Das Rätsel der unheimlichen Maske / Haus des Grauens
Von Guy Montag
Wer der Meinung ist, die legendäre Filmschmiede Hammer habe sich nur in Ihrer Endphase, etwa mit CAPTAIN CRONOS (1974), vom Horrorpfad gelöst, der irrt. Im Gegenteil, zu Beginn ihrer ‚goldenen Jahre‘ kam aus den Bray-Studios ein bunter Fächer an Streifen, die die unterschiedlichsten Filmgenres bedienten. Man hatte zwar mit DRACULA (1958) nicht weniger als den Horror per se perfektioniert, doch dem Genrecrossover stand man aufgeschlossen gegenüber. Mit DAS RÄTSEL DER UNHEIMNLICHEN MASKE nahm man sich Gaston Leroux‘ legendärem Roman „Das Phantom der Oper“ an, dessen mittlerweile fünfte Verfilmung es wurde. Zwar baute man die Handlung um und verlegte die Handlung von Paris nach London, doch im Grunde lieferte Drehbuchautor John Elder – in Wirklichkeit verbarg sich hinter diesem Pseudonym der ausführende Produzent Anthony Hinds, der sich mit schöpferischen Ambitionen trug – eine mehr als respektable Bearbeitung des klassischen Stoffes um das Phantom, dass in den Katakomben eines Opernhauses sein Unwesen treibt. Doch Hammer wäre nicht Hammer, hätte man die Mär um einen der größten Gruselklassiker aller Zeiten, nicht mit dem üblichen Mix aus kunstfertiger Machart und britischem Charme aufgepeppt – der markante Score von Edwin Astley sorgte für zusätzliche Atmosphäre.
Noch dazu bot der Film ein prachtvolles Darstellerensemble, das vor allem Herbert Lom breite Entfaltungsmöglichkeiten in seiner Doppelrolle einräumte. Er ließ verschmerzen, dass der ursprünglich vorgesehene Cary Grant – da dieser Interesse an der Mitwirkung in einem Hammer-Film bekundet hatte, schrieb man ihm die Rolle auf den Leib – schlussendlich doch absagte. Mit Heather Sears hatte man zudem eine preisgekrönte Schauspielerin im Gepäck, die in einem ihrer raren Filmauftritte zu sehen war. Ganz im Gegensatz dazu sollten es sowohl Michael Gough als auch Thorley Walters noch zu umfangreichen Filmographien bringen. Bedauerlicherweise schmähte das Publikum den Film, Hammer behagten die Einspielergebnisse nicht. Terence Fisher wurde der ‚schwarze Peter‘ zugeschoben und er fiel in Ungnade; erst 1964 bekam er bei Die brennenden Augen von Schloss Bartimore wieder Gelegenheit, einem Film der Produktionsfirma seinen charakteristischen Stempel aufzudrücken.
Die exzellente Kameraarbeit bei DAS RÄTSEL DER UNHEIMNLICHEN MASKE oblag Arthur Grant, der auch der ‚missing link‘ zu HAUS DES GRAUENS ist; einem Paradebeispiel für ein anderes Genre, das Hammer in diesen Jahren fleißig beackerte: der britische Psychothriller mit Hitchcock’schen Wurzeln. Hatte der ‚master of suspense‘ mit seinem kleinen, dreckigen Thriller um den bemitleidenswerten Norman Bates den Horror im Kino revolutioniert, so sah sich Drehbuchautor Jimmy Sangster dadurch endlich in der Lage gegen sein Horrorimage anzuschreiben. Filme wie DER SCHNORCHEL (1959) oder EIN TOTER SPIELT KLAVIER (1961) bildeten Figurenkonstellationen mit doppelten Böden ab, versetzten die Handlung ins damalige „Hier und Jetzt“ und garnierten stets mit bester Schaueratmosphäre und sanftem Thrill.
