1900
Von Oliver Schäfer
Am 27. Januar 1901, dem Todestag des Komponisten Giuseppe Verdi, werden zwei Familien mit der Geburt ihrer Söhne beglückt. Olmo ist der jüngste Nachkomme der Landarbeiterfamilie Dalco, deren Oberhaupt Leo (Sterling Hayden) nun ein weiteres Maul zu stopfen hat. Alfredo dagegen ist der Enkel des Großgrundbesitzers Berlinghieri (Burt Lancaster), der über die Geburt hocherfreut ist. Trotz des Klassenunterschieds wachsen beide Jungen gemeinsam auf und pflegen über die Jahre eine von vielen Spannungen durchzogene Freundschaft, die sich der unterschiedlichen Klassen jederzeit bewusst bleibt. Als der inzwischen erwachsene Olmo (Gérard Depardieu) aus dem ersten Weltkrieg zurückkehrt, hat sich auf dem Hof der Belighieris viel verändert. Der neue Padrone, Alfredos Vater Giovanni (Romolo Valli), hat den brutalen Vorarbeiter Attila (Donald Sutherland) eingestellt, der die Ausbeutung der Arbeiter vorantreibt, während Alfredo selbst dem Treiben mehr oder weniger tatenlos zusieht. Olmo wendet sich dem Sozialismus zu und organisiert Proteste der Landarbeiter, während im Land der Faschismus grassiert, mit dem Alfredo zumindest sympathisiert. So wird aus der Geschichte zweier Freunde die Geschichte eines Landes und der um die Macht konkurrierenden Ideologien jener Zeit. Gleichzeitig wird die Industrialisierung der Landwirtschaft betrachtet, durch die die vielen Landarbeitern von den immer modernen Maschinen verdrängt werden und so noch weiter ins Abseits gedrängt werden.
Kameralegende Vittorio Storaro fängt hier in vielen gemäldeartigen Einstellungen sowohl das Land, als auch die Leute ein. Unterlegt mit der grandiosen Musik von Ennio Morricone gelingen hier einige großartige Sequenzen. Insgesamt ist das Werk allerdings eine ausufernde Oper, die bevölkert ist mit Abziehbildern statt mit Charakteren und deren Geschichte von einem Ereignis zum nächsten springt, ohne einen echten inneren Zusammenhang herstellen zu können. Robert De Niro und Gerard Depardieu wirken häufig, als ob sie selbst nicht sicher wären, in welche Richtung sich ihre Rollen bewegen, während Donald Sutherland eine geradezu lächerlich überzogene Version des faschistischen Emporkömmlings liefert, fleißig unterstützt von der ebenfalls am Rande der Hysterie chargierenden Laura Betti. Die extremen Stimmungswechsel in Dominique Sandas Rolle sind da noch am erträglichsten, während man bei den Auftritten Alida Vallis am liebsten wegschauen möchte. Es gibt reichlich Ehen, Geburten, natürliche und unnatürliche Todesfälle, Familienzwist, Verrat, Sex, Krieg und mehr, allerdings ist vieles davon teilweise lächerlich überdramatisiert, während andere bedeutende Ereignisse als Nebensache abgehakt werden und mich fassungslos auf den Monitor starren ließen. Und das ganze Epos mündet in einer Sequenz, die einerseits den Kreis zur Kindheit der Protagonisten schließt, andererseits den Film ziemlich unbeholfen enden lässt.
Wer diesen Film für ein Meisterwerk hält, mag das tun. Vielleicht bin ich auch nur ein Kulturbanause, aber meiner Meinung nach ist dies das Werk eines Künstlers, dem zu viel Geld und zu viel Freiheit zur Verfügung stand, ohne das er seine Geschichte und Charaktere im Griff hatte. Nun ist mir auch klar, warum ich mich an praktisch nichts aus dem Film erinnerte, obwohl ich ihn vor rund 15 Jahren schon einmal gesehen hatte. Vergleicht man Bertoluccis Regiearbeit mit der erzählerischen Eleganz, die Francis Ford Coppola in der ersten beiden „Paten“ in vergleichbarer Länge (und teilweise gleichen Darstellern) auf die Leinwand gebracht hat, werden die Defizite von „1900“ besonders deutlich.
Ungeachtet meiner Meinung über den Film, hat Koch Media hier ein qualitativ erstklassiges Paket herausgebracht, das jedem Sammler das Herz höher schlagen lassen dürfte. Der Film sieht dank der 4K-Restaurierung so gut und farbenfroh aus, wie man ihn vermutlich zuletzt auf der großen Leinwand bewundern durfte. Für beide Teile gibt es jeweils eine Disc, zusätzlich eine dritte für allerlei Hintergrundmaterial, Bildergalerien, Making of und Interviews u.a. mit Bertolucci, Storaro, de Niro und Sutherland. Als Krönung hat man auch noch Morricones Soundtrack als CD beigelegt. Mehr kann man für eine limitierte Edition nicht verlangen.
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1900 (Novecento) | Deutschland, Italien, Frankreich 1976 | Regie: Bernardo Bertolucci | Darsteller: Robert De Niro, Gerard Depardieu, Dominique Sanda, Donald Sutherland, Stefania Sandrelli, Laura Betti, Burt Lancaster, Sterling Hayden, Werner Bruhns u.a.
Anbieter: Koch Media
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