Nullpunkt - Ich bin dein Killer

Nullpunkt – Ich bin dein Killer

Von Matthias Künnecke

Ja, es gab sie, Regisseure, die während der Ära des Neuen Deutschen Films versuchten, Genres wie Krimi, Thriller oder gar Phantastisches mit der individuellen Gestaltung eines Autorenfilms zu verbinden. In der Mehrzahl verloren sich ihre Werke allerdings zwischen U- und E-Kino oder wurden von der zeitgenössischen Kritik, aus heutiger Sicht oft zu Unrecht, niedergeschrieben. Hans W. Geißendörfer, Peter Schamoni, Wolf Gremm und andere können davon ein Liedchen singen. Dass der noch immer aktive Jochen Richter, Regisseur einer knappen Handvoll Kinofilme, zahlreicher Fernsehspiele und Dokumentationen, heute namentlich nicht so bekannt ist wie viele seiner Kollegen, liegt sicher nicht zuletzt daran, dass sein Werk zwischen Filmkunst und Genrekino nicht so recht Platz fand. Das Ostalgica-Label hat jetzt einen seiner Filme aus der Versenkung geholt und mit gleich zwei Bonusfilmen zur „Jochen-Richter-Edition“ erweitert.

Nullpunkt_PosterDer 1941 geborene Richter studierte Theaterwissenschaften und realisierte erste Kurzfilme am Vorläufer der Hochschule für Film und Fernsehen in München. Neben seiner Arbeit als freier Regisseur, Autor, Kameramann und Produzent war er auch lange für das Bayerische Fernsehen und die Filmproduktion von Willy Bogner tätig. Bereits sein erster Kinofilm, die unkonventionelle Gangsterstory DIE AMEISEN KOMMEN (1972), orientierte sich an französischen Vorbildern und hatte mit Marc Porel und Ferdy Mayne zwei aus internationalen Genrefilmen bekannte Darsteller zu bieten. Sein nächstes Kinowerk, UMARMUNGEN UND ANDERE SACHEN (1975), bot Sydne Rome, Jean-Pierre Léaud und Anny Duperey auf, in einer Krimikomödie um die Beute aus einem Banküberfall und eine ungewöhnliche Wohngemeinschaft im tiefsten Niederbayern.

Auch Richters dritter Kinofilm, NULLPUNKT (1982), ist ein Krimi, den der Regisseur und Autor dazu nutzte, eine Reihe interessanter Typen und Milieus zwischen High Society und Rotlicht genauer zu betrachten. Jeff Brunner (Hans Peter Hallwachs) ist ein ständig vom Gerichtsvollzieher behelligter Ganove, der für Peep-Show-Betreiber „Didi“ (Roger Fritz) halbseidene Aufträge erledigt. Aus der Beschaffung des für einen Scheidungsfall wichtigen Briefwechsels wird unversehens ein Mordauftrag an der dazugehörigen Ehefrau. Kompliziert wird die Angelegenheit, als Jeff und sein potentielles Opfer sich ineinander verlieben.

Darauf, dass NULLPUNKT auch für eine internationale Auswertung vorgesehen war, deutet die Besetzung von Victoria Tennant und James Faulkner hin, zwei nicht ganz unbekannten britischen Schauspielern. Die hinreißend schöne Tennant kennt man aus diversen englischen und amerikanischen Produktionen, u.a. SOLO FÜR ZWEI (mit Co-Star Steve Martin war sie einige Jahre verheiratet). Hans Peter Hallwachs gibt eine seiner typisch lässigen, Belmondo-esken Darbietungen jener Jahre, dem Österreicher Heinz Trixner und dem Briten James Faulkner gelingen nuancierte Darstellungen von Figuren, die weniger talentierte Schauspieler als reine Bösewichter angelegt hätten. Wegen seiner internationalen Besetzung wurde der Film deutsch nachsynchronisiert, was ihm leider ein wenig von seiner ansonsten überzeugenden Natürlichkeit und Unmittelbarkeit nimmt. Dass Ostalgica NULLPUNKT jetzt mit einer DVD-Veröffentlichung vor der Vergessenheit bewahrt, ist erfreulich und durchaus berechtigt. Auch wenn der Film nach heutigen Sehgewohnheiten sicher Längen besitzt, kann man an ihm wunderbar nachvollziehen, mit welcher Kreativität und Detailverliebtheit in Sachen Stimmungen, Locations und Musikeinsatz damals gearbeitet wurde.

Mindestens so interessant wie NULLPUNKT ist auch EURYDIKE, der erste der beiden Bonusfilme auf der DVD. Hierbei handelt es sich um einen Fernsehfilm, den Jochen Richter 1978 für die Reihe „Die literarische Filmerzählung“ des Bayerischen Rundfunks drehte. Er basiert auf der Science-Fiction-Kurzgeschichte „Das Mädchen aus Nirgendwo“ des Autors George Langelaan, der mit einer anderen Story, „Die Fliege“, die Vorlage zum erfolgreichen gleichnamigen Kino-Franchise schuf. In EURYDIKE entdeckt ein Atomphysiker, dass er mit seinem Fernsehgerät in Kontakt mit Menschen treten kann, die im Zentrum der Atombombenexplosion in Nagasaki ums Leben kamen. Er verliebt sich in ein Mädchen, das ihm immer wieder auf dem Fernsehschirm erscheint und entscheidet in seiner Verzweiflung, sich in ihre Dimension zu begeben. So wie Orpheus in der griechischen Mythologie macht er sich auf die Reise zu seiner Eurydike und löst damit eine Katastrophe aus.

Jochen Richter hält sich in seinem Drehbruch eng an die literarische Vorlage und verlegt lediglich die Handlung von England nach Deutschland. Mit sicherer Hand gelingt ihm die Umsetzung einer beinahe surrealen Geschichte in einen spannenden Film, der an ähnliche SF-Sujets aus dem Ostblock erinnert. Heinz Trixner, auch in NULLPUNKT zu sehen, überzeugt in einer Doppelrolle und trägt große Teile des Filmes auf seinen Schultern. Durch starke Drehorte und pointierten Einsatz unterschiedlichster Musik aus Klassik und Jazz (sowas wäre im deutschen TV heute wohl nