Let them hear cake. Der Marie Antoinette Soundtrack

Let them hear cake. Der Marie Antoinette Soundtrack

Von Michael Kathe

Sofia Coppolas MARIE ANTOINETTE ist ein kleines (oder großes) Meisterwerk im Umgang mit Musik. Für den historischen Film über die österreichische Erzherzogin Maria Antonia von Österreich, die französische Königin an der Seite Ludwigs XVI. wurde, ließ Coppola nämlich weder Musik extra komponieren, noch wählte die Regisseurin (mit wenig Ausnahmen) klassische Musik aus der Zeit. Sondern sie überrascht mit Popmusik des 20. Jahrhunderts – und mit einer überraschenden Auswahl. Sie verwendet nämlich vorwiegend Postpunk-Musik aus den Jahren 1978 – 1982, und in gewissen „traumhafteren“ Filmabschnitten Ambienttracks von Meistern wie Aphex Twin, Squarepusher, die mit den Postpunk-Popstücken den Geist teilen, insbesondere die schnellen Beats. Im Zentrum aber steht der Postpunk.

Coppola betreibt also in ihrer Musikauswahl keinen Eklektizismus wie Tarantino, sondern fokussiert vor allem auf einen Stil mit ganz konkreten Inhalten. Das beginnt bereits im Vorspann mit dem Song „Natural’s not in it“ der britischen Band Gang of Four aus dem Jahr 1979: Die Postpunk-Band benannte sich nach der chinesischen Viererbande und war bekannt für ihre harten Stakkatogitarren und ihre marxistische Haltung. Für viele immer noch eine der besten Rockbands überhaupt. Marxismus und Monarchie? Coppola macht von Anfang an klar, dass Musik in MARIE ANTOINETTE einen Kontrapunkt bildet zur Story, bzw. dass die Musik sich antithetisch zu den Bildern verhalten soll. Jedenfalls stellt der Refrain von „Natural’s not in it“ das kommende leichte, geradezu dahingeträumte und sinnentleerte Leben von Marie Antoinette (Kirsten Dunst) in einen kritischen Kontext: „The problem with leisure / what to do for pleasure.“ Der Titel des Songs, „Natural’s not in it“, weist darauf hin, dass am Lebensstil der beschriebenen Gesellschaftsgruppe nicht viel Natürlichkeit erkennbar ist (selbst wenn Marie Antoinette und ihre Gefolgschaft später Rousseaus Zurück-zur-Natur-Diktion folgen, ist das nicht mehr als ein Trend).

An den opulenten Partyszenen wird zu „Hong Kong Garden“ von Siouxsie and the Banshees getanzt und gefeiert. Der Songtext reflektiert die Situation der Menschen, die nötig sind, den Glamour des Adels überhaupt erst herzustellen, die fleißigen Arbeiter für das Fest (aber auch die Gesamtbevölkerung in Diensten des Königs wird mitgemeint). Denn im Song „Hong Kong Garden“ geht es um die Culture Clashes 1978 in einem bekannten chinesischen Restaurant (mit chinesischen Migranten) mitten in London, das Skinheads mit voller rassistischer Breitseite besuchten (wo sie oft auf den neuen Tribe der Punks stießen). „Harmful elements in the air /symbols clashing everywhere.“ Hier klingen bereits die revolutionären Kämpfe an, die nie richtig gezeigt werden, aber natürlich das Ende Marie Antoinettes und des Films besiegeln.

Anfang 1980er schaffte es der Postpunk in die Charts, und behielt seine hintergründigen gesellschaftspolitischen Botschaften oftmals bei (am deutlichsten sichtbar bei Bands wie Scritti Politti oder ABC), selbst dann noch, als er Anfang der achtziger Jahre auf den Titelseiten von Teenager-Musikmagazinen wie „Smash Hits“ landete. Eine der großen Erfolgsbands aus der Postpunkszene Londons und vielleicht die erste Teenager-Popband mit Punk-Hintergrund waren Adam & the Ants mit dem Erfolgsalbum „Kings o the Wild Frontier“ (1980). Die berühmten Burundidrums, zwei Schlagzeuger und der in filmische Abenteuerwelten führende Eskapismus (Indianer, Piraten, Ant-Kult etc.) waren weder rein eskapistisch noch – wie man heute vielleicht kritisieren wollte – ein Fall kultureller Aneignung.

