Old

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Von Adrian Gmelch

Im Gegensatz zu seinen letzten drei Filmen, THE VISIT (2015), SPLIT (2017) und GLASS (2019), die allesamt einen vor Kreativität sprühenden, ja fast pubertierenden Shyamalan gezeigt haben, entspringt OLD diesmal nicht aus dem Kopf des Filmemachers. Das Drehbuch, das der indischstämmige Regisseur selbst geschrieben hat, basiert auf der Graphic Novel „Sandburg“ (2010) von Frederik Peeters und Pierre Oscar Lévy. Die Geschichte, die an Theaterstücke von Samuel Beckett erinnert, dreht sich um mehrere Familien, die an einem Sommertag an einem abseits liegenden Strand zusammenkommen und dann bald merken, dass sie alle rapide altern (mehrere Jahre pro Stunde). Flüchten aus der malerischen Bucht ist aus unerklärlichen Gründen nicht möglich und bald müssen sie alle demselben Schicksal entgegensehen: dem Tod. „Sandburg“ ist eine gelungene Parabel über Menschen in Not, über Leben und Tod, über das Unerklärliche.

Bis auf wenige Änderungen behält Shyamalan den Plot der Graphic Novel bei – nicht unbedingt eine weise Entscheidung. Was auf dem Papier gut funktioniert, tut es im Film weniger. Hier hätte man dem Filmemacher durchaus mehr Freiheit zugetraut. Die einzigen beiden anderen Filme von Shyamalan, die auf fremdem Gedankengut aufbauen, DIE LEGENDE VON AANG (2010) und AFTER EARTH (2013), gehören zu den schwächsten des Regisseurs. Und OLD entgeht diesem Schicksal nur knapp. Doch ironischerweise scheitert der Film gerade dann, wenn sich Shyamalan von der Vorlage entfernt und Eigenes dazu erfindet, womit wir auch schon beim Ende, beim Twist, diesem Markenzeichen des Regisseurs, wären. Doch eins nach dem anderen.

Gelungene Kamerafahrten, verstörende Szenen & ein ungleiches Cast

Wie bei Shyamalan üblich, ist gerade ein Blick auf die Inszenierung interessant: Hier zieht der Regisseur einmal mehr alle Register und liefert eindrucksvolle Momente ab. Mehrere Kamerafahrten auf dem Strand entpuppen sich als perfekt durchkomponierte Sequenzen, die dem Film betörende Bilder liefern. Shyamalan und sein Stammkameramann seit GLASS, Mike Gioulakis, setzen auf viele lange Einstellungen ohne Schnitte, was den Film teilweise wie ein Theaterstück wirken lässt, aber nicht die Geschwindigkeit herausnimmt, denn die Kamera bleibt stetig in Bewegung, umrundet, ja umfliegt die Protagonisten, gleitet gekonnt von einer Figur zur anderen. Auch am Anfang des Films im Urlaubsresort gibt es eine lange Einstellung mit einer sich langsam bewegenden Kamera, die in bester Shyamalan-Manier die verschiedensten Gefühle und Facetten der Protagonisten gekonnt einfängt. Generell kommt Gioulakis‘ talentierte Kameraführung dem Film zugute. Die Großaufnahmen der entgeisterten Gesichter, die ständige Nähe zu den Protagonisten – all das trägt zu sehr gelungenen Sequenzen am Strand bei. Die Angst der Menschen und die Hektik des Plots werden mittels der klugen Aufnahmen deutlich spürbar.

