Dogman

Dogman

Von Shamway

Was soll man sagen? Luc Besson ist eben Luc Besson. Oft ein paar Grade zu plump, zu symbolisch, zu klischiert. Das traf schon für seinen Erstling SUBWAY (1985) zu und zieht sich durch seine Karriere. Auch in seinen durchaus sehenswerten Filmen wie LE GRAND BLEU, NIKITA oder LEON ist das zu erkennen, bei TAXI oder TRANSPORTER kaum auszuhalten. DOGMAN ist auch weniger gelungen, hat aber – und das darf man Besson zugutehalten – ein paar interessante Ideen. Zugutehalten darf man ihm übrigens auch, dass es seine Filme seit Jahrzehnten immer wieder ins Kino schaffen, als wäre er die französische Ausgabe von Ridley Scott – mit einem Riecher für Erfolg.

In DOGMAN erzählt der blutende, im Marilyn-Monroe-Kleid festgenommene Douglas (Caleb Landry Jones) der Polizeipsychologin Evelyn (Jojo T. Gibbs) seine Lebensgeschichte. Radikal schmerzhafte Jugend wegen grausamem Vater und Bruder, in einen Hundezwinger eingesperrt, Hunde als einzige Freunde, und ein gewalttätiger Vorfall, der zur Behinderung führt. Nach der Befreiung durch die Polizei schlägt er sich als kluger Außenseiter durch, der lediglich eine emotionale Beziehung zu Hunden aufbauen kann. Außerdem entwickelt er sich zum Crossdresser. Als eine Art Robin Hood legt er sich mit örtlichen Gangstern an, aber nicht nur. Alles in allem ein deprimierendes Schicksal, verpackt in einem schillernden Leben und von Landry Jones in anständiger Joker/Lecter-Psychopathenmanier dargestellt. Man darf diese seltsame Mischung aus Übertreibungen und Seltsamkeiten ruhig als klischeehaft-hirntot erklären, doch DOGMAN ist über all dem auch sehr süffig gefilmt und angenehm spannend im Kino anzuschauen.

Douglas hat natürlich den Dog im Namen. Er wächst wie weiland Mogli mit den Wölfen mit deren Verwandten, den Hunden, auf und merkt bald einmal: Liebe ohne Wenn und Aber gibt’s nur mit Hunden, nicht mit Menschen. Auch wenn wir nie sehen, wie er Hunde füttert, sie streichelt oder kuschelt, wird schnell klar, dass sie ihm als treue Gefährten stets zu Diensten sind. Doch Hunde sind eben auch mehr: „Es leben auch alle Hunderassen freundschaftlich zusammen“ heißt es irgendwann, ganz im Sinne einer positiv gedachten Identitätspolitik.

Im Verhältnis zwischen Douglas und den Dogs gleitet der Film dann ins Übernatürliche: Die Hunde können auf Douglas hören und führen alles aus, was er will. Ob sie nun Zuckersack oder Eier aus dem Gestell holen oder ob sie einen komplexen Einbruch durchführen, ihre Fähigkeiten übersteigen manchmal das, was wir von den Vierbeinern gewohnt sind. Für einmal ist der psychotische Crossdresser, der in einer abgefuckten Fabrik wohnt und auch sonst so einige Zutaten eines Serienkillers à la SILENCE OF THE LAMBS enthält, der Good Guy. Einer, der Geld von den Reichen „umverteilt“, tierlieb ist und Menschen hilft, die von Gangstern erpresst werden. Einer, der trotz härtester Kindheit seinen Shakespeare verinnerlicht hat, der nett umgeht mit anderen Menschen und selbst der Psychologin widerstandslos sein Leben schildert. Dass er bei der einzigen Frau, die er jemals geliebt hat, völlig verstört und eingeschnappt reagiert, als sie ihm nach jahrelangem Nichtsehen eröffnet, dass sie einen Ehemann hat und schwanger ist, ist eines dieser Klischees, die eine Story plump machen.

Und dass der DOG umgekehrt gelesen den GOD ergibt, ist natürlich genauso plump – zumal es von Besson in übertrieben klarer Manier gezeigt wird. Ebenso überdeutlich liegt Douglas zweimal in der Pose des Gekreuzigten am Boden – die Jesus-Analogie ist an wichtigen Stellen des Films unübersehbar, wäre aber eigentlich gar nicht nötig.

Interessant ist viel mehr, dass der Gutmensch Douglas aussieht wie ein Psychopath, aber gar keiner ist. Er sieht so aus, weil er dem Prekariat angehört und sich dabei auch noch um die niedersten Kreaturen der Gesellschaft, Hunde (durchaus auch im übertragenen Sinne gedacht), kümmert. Er selbst ist behindert, ein Transvestit mit wenigen Crossdresser-Freunden, und er kann sofort eine Beziehung zur Psychologin aufbauen, die als Person of Color ebenfalls einer Minoritätenproblematik ausgesetzt ist (nur in einer kleinen Szene sichtbar) und die eine quasi gespiegelte unterdrückte Familienkonstellation aufweist. Ihr eigener Vater sowie der Vater ihres Kindes sind gewalttätig (zweiterer darf das Quartier nicht mehr betreten). Beider Feind ist die Welt des Machismo (Familie, Gangster).

Aus Bessons durchgehendem Thema des Outcasts, der sich von der Gesellschaft entfernt (siehe z.B. NIKITA und LEON) und in Tieren seine Freunde hat (Delphine in LE GRAND BLEU) spinnt er nun ein größeres Thema der Identitätspolitik. Tatsächlich lässt sich ein großer Bogen schlagen zwischen der coolen Subkultur-Community aus Punks, Lebenskünstlern und nicht zuletzt der coolen reichen Frau in SUBWAY und der bedrohten Subkultur-Community aus Hunden, Transvestiten, People of Color in DOGMAN. Besson verfolgt immer noch die Vision einer demokratischen Gesellschaft, die Minderheiten einbezieht – doch deren Realisation scheint viel bedrohter als noch vor 38 Jahren.

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Dogman, Frankreich 2023 | Regie & Drehbuch: Luc Besson | Kamera: Colin Wandersman | Musik: Eric Serra | Darsteller: Caleb Landry Jones, Christopher Benham, Jojo T. Gibbs, Michael Garza, Clemens Schick, u.a. | Laufzeit: 114 Min.