Mario Bava Exkurse (7): LISA AND THE DEVIL und das Ende der Aristokratie

Mario Bava Exkurse (7): LISA AND THE DEVIL und das Ende der Aristokratie

Von Michael Kathe

1972 drehte Bava einen seiner schönsten und enigmatischsten Filme, LISA AND THE DEVIL. Thematisch griff er dabei bekannte Motive seiner früheren Horrorfilme auf. So geht es etwa um die Verirrungen einer Adelsfamilie und um die Unmöglichkeit von Gewissheiten: LISA AND THE DEVIL bewegte sich mehr denn je in einer Sphäre, in die unsere rationale Welt nicht eindringen kann. Und für einmal konnte Bava fast frei von Genrekonventionen filmen und seine Ideen wie ein Autorenfilmer umsetzen. Gewährt wurde ihm diese Freiheit von Produzent Alfredo Leone, der erst nach dem mäßigen Erfolg des Films von Bava eine spekulative Version verlangte (die mit neu gedrehten S/M-Szenen unter dem Titel CASA DELL’ESSORCISMO in die Kinos kam).

LISA AND THE DEVIL aber wurde kein Horrorfilm im klassischen Sinn. Vielmehr schien Bava einen Narren am blühenden Surrealismus der frühen siebziger Jahre gefressen zu haben; ein Trend, der einige große, bekannte Autorenfilmer jener Zeit umtrieb. Roman Polanski drehte WHAT (1972) und Luis Buñuel sein Triplet surrealer Meisterwerke, also DER DISKRETE CHARME DER BOURGOISIE (1972), DAS GESPENST DER FREIHEIT (1974), DIESES OBSKURE OBJEKT DER BEGIERDE (1977). Auch die damals hoch im Kurs stehenden Harry Kümel mit MALPERTUIS (1971), Alejandro Jodorowsky mit EL TOPO (1970) oder MONTAÑA SACRA (1973) oder Alain Robbe-Grillet schufen – auf die eine oder andere Art – surreale Werke. (zu Jodorowsky’s enger Beziehung zu den Surrealisten siehe Bodo Trabers Artikel zu DUNE)

LISA AND THE DEVIL hat eine starke traumhafte Qualität. Die Zuschauer werden nicht – wie in Buñuels Filmen – mit der Absurdität surrealer Begebenheiten konfrontiert, sondern durch stimmungsvolle Szenerien in seltsame Wirklichkeiten hineinversetzt. Bavas Surrealismus ist die Betonung des Traumhaften und Unwirklichen. Sehr offensichtlich natürlich gleich zu Beginn des Films, wenn Touristin Lisa (Elke Sommer) sich kurz von der Reisegruppe entfernt, durch das mittelalterliche, menschenleere Dorf schlendert und in einem seltsamen Antiquitätengeschäft mit befremdlich agierenden Menschen landet.

Zuvor hatte sie mit der Reisegruppe ein Fresko betrachtet, mit einer Darstellung des Teufels, das sie bereits in Bann zog (Close-Up) und überhaupt erst dazu bewegte, sich von der Gruppe zu entfernen. Als sie dann im Antiquitätenladen den Teufel des Freskos (Telly Savalas) in persona sieht, ist sie genauso überrascht wie er überrascht zu sein scheint. Lisa zieht sich vorsichtig, rückwärts gehend, aus dem Geschäft zurück, begleitet von eisigen Windgeräuschen, gefolgt von einer Untersichtkamera, die Orientierungsverlust vermittelt. Was dann auch geschieht. Lisa irrt durch die Gemäuer des menschenleeren, mittelalterlichen Dorfes, in dem die wenigen Menschen nicht antworten und stets verschwinden. Unzuordenbares, irres Gelächter von irgendwo. Und plötzlich läuft ihr der Teuflische, Leandro, über den Weg, gar nicht teuflisch, mit einer seltsamen Puppe auf dem Arm, die offenbar auch ein Eigenleben hat. Lisa sucht weiter, geht durch ein Tor – was den Eintritt in die andere Welt bedeutet (Bava spielt damit auf den Film ALICE IN WONDERLAND von 1951 an). Und nun tritt derjenige Mann in Fleisch und Blut auf, der zuvor vom Teuflischen als Puppe herumgetragen wurde: Carlos (Espartaco Santoni). Er scheint sie zu kennen, er ruft sie aber mit dem Namen „Elena“. Er bittet sie handgreiflich zurück zu kommen, doch sie stößt ihn die Treppe hinunter. Die Szene endet auf dem Close-Up seiner Taschenuhr. Das Zeitempfinden ändert sich. Und die Zeit, in der Lisa lebt.

Einblenden. Bei Nacht und Nebel wird sie als Anhalterin mitgenommen, von einem aristokratischen Paar in einem Auto aus den 1920er Jahren. Der Wagen hat ausgerechnet vor den Toren eines Schlosses eine Panne und – zu Lisas Schock – öffnet Leandro, der ein Hotel empfiehlt. Doch dann taucht der junge, gutaussehende Maximilian (Alessio Orano) auf, der sich bei seiner Mutter, der gestrengen blinden Gräfin (Alida Valli) dafür einsetzt, dass die Gruppe im Schloss übernachten kann. Wir sind nun in einer anderen Zeit und einer anderen Welt angekommen.