Der Strand als Setting bietet sich perfekt als Kammerspiel unter tropischem Himmel an. Shyamalan liebt es, auf begrenzten, engen Räumen zu filmen, man denke an das Haus der Großeltern in THE VISIT, an das Anwesen der Hess` in SIGNS, an die Psychiatrie in GLASS oder auch an das Haus der Familie Turner in Shyamalans gelungener Serie SERVANT (läuft auf Apple TV+). Hier am Strand entfaltet sich in manchen Szenen zumindest eine elektrisierende Atmosphäre, der Kampf der Protagonisten gegen das schnelle Altern ist oftmals pure Dramatik. Doch im Hintergrund einer solchen Panik bleiben die Charaktere der Geschichte erstaunlich blass. Das liegt daran, dass mir einfach kein Protagonist hängen geblieben ist. Über elf Personen sind am Strand anwesend und Shyamalan ist mit dieser Fülle an Personal schnell überfordert, die Psychologisierung bleibt eindeutig im Hintergrund. Dazu kommt, dass sich die Ereignisse in OLD in überhöhter Geschwindigkeit überschlagen, der Zuschauer wird quasi durch einen Großteil der Geschichte regelrecht gehetzt. Hier wird der Film seiner Ausgangsprämisse gerecht und „verliert keine Zeit“. Dies schadet aber extrem der psychologischen Vertiefung der Protagonisten.

Das Cast kann diese Tatsache auch nicht verbessern, da es von der Qualität sehr ungleich ist. Einige Darsteller spielen hervorragend (wie Abbey Lee, Thomas McKenzie oder auch Alex Wolff), andere wiederum nicht (etwa Vicky Krieps oder Aaron Pierre). Krieps‘ Stimme im Original ist wirklich Nerv tötend, denn sie ist von einer unglaublichen Monotonie getragen. Und das Duo Vicky Krieps – Gael Garcia Bernal will einfach nicht richtig funktionieren.

Einordung in Shyamalans Werk: ein Mash-up von THE VISIT und THE HAPPENING

OLD greift zwei Themen von früheren Shyamalan-Filmen auf und mischt diese miteinander: die Angst des Alterns und die Problematiken, die damit einhergehen (THE VISIT), sowie ein unerklärliches Naturphänomen, das über Menschen hereinbricht und zum Tode führt (THE HAPPENING). Shyamalan ist hier ein wahres Mash-up seiner eigenen Filme gelungen. Doch OLD hat noch mehr mit THE HAPPENING gemeinsam. Stellenweise wirkt der Film genauso B-Movie-mäßig wie Shyamalans Katastrophenfilm von 2008 und er verweigert fast jegliche Mystifizierung, obwohl es die Ausgangssituation gut ermöglichen würde. Wurden bei THE HAPPENING die Selbstmorde noch explizit gezeigt, so geht Shyamalan bei OLD subtiler vor. Er scheut beispielsweise den Blick auf die verweste Leiche einer Frau, schaut bei der Geburt eines Babys weg, beachtet nicht einmal den verstorbenen Hund. Einzig kleine wohldosierte Momente sorgen für einen Schock (etwa eine Aufnahme von einer völlig entstellten, ja zusammengefalteten Abbey Lee oder von einem sterbenden Rufus Sewell). Diese Gratwanderung zwischen expliziten und impliziten Bildern hat man bei Shyamalan sehr oft.

Weitere Themen und Aspekte, die OLD in Shyamalans Werk verankern, sind die Bedeutung und Aufgeschlossenheit der Kinder, der Zusammenhalt der Familie, die Überlegenheit der Natur. Aber grundsätzlich befindet sich das Werk in der Kontinuität der Filme des „neuen“ Shyamalan seit 2015: Er ist weniger altmeisterlich in der Inszenierung als die Filme zuvor, enthält einige naiv-jungenhafte, fast lächerliche Passagen, sprüht aber gleichzeitig eine ungeheure Kreativität und auch Originalität aus. Im Grunde passt Shyamalan seinen Stil damit der Zeit an, dem Rhythmus und den Erwartungen einer jungen Generation von Zuschauern.