HAUS DES GRAUENS ist sicher der spannendste und unterhaltsamste Eintrag dieser Filmreihe, da hier mit Freddie Francis ein Regisseur am Ruder war, der ein Auge für delirierende Bildgestaltung und faszinierende Fahrten hatte. Die psychologisch ausgefeilte Familiengeschichte, die mehr als einmal Hacken schlägt und den Zuschauer gekonnt an der Nase herumführt, hatte nicht nur Vertrauen zu sich selbst – man ließ die großen Stars weg und vertraute auf junge Gesichter aus der zweiten Reihe – sondern zeigte auch, zu welchen kleinen Meisterwerken das britische Genrekino in dieser Zeit fähig war. Dass Oliver Reed bereits in jungen Jahren zeigen konnte, welche ekstatischen Fähigkeiten in ihm schlummerten und Janette Scott als Scream Queen hochansprechendes Schauspiel liefert, spricht ebenso für die Qualität des Studios wie die Musik von Elisabeth Lutyen, deren großorchestrale Zwölftonpartitur ihr den Titel ‚Königin des Horrors‘ eintrug.
Dank wunderbarer Dekors, faszinierender Lichtsetzung und der bravurös geführten Inszenierung gestaltete sich HAUS DES GRAUENS zum kleinen Klassiker der Firma und zeigte, dass Sangster mehr als nur filigraner Adaptierer, sondern sehr eigenständig ausbauender Freigeist und Top-Autor war. Natürlich wollte Hammer Films am Hitchcock-Hype partizipieren, aber nicht als simple Kopie – vielmehr gelang es Ihnen, Ideen in den sehr eigenen, britischen Stilmix zu transportieren und schufen somit etwas, das auch heute nichts von seiner Virilität verloren hat. Dass Freddie Francis später DER SATAN MIT DEN LANGEN WIMPERN (1962) inszenieren durfte, lag wohl auf der Hand.
Beide Filme erscheinen im Rahmen der Hammer Edition bei Anolis, die uns schon so manche Perlen offeriert hat. Jeweils im sauberen Mono-Ton – sowohl in der englischen Originalfassung als auch der zeitgenössischen, deutschen Synchronisation – verfügen die Blu-rays über exzellente Bildmaster, die vergessen lassen, dass die Filme mittlerweile ein stolzes Alter haben. Bei DAS RÄTSEL DER UNHEIMNLICHEN MASKE werden als Extras ein Audiokommentar mit Dr. Rolf Giesen und Uwe Sommerlad sowie ein Making Of des Filmes kredenzt. Die historische, deutsche Titelsequenz ist ebenso an Bord wie der englische Kinotrailer, verschiedene Werberatschläge sowie Bildergalerien.
Als Extras zu HAUS DES GRAUENS gibt es einen Audiokommentar mit Dr. Rolf Giesen und Volker Kronz sowie die Featurette „The Making of Hammer’s Paranoiac“. Der amerikanische Kinotrailer entführt uns ebenso in die Zeit damaliger Kinoannoncen wie Werberatschläge und Filmprogramme. Eine Bildergalerie rundet diesen Teil ab; exklusiv nur im Mediabook enthalten ist außerdem ein vierundzwanzigseitiges Booklet, das von Dr. Rolf Giesen und Uwe Sommerlad geschrieben wurde.
Man kann den kleinen Filmen, die es im Fahrwasser der großen Erfolge um Frankenstein & Co. auch bei Hammer Films gab, gar nicht genug für ihre Existenz danken. Denn sie zeigen uns heute welche Früchte eine funktionierende Filmproduktion tragen kann, welche kleinen Zauberwerke sich im Genrefilm entfalten können, um wieviel ärmer die Filmgeschichte wäre ohne Michael Carreras und sein ‚Familie’ in den Bray-Studios. Wer vielleicht mit dem Gedanken spielt, diese Filme in der Sammlung auszulassen, sollte es sich schleunigst noch mal überlegen: er könnte etwas verpassen, was man unbedingt gesehen haben sollte.
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The Phantom of the Opera, GB 1962 | Regie: Terence Fisher | Darsteller: Herbert Lom, Heather Sears, Michael Gough, Edward de Souza, Thorley Walters, Patrick Troughton u.a.
Paranoiac, GB 1962 | Regie: Freddie Francis | Darsteller: Janette Scott, Oliver Reed, Sheila Burrell, Maurice Denham, John Bonney, Alexander Davion u.a.
Anbieter: Anolis Entertainment
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