Der Pakt

Der Pakt

Von Shamway

Nach dem Ende des Vietnamkriegs 1975 dauerte es drei Jahre, bis mit THE DEER HUNTER (1978) das erste große Kriegsdrama erschien. Weitere folgten, schon 1979 Coppolas Meisterwerk APOCALYPSE NOW. In den 1980er Jahren waren US-Interventionen auch in Süd- und Mittelamerika Thema großer Regisseure, etwa für Oliver Stone mit SALVADOR (1986) – und später tat er es den New-Hollywood-Regisseuren gleich und drehte mit PLATOON (1986) und BORN ON THE 4TH OF JULY (1989) gleich zwei „große“ Vietnamfilme. Dann wurde es stiller um Filme, die US-Interventionen thematisierten. Der Jugoslawienkrieg produzierte keinen nennenswerten Kriegsfilm, mit Ausnahme von Angelina Jolies IN THE LAND OF BLOOD AND HONEY (2011), der allerdings mit der US-Bombardierung nicht viel am Hut hat. Während es zum ersten Krieg gegen den Irak keinen bedeutenden Film gab, führte der zweite Irakkrieg unausweichlich zu großen Hollywoodproduktionen. Zu verstörend auf verschiedenen Ebenen war er, und nicht zuletzt positionierten sich auch die Medien in Teilbereichen gegen das patriotische Narrativ – vergessen wir auch nicht die Aufklärungsarbeit von Wikileaks, mit der die Augen nicht mehr vor den Grausamkeiten der US- und britischen Armee verschlossen werden konnten. Von Kathryn Bigelows THE HURT LOCKER (2009), Clint Eastwoods AMERICAN SNIPER (2014) bis hin zu Filmen, die Abu Ghraib auf die eine oder andere Weise thematisierten.

Filmisch relativ folgenlos blieb der lange, 20jährige Afghanistankrieg. THE COVENANT dürfte meines Wissens der erste Film eines namhaften Regisseurs mit einem großen Schauspieler (Jake Gyllenhaal) sein, der sich mit dem Afghanistankrieg beschäftigt. Das kann man Guy Ritchie schon mal zugutehalten.

Lobenswert ist außerdem, dass Guy Ritchie sich für einmal an etwas ganz Neues herangewagt hat: an ein Actiondrama. An einen großen, ernsten Film – der aber seine Finger nicht von spekulativeren Inszenierungen lassen kann. Er porträtiert John Kinley (Gyllenhaal), einen glaubwürdigen Sergeanten der US-Armee, der in Afghanistan mit seinem Team Sprengstoff-Produktionsstätten der Taliban sucht. Was allerdings ein sinnloses Unterfangen ist, wenn man sich nicht bei der lokalen Bevölkerung durchfragen kann. Was wiederum nicht ohne Übersetzer geht, der nicht nur die Sprache beherrscht, sondern auch die Einstellung der Bevölkerung einschätzen kann (von der ein Teil den Taliban insgeheim nicht freundlich gesinnt ist).

Ohne relevante Informationen bleiben Munitionslager und andere Taliban-Verstecke Terra Incognita. Deshalb geht es genau um diese Übersetzer. In den 20 Jahren Krieg in Afghanistan waren rund 50’000 Übersetzer für die US-Army tätig, verrät uns der Film am Anfang. Beim schnellen Rückzug 2021 wurden 300 mit ihren Familien zurückgelassen und von den Taliban ermordet, verrät er uns am Ende.

Geld sei es, antwortet der widerspenstige, aber talentierte Ahmed (Dar Salim) auf die Frage, weshalb er als Dolmetscher helfen wolle. Sein Engagement führt aber im Verlauf des Films weit darüber hinaus: Ahmed war einst mit den Taliban über den Opiumhandel verknüpft, bis sie seinen Sohn ermordeten. Dass er sich deshalb gegen die Taliban wendet, mag eine banale Weisheit sein – wird aber in Kriegs- wie in Friedenszeiten allzu oft vernachlässigt. Schade an dieser Erklärung, und auch sonst niemals erwähnt, ist dabei die Tatsache, dass man nirgends sieht, wie aufgeklärt das von den Taliban in die Steinzeit geprügelte Land einstmals war. Aber damit würde der Film wohl in heiklen Gewässern Dreck aufwirbeln – bei der US-Unterstützung der Mudjaheddin in den 1980er Jahren. Und natürlich braucht es diese Geschichtslektion in die tiefe Vergangenheit des in den 1970er Jahren zumindest in Kabul und anderen Städten so westlich ausgerichteten Afghanistan gar nicht. Denn Guy Ritchies Film zeigt viele authentische afghanische Momente (sofern man das von hier aus beurteilen kann), hat viel Thrill und nicht zuletzt auch Action. Als Kinleys Trupp eine Razzia in einem vermeintlichen Waffenproduktionslager durchführt, überleben nur Kinley selbst und Ahmed. Doch zuvor gibt‘s die erste große bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Taliban und US-Soldaten. Und immer wenn die Ballerei anfängt, kann es Ritchie nicht lassen und verlässt den konsequenten Realismus. Gut inszeniert strecken Ahmed und Kinley Dutzende von Taliban nieder, wo sie eigentlich chancenlos sein müssten. Bei diesem ersten großen Clash mischt Ritchie noch einen klagenden Soundtrack in das Geballer, als würden wir uns in einem Studiofilm befinden. Eine Stunde später dann, beim Grande Finale des Films, dem letzten großen Zusammenstoß, dominieren derweil Zeitlupen von Kugeln und Bewegungen, und ein heroischer Soundtrack unterstützt eine Last-Minute-Befreiungsaktion auf einem Staudamm.

Die Unterschiedlichkeit der beiden Actionszenen entspricht beiden Teilen der Handlung. Der erste Teil ist die Erzählung, die einer gewissen Realität entspricht. Auswahl des geeigneten (und eigenwilligen) Übersetzers und die Suche nach der Munitionsfabrik in einer dörflichen Welt, von der man nicht weiß, wie sie funktioniert. Schließlich die Flucht vor den Taliban nach der Razzia. Das alles ist durchaus großes Kino. Hätte Guy Ritchie nun doch das Zeug zum erwachsenen Regisseur?

Es folgt: Der zweite Teil der Geschichte. Kinley in den USA kommt für den in Afghanistan gefährdeten Übersetzer Ahmed und seine Familie nicht an ein Visa heran, Alptraum-Bürokratie der USA. Bevor Ahmed im Untergrund entdeckt wird, muss Kinley also noch einmal zurück ins Land der Talibane, ihn mit Hilfe einer Söldnertruppe aus Afghanistan herausholen. Hier passieren plötzlich Wunder, mehr sei nicht gesagt. Als könne auch der glaubhafte Film über Afghanistan, der aufzeigt, wie die Taliban überall und nirgends sind und die Amerikaner in die Lage versetzen, „einen Krieg zu führen, der wie Treibsand ist“ (Owen Gleibermann, Variety), nicht auch ein würdevolles Ende haben. Da ist der Film dann plötzlich so fiktional wie der erste Afghanistan-Kriegsfilm (allerdings zwei Kriege und 40 Jahre vorher): RAMBO 3.

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Guy Ritchie’s The Covenant, USA/Spanien/UK 2023 | Regie: Guy Ritchie | Drehbuch: Guy Ritchie, Ivan Atkinson, Marn Davies | Kamera: Ed Wild | Musik: Chris Benstead | Darsteller: Jake Gyllenhaal, Dar Salim, Alexander Ludwig, Antony Starr, Jason Wong u.a. | Laufzeit: 123 min.

Anbieter: Amazon Prime Video