Zu dieser Kreativität und Originalität zählen einige visuelle Experimente, die Shyamalan zum ersten Mal filmisch umsetzt: die Kurzsichtigkeit einer gealterten Figur, welche sich durch verschwommene POV-Shots erkennbar macht, sowie die Teiltaubheit einer weiteren Protagonistin, welche sich durch eine geniale Tonlosigkeit manifestiert. Auch die progressive Verwandlung einer hübschen jungen Frau in ein ästhetisches Monster ist absolut sehenswert.

Darüber hinaus hat Shyamalan wieder einmal seinen typischen Cameo-Auftritt in OLD, der diesmal umfangreicher ausgefallen ist als noch in SPLIT oder GLASS. Die Rolle ähnelt der in DAS MÄDCHEN AUS DEM WASSER (2006), nur dass Shyamalan diesmal nicht als Autor auftritt sondern als der Regisseur des Films. Und man achte auch auf die starke, symbolische Verwendung der Farbe Violett – im christlichen Glauben ein Zeichen für Besinnung und Buße (Shyamalan wurde teils katholisch erzogen).

Auch findet sich eine gewisse Gesellschaftskritik in dem Film wieder – genau wie auch schon bei THE VISIT, SPLIT und GLASS zuvor –, diesmal an dem Konzept des Massentourismus und der Ausbeutung der Natur durch den Menschen. Wäre da nur nicht das Ende …

Der Twist: Shyamalans Katastrophe

Das Ende von OLD, ein etwas liebloser finaler Twist, zerstört (leider) den kompletten Film. Als langjähriger Kenner und Beobachter von Shyamalans Karriere hätte selbst ich ihm nicht ein dermaßen schlechtes Ende zugetraut. Er hat die schlimmste aller Entscheidungen getroffen: dem unerklärlichen Phänomen am Strand eine (rationale) Erklärung zu geben! Die Macher der Graphic Novel waren klug genug, dies nicht zu tun. Und das ist auch gerade das, was die Vorlage von dem Film unterscheidet und um vieles besser macht.

Kein Ende eines Shyamalan-Films war je so Mainstream, keines je so langweilig, keines je so an den Haaren herbeigezogen. Stellt sich die Frage: Hat Shyamalan hier tatsächlich das Ende selbst inszeniert? Oder ist hier der große Twist, dass es ein anderer Regisseur war? Es liegen Welten zwischen der Inszenierung am Strand und der Inszenierung dieses haarsträubenden Finales. Man hat letztendlich den Eindruck, einem ganz anderen Film beizuwohnen, in dem die bis jetzt sorgfältig erzählte Geschichte einer plumpen Überdeutlichkeit weicht. Das Ende ist ein wahrer Bruch im Rhythmus des Films.

Angeblich wusste Shyamalan bis einen Monat vor dem Kinorelease nicht genau, wie er die Geschichte beenden sollte. Was an sich schon einmal ein schlechtes Zeichen ist. Doch bei all der Reflexion hat er sich wohl tatsächlich für die schlechteste Variante entschieden. Es wäre interessant, die alternativen Enden zu sehen. Vielleicht später dann auf dem Bonusmaterial der Blu-Ray.

So bleibt am Ende – trotz vieler gelungener Sequenzen und Kamerafahrten – vor allem eine große Enttäuschung: Shyamalan löst das Zeiträtsel auf fatale Art und Weise auf und entzaubert damit den gesamten Film.

Adrian Gmelch ist Autor des Filmbuches „Die Neuerfindung des M. Night Shyamalan“ (Büchner, 2021).

Bilder: © 2021 Universal Studios. All Rights Reserved.
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Old, USA 2021 | Regie: M. Night Shyamalan | Drehbuch: M. Night Shyamalan, nach der Graphic Novel von Frederick Peeters und Pierre-Oscar Lévy | Kamera: Mike Gioulakis | Musik: Trevor Gureckis | Darsteller: Gael Garcia Bernal, Vicky Krieps, Rufus Sewell, Alex Wolff, Abbey Lee, u.a. | Laufzeit: 108 Min.