicht unüblichen, in sich herrlich verqueren Mischung aus Hochkultur und Bahnhofsviertel – Gosse meets Goethe, Schiller trifft Schnodder.

Nachdem im Vorgängerfilm zwar kein Eli, dafür umso mehr ein Wallach für eine erinnerungswürdige und im Kanon der abseitigen Genrefilmgeschichte durchaus diskussionswürdige Szene gesorgt hatte, hielt D’Amato auch für EMANUELA – ALLE LÜSTE DIESER WELT seine ganz eigene Episode aus „Brehms Tierleben“ parat – diesmal durfte sich der oft als solcher berufene, beste Freund des Menschen stramm ins Zeug legen und verdeutlichen, dass es nicht immer einer Büchse Chappi bedarf, um als „ganzer Kerl“ zu gelten.

Das in vier verschiedenen Covervarianten veröffentlichte Mediabook – welches als Kombo-Release neben zwei Blu-rays auch eine DVD mit der deutschen Schnittfassung enthält – sollte nicht nur auf jeder Flugreise Platz im Handgepäck finden, sondern auch jedem daheimeligen Filmeschrank zu sündiger Ehre gereichen. Der Breitwandfilm kann in diesem Transfer auf allen Gebieten überzeugen und wird neben der deutschen Synchronisation sowohl vom englischen Dub als auch der italienischen „Originalfassung“ begleitet. Wie schon bei den vorherigen Releases der Reihe informiert ein Audiokommentar von Lars Dreyer-Winkelmann sehr patent und kenntnisreich über den Streifen und erweist sich als gerne gehörtes Extra. Großen Nährwert hat außerdem die fast achtzigminütige Featurette „Joe D’Amato Totally uncut: The Horror Experience“, in der neben dem titelgebenden Meister selbst auch seine jahrelangen Weggefährten und Multitalente George Eastman (Luigi Montefiori) und Michele Soavi sowie auch die Schauspielerinnen Mary Kristal (Maria Rosaria Riuzzi), Annamaria Clementi und Cinzia Monreale beredt Auskunft geben. Weiterhin setzen sich der Schauspieler Al Cliver (Pierluigi Conti) sowie die Regisseurskollegen Claudio Lattanzi und Fabrizio Laurenti vor die Kamera und zeugen von den damals ausklingenden großen Jahren des italienischen Genrekinos und beleuchten insbesondere D’Amatos Karriere von seinen Gothic-Anfängen über Sex bis hin zu Gore und Porno.

Filmspezifischer ist die ebenfalls enthaltene Featurette “All the Emanuelle’s Men“, die von Koch Media für ihren Cut-Release produziert wurde und mit George Eastman und Gianni Macchia auf die Dreharbeiten zu EMANUELA – ALLE LÜSTE DIESER WELT eingeht. Neben dem deutschen und englischen Kinotrailer ist für die absoluten Nostalgiker die deutsche Super-8-Fassung enthalten, die den Film – auf eine schlappe Dreiviertelstunde runtergeschnitten – in einer Weise präsentiert, wie es uns heute in Zeiten von großen Diagonalen und High Definition fast unwirklich erscheinen lässt; fehlt nur noch das Rattern des Projektors, auf den man einst die Spulen aufziehen musste. Umfangreiche Bildergalerien runden das Vergnügen ab. Außerdem kredenzt das Mediabook auch noch ein vierzigseitiges Booklet von Martin Beine (tenebrarum) und Christian Keßler, der die ins Kraut schießenden Genregrundlagen wie gewohnt humorvoll und wirkungsvoll aufdröselt, dabei seine persönliche Begegnung mit D’Amato ebenso Revue passieren lässt wie die aus heutiger Sicht reichliche Infantilität der mitunter rassistisch motivierten Filmsujets der BLACK EMANUELLE-Reihe. Mittlerweile ist im Übrigen auch eine preisgünstige Amaray-Variante erschienen, bei der man allerdings naturgemäß des Booklets entbehren muss.

Mit großer Wahrscheinlichkeit werden Filme wie EMANUELA – ALLE LÜSTE DIESER WELT niemals mehr in dieser Form gemacht werden – ob das nun als positives Faktum zu werten ist oder mitunter gar zu Klage Anlass gibt, mag jeder für sich selbst entscheiden. Doch die veröffentlichungstechnische Konservierung erlaubt es uns, ganz entspannt und mit mittlerweile wohl etwas nostalgisch geprägtem Silberblick auf solche Filme zu schauen. Der Hochglanz ist einer gewissen Patina gewichen, die Reisen in aller Herren und Damen Länder kann man vor dem eigenen Fernseher verhältnismäßig emissionsarm nachholen. Denn mit Black Emanuelle stehen einem alle Türen offen – Guten Flug!

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Emanuelle – Perché violenza alle donne? | Italien 1977 | Regie: Joe D’Amato | DarstellerInnen: Laura Gemser, Ivan Rassimov, Karin Schubert, George Eastman, Marino Masè, Gianni Macchia u.a.

Anbieter: Excessive Pictures