Finale in Berlin

Finale in Berlin

Von Michael Kathe

Der zweite Film der Harry-Palmer-Trilogie aus den Sechzigern ist weniger (im wahrsten Sinne des Wortes) „schräg“ gefilmt als THE IPCRESS FILE und weniger deutlich auf Anti-Bond getrimmt. Das beginnt schon mit der Location: Berlin. Berlin als Inbegriff des Kalten Kriegs und der Agenten war zwar immer zu beengend und zu sehr West-Ost-Konflikt für Bond (tatsächlich ist OCTOPUSSY der einzige Bond-Film, der je Berlin zum Handlungsschauplatz wählte), aber mit der Wahl Berlins tritt Palmer auch in die echte Agentenwelt. Denn Berlin ist die wahrhaftigste aller Spionagestädte des Kalten Krieges.

FinaleInBerlin_PosterDie Kamera eröffnet mit Einstellungen auf das schöne Westberlin der mittleren sechziger Jahre. Vom Ku‘Damm mit mondänen Touristen zum Wahrzeichen Westberlins, dem Europa Center. Es folgt der Kontrast: verfallene, in braun gehaltene Gebäude, musikalisch untermalt von schwermütigen kommunistischen Klanggebilden. Und eine spektakuläre Flucht aus dem Osten. Ein DDR-Bürger springt in eine leere Zementmischmaschine, die von einem Kran in die Bundesrepublik gehievt wird. Die Kugeln der Grenzsicherheit kommen natürlich nicht durch das Eisen des Betonmischers durch. Die Story ist lanciert.

Und obwohl FINALE IN BERLIN auf die faszinierende Bildsprache des Vorgängers weitgehend verzichtet, ist er nicht minder manieristisch. In der Welt der Geheimagenten sind die klaren Fronten plötzlich nicht mehr so klar. Sind die Sowjets wirklich die Bösen, verkörpert der Westen wirklich die Wahrheit und das Gute? Während Oberst Ross in London noch voller Zuversicht das Unkraut im Garten jätet und dabei Harry Palmer (Michael Caine) auf den Fall ansetzt, verliert Palmer schon beim Verbindungsmann in Berlin das Vertrauen, seinem alten Freund Johnny Vulkan (Paul Hubschmid). Der Job allerdings scheint eindeutig: Palmer soll die Flucht des übertrittswilligen sowjetischen Oberst Stok organisieren (ein fantastischer Oskar Homolka, der aussieht wie Leonid Breschnew).

FinaleInBerlin_4In Berlin wird Palmer an einsamen Plätzen in Ostberlin von schwarzen Taxi-Limousinen mitten in der Nacht abgeholt, wird an geheime Orte gebracht, bis er schliesslich den Oberst erstmals zu Gesicht bekommt. Der empfängt ihn mit einem breiten Lachen, nennt ihn liebevoll „Engländer“ und zeigt sich überaus empfänglich für Palmers Zynismus. Ist der sowjetische Oberst nun grausam, warmherzig, manipuliert er oder will er wirklich einfach flüchten? Und was hat es mit dem versierten Fluchthelfer Harry Kreutzmann (Günter Meisner) auf sich, auf dem Stok so beharrlich besteht – will er einfach den besten aller Fluchthelfer ausschalten? So banal?

Zurück in Westberlin, versucht Palmer das Puzzle zu lösen, doch in der Subkultur der Agenten stößt er auf weitere Personen und Rätsel. Beim Verlassen einer der dekadenten Berliner Bars lernt er die Kleiderdesignerin Samantha Steel (Eva Renzi) zufällig kennen, trinkt noch etwas bei ihr. Während sie badet, durchsucht er ihre Wohnung, denn natürlich ist ihm ihre One-Night-Stand-Zuneigung verdächtig (schließlich ist er ja nicht Bond, der jede Anmache für gegeben hält). „Würden Sie mich für unwiderstehlich halten, wenn sie mich auf der Straße sehen würden?“ lautet später seine rhetorische Frage auf dem Kriminalamt.

Palmer arbeitet mit Vertrauensleuten jenseits der Agenten- und Doppelagentenwelt, wie einem mehrfach vorbestraften Einbrecher, um nach Informationen zu jagen. Er muss an Kreutzmann heranzukommen – im Transvestiten-Varieté empfängt er einen Anruf mit der Aufforderung „Folgen Sie dem Mann mit der grünen Nelke“. Palmer begegnet dem Mossad, Schweizer Bankkonten, dubiosen Geschäftsleuten. Nicht zuletzt arrangiert er mit Oberst Stok einen Deal: Stok wird in einem Sarg von Ost nach West überführt.

FinaleInBerlin_2Bis es aber soweit ist, bis alle geheimen Beziehungen und unentdeckten Verbindungen für Harry Palmer und uns Zuschauer ersichtlich dargelegt sind, werden wir durch eine labyrinthische Story gelotst, die beim ersten Sehen nicht ganz einfach nachvollziehbar ist. Die New York Times schrieb 1966 in ihrer Filmkritik: „It’s so overloaded with plot, so studiously crowded with people who are double-crossing and triple-crossing their associates, that it all becomes very confusing.“ Heutige Sehgewohnheiten werden allerdings nicht so überfordert wie damals der Kritiker der NYTimes.

Die Komplexität der Geschichte ist durchaus beabsichtigt. Ohne hier die Überraschungen des Plots preiszugeben, weicht Harry Palmers stetes Weitergraben nach der Wahrheit die vordergründigen Realitäten auf und führt beinahe zu einer Umkehrung der Beurteilung der Geheimdienstwelt und des propagandistischen Komplexes der Machtblöcke. Wer ist eigentlich gut, wer böse? Das führt aber nicht zu einer (oft als postmodern bezeichneten) Gleichgültigkeit allen geheimdienstlichen Tuns, sondern zu einer neuen moralischen Einschätzung, die den Film so stark und durchaus mutig macht. Denn in diesem Fall sind die Sowjets die moralischen Sieger über den Westen (im Großen und Ganzen – um nichts preiszugeben soll hier auf eine detaillierte Beurteilung verzichtet werden). Eine Einsicht, die sich im Folgefilm BILLION DOLLAR BRAIN noch zuspitzen wird.

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Funeral in Berlin |Grossbritannien 1966 | Regie: Guy Hamilton | Darsteller: Michael Caine, Paul Hubschmid, Oskar Homolka, Eva Renzi | 102 min.