Kein Moment zeigt das schöner als die kurze Szene nach einem großen, gepflegten Bankett mit großen Militärvertretern der französischen Armee und angeschlossener Truppen, die sich im Krieg zur Verteidigung der französischen Kolonien in Nordamerika erfolgreich hervorgetan hatten. Nach dem großen Gelage hat Marie Antoinette ein sexuelles Stelldichein mit dem schwedischen Adligen Hans Axel von Fersen (Jamie Dornan), der ebenfalls in den USA kämpft. Zum Sex zwischen Von Fersen und Marie Antoinette poltert der Titelsong des Adam & the Ants-Albums, „Kings of the wild frontier“ – und mit ihm die Songzeilen: „I feel beneath the White / There is a red skin suffering / From centuries of taming.” Hier wird im Text ganz präzise dargelegt, wer in diesem Krieg zwischen den weißen Gruppierungen („beneath the white“) leidet: die Indianer. Hier wird also in der Filmmusik eine weitere Gruppe von Verlierern angesprochen, die im Film selber abwesend ist. Die Musik transportiert das schmutzige Geheimnis.

Die Bow Wow Wow-Hymne „I want Candy“ (1982) zeigt die schönsten Schuhe, Kleider, Esswaren, Juwelen etc., aus denen Marie Antoinette auswählt und woran sie sich freut und erregt. Die Erregung der Konsumwelt, erweitert in der Gleichsetzung von Zucker und Boy – bzw. mit dem „Boy“ wird das männliche Liebesobjekt zum Abwesenden der Szene. Weniger gesellschaftspolitisch ist der Kommentar, den die Strokes, eine Neo-Postpunk-Band, zu Marie Antoinettes Liebeskummer (nach Von Fersen) abgeben: „I wanna be forgotten / And I don’t wanna be reminded / You say, „Please don’t make this harder“ / No, I won’t yet“ (What Ever Happened?, 2003) Ist das männliche „Ich“ der Abwesende oder handelt es sich um die innere Stimme von Marie Antoinette – oder sind die Stimme zwischen Abwesendem und Anwesender gar gemischt? Beziehungsweise beginnt hier bereits die eigene Auflösung der Protagonistin und deren feudalen Klasse: „I wanna be forgotten.“

Coppola zeigt damit, dass das große Problem von Filmmusik, dass sie niemals als Antithese gelesen bzw. gehört werden kann, nur mit einer Art von Subversion untergraben werden kann. Mit der Art von Subversion, die damals auch die Postpunkkultur hervorbrachte. Um musikalisch eine Antithese zum Filmbild herzustellen, braucht es die reflektierenden Zuschauer, die abstrahieren und hinterfragen können. Und in gewissem Sinn das Bewusstsein der Endsiebziger. Denn die Subversion in der Zeit von und nach Punk öffnete die Bedeutungsfelder zwischen Klarheit („God save the queen/ that fascist regime“ Sex Pistols 1977) und Ironie („I love a man in a uniform“ Gang of Four 1982). Bedeutungsfelder, die sich jedoch bald wieder schlossen.

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Marie Antoinette, USA 2006 | Regie & Drehbuch: Sofia Coppola | Kamera: Lance Acord | Soundtrack: Adam & the Ants, Gang of Four, Bow Wow Wow, New Order, The Strokes, Aphex Twin, Squarepusher u.a. | Darsteller: Kirsten Dunst, Jason Schwartzman, Judy Davis, Rip Torn, Asia Argento, Marianne Faithful, Jamie Dornan u.a. | Laufzeit: 123 min.