Die modische, mittelständische Touristin Lisa, deren Persönlichkeit und Geschichte wir nicht kennen, bekommt nun als Elena eine Vergangenheit in einem aristokratischen Umfeld der 1920er Jahre. Lisa ist Elena, so werden auch kritische Zuschauer je länger, desto mehr überzeugt. Denn allen Bewohnern und Besuchern ist klar, dass es sich bei ihr um die Freundin von Maximilian handelt, die von der Mutter einst verscheucht wurde. Viele Verstrickungen kommen ans Licht: Der Mann mit Schnauz, Carlos, war der zweite Ehemann der Gräfin, plante sie zu verlassen, und hatte offenbar heimlich mit Elena geschlafen. Die Ehefrau des Fahrers (Sylva Koscina) hat ein Techtelmechtel mit dem Chauffeur (zu dessen Angst vor dem Ehemann meint sie: „No worries, he knows about us. He isn’t blind.“). Und außerdem gibt es einen unbekannten fünften Gast in der Villa. Bedeutungsschwanger sagt die Gräfin: „I told you he was back. I was not introduced to the fifth guest.“

Einmal mehr schlägt sich Bava mit Problemen der Aristokratie herum, die in einem abgeschlossenen System lebt und in ihrem eigenen Universum nicht mit sich klarkommt (siehe bereits in 5 DOLLS FOR AN AUGUST MOON, DER DÄMON UND DIE JUNGFRAU). Insbesondere mit ihrer gloriosen Vergangenheit: In den 1920er Jahren dürfte die Aristokratie intakter gewesen sein als 50 Jahre später. So wie sich Elena als Lisa neu erfunden hat, konnten sich offenbar nicht alle Charaktere an die neuen Gepflogenheiten anpassen. Die Gräfin selbst ist blind, ihr Mann Carlos taucht in den 1970er Jahren nur noch als Puppe auf und der eigentliche Nachfolger, Maximilian, weiß sich nur mit (Stief-)Vatermord, sexueller Gewalt gegenüber seiner abtrünnigen Lisa/Elena (er vergewaltigt Lisa und wird von Elenas Geist ausgelacht) zu helfen. Auch seine weiteren Morde in leuchtend-blutroter Kutte zeigen die Zerstörungswut aufgrund seiner verzweifelten Situation. Seine Mutter bringt er schließlich um, weil sie ihm niemals eine Hochzeit mit Lisa zugestehen würde.

Als Lisa nach allen Wirrungen nackt im Schloss aufwacht (Lisa stellt sich beim Essen als „Lisa Reiner“ vor: Sie ist die Reine), alles von Pflanzen überwachsen und durch den romantischen Garten geht, gleitet die Kamera über die Insignien der vergangenen Zeit: Das Schloss verwahrlost, Sphinxstatuen mit Männergesichtern, um schließlich den Puppenkopf von Maximilian zu sehen. Sie hat die alte Aristokratie überwunden.

Hat sie?

Wäre da nicht der geheimnisvolle Schluss: Endlich weg aus den Ferien, nach Hause gehend, steigt Lisa in ein Flugzeug ein. Nun wird es wieder seltsam. Denn als das Flugzeug gestartet ist, bemerkt sie, dass es völlig leer ist. Sie rennt nach vorne, wo in der ersten Klasse alle Protagonisten tot in den Sesseln liegen, und weiter zum Cockpit: Als Kapitän des Flugzeugs entpuppt sich Leandro. Sein Lächeln mit Lollipop hat es in sich: Lisa bricht zusammen und wird selbst zur Puppe.

Das führt uns zum Puppenspieler, zum dämonischen Meister über die Menschen: Leandro (Savalas). Die Rolle von Leandro ist zentral zum Verständnis des Films. Auch wenn er auf dem Fresko am Anfang des Films als „Teufel“ erscheint, so bezeichnet er sich selbst an einer Stelle lediglich als Dämon bzw. kleiner Teufel. Tatsächlich hat er nicht die Rolle eines allwissenden, bösen Zauberers inne (wie wir uns den Teufel vorstellen mögen), sondern eines steten Arbeiters und Dieners, immer mit Puppen, Leichen und Menschen beschäftigt, oft einfach beobachtend, und doch darf man ihn – sobald Menschen Puppen sind – in Verdacht haben, dass er an gewissen Schicksalsfäden zieht. Er kann das Spiel der Menschen umdrehen. Und als Pilot auch die „bürgerliche“ Welt (für die Lisa steht) verpuppen und so in die Aristokratie zurück fliegen. Die Geschichte ist nach Bava eben nicht ein vorausbestimmter Weg in Richtung mehr (bürgerliche) Freiheiten – selbst wenn das in den 1970er Jahren vielen den Anschein machte.

Nebst den vielen großen Fragen des vielschichtigen Werks lässt sich die erste, simpelste Frage mit Klarheit lösen. Weshalb hat Telly Savalas ständig einen Lollipop im Mund, wenn er den doch auch als Lieutenant Theo Kojak in der TV-Serie, die ihn groß machte, KOJAK (EINSATZ IN MANHATTAN), immer im Mund herumdrehte? Die Antwort: Savalas hörte auf zu rauchen, und Bava schlug ihm vor, sich mit dem Lolly oral zu beruhigen – was Savalas in seinem nächsten Projekt, der TV-Serie, nicht nur weiter zog, sondern gleich zum Signature-Piece seiner Persönlichkeit machte.

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Lisa e il diavolo, Italien/BRD/Spanien 1972 | Regie: Mario Bava | Darsteller: Telly Savalas, Elke Sommer, Sylva Koscina, Alida Valli, Alessio Orano, Eduardo Fajardo u.a. | Laufzeit: 96 Min.