Zürich Film Festival 2018: In Fabric

Zürich Film Festival 2018: In Fabric

Von Michael Kathe

Der Giallo lebt. Aber anders. Peter Strickland beschäftigt sich auf vielerlei Weise mit Exploitation-Filmen der Siebziger. Vor allem in BERBERIAN SOUND STUDIO kümmerte er sich ausgiebig um italienische Giallo-, Grusel- und Gewaltorgien. An diesen Film knüpft er nun mit IN FABRIC an – und in der Speciality-Reihe des abwechslungsreichen Zürich Film Festival gab‘s das Werk erstmals in Europa zu sehen.

INFABRIC_3Zum Vorbild der Handlung hat sich Strickland zwei besonders skurrile Stücke italienischer Horrorkunst vorgenommen, beide von Ruggero Deodato: DIAL: HELP (das Horror-Juwel aus dem Jahr 1988) und WASHING MACHINE (1993). Wie in jenen Werken wird hier ein Objekt zum mörderischen Subjekt, allerdings stehen hier nicht Kommunikation und Haushalt zur Debatte, sondern – ganz direkt – ein Fetisch. In diesem Fall ein rotes Kleid aus dem geheimnisvollen, ja gefährlich anmutenden Kleidergeschäft „Dentley & Soper’s“ in einer englischen Kleinstadt der achtziger Jahre, das sich perfekt an Trägerinnen anpasst und tödliche Wirkungen zeitigt.

„Dentley & Soper’s“ ist spektakulär seltsam: zweistöckig mit zwei achsensymmetrisch angeordneten Treppen; immer nur abends von unserer Heldin besucht, bedient hier ein Personal, das seinesgleichen sucht. Im Zentrum steht die dämonisch-überfreundliche Verkäuferin Mrs. Luckwood, die mit rätselhaften Verkaufs-Sentenzen, Barbara-Steele-Schminke und blutrot-hellen, langen Fingernägeln für ständiges, unterschwelliges Schaudern sorgt (Strickland-Regular Fatma Mohamed ist hier eine wahre Italogrusel-Augenweide). Was dann bei „Dentley & Soper’s“ so geschieht, ist durch und durch geheimnisvoll und wird von Strickland nie auch nur ansatzweise erklärt. Weshalb strahlt das Kleidergeschäft derart verstörende TV-Werbespots aus? Weshalb krümmt sich Mrs. Luckwood abends in einen kleinen Warenlift und wohin fährt sie? Weshalb vergreifen sich alle Verkäuferinnen derart an einer Schaufensterpuppe, dass die zwischen den Beinen zu bluten beginnt? Und warum masturbiert der unheimliche, vampirisch anmutende Chef dazu? Eine Sekte? Satanisten? Oder vielleicht eine Art Göttinnen, die vom Versagen gezeichnete Kleiderträgerinnen in ein Näh-Fegefeuer verbannen?

INFABRIC_2Genauso wenig wird uns der Ursprung allen Übels, das mordende rote Kleid, weiter erklärt. Die Schuldigkeit der TrägerInnen allerdings ist klarer zu erkennen: Fetischismus und Narzissmus werden zu Todsünden, gemeinerweise selbst bei so liebenswerten Menschen wie der getrennt lebenden Bankangestellten Sheila (Marianne Jean-Baptiste, ebenfalls in einer Glanzrolle): Mit dem roten Kleid soll auch ein neuer Freund her. Bald schon merkt Sheila aber, dass sich das Glück nicht mit einem Kleid erzwingen lässt. Erst recht nicht bei einem dieser schrecklichen Blind Dates, die sie initiiert. So führen denn auch nicht klassische Schuldgefühle ins Fegefeuer des Kleidernähens, in dem Trägerinnen und Träger in einem weiteren surrealen Twist des Films enden. Sondern „Dimensions and proportions transcend the prisms of our measurement“, wie Miss Luckwood es in einer ihrer vielen gespenstischen Werbebotschaften ausdrückt.

Mit der Story rund um Sheila wirft uns Strickland plötzlich in ein völlig anderes Genre, das parallel zum Giallo läuft: Wir befinden uns auch in einer britischen Independentkomödie. Die Bankangestellte Sheila lebt mit ihrem Sohn im Twen-Alter (Jaygann Ayeh) in einer kleinen Wohnung. Der junge Kunststudent nimmt oft seine dominante Freundin (Gwendolin Christie) mit nach Hause, die Sheila in einigen etwas tragikomischen Szenen immer wieder piesackt. Doch ob zuhause oder auswärts: Das roten Kleid führt zu Schrecken und Blut. Übrigens auch in der wohnungseigenen Waschmaschine. In einer hitchcockschen Wendung, allerdings ohne dessen Spannungsbogen, wechselt das rote Kleid plötzlich in eine völlig andere Geschichte. Zum Waschmaschinen-Mechaniker Reg Speaks (Leo Bill), der sich damit an seinem Junggesellenabend als Frau verkleidet. Dramaturgisch ein Schlenker zu viel. Aber als Fortsetzung des roten Reigens des Bluts, der kleinen Dramen, wenn sich Durchschnittsbürger mal etwas zu verrückt aufführen, vollführt Strickland hier ein hinterhältiges Nachdoppeln.

INFABRIC_1Selbst wenn der Film nicht ganz so gelungen ist wie DUKE OF BURGUNDY und BERBERIAN SOUND STUDIO: Strickland modernisiert gute alte Exploitation-Genres, indem er sie mit neuen Genres, Intellekt und Surrealismus koppelt, knallende Farben wiederbelebt (dieses leuchtende Rot!) und nicht zuletzt fantastische Figuren schafft. Voller Leben wie Sheila und voller berückender Geisterhaftigkeit wie Miss Luckwood. Ihr möge auch das Schlusswort gehören, eine Frage an die konsumierenden (Film-) Zuschauer: „Did the transaction validate your paradigm of consumerism?“

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In Fabric | Grossbritannien 2018 | Regie: Peter Strickland | Drehbuch: Peter Strickland | Kamera: Ari Wegner | Schnitt: Maryas Fekete | Darsteller: Marianne Jean-Baptiste, Fatma Mohamed, Gwendoline Christie, Sidse Babett Knudsen, Julian Barratt, Leo Bill, Richard Bremmer | Laufzeit: 118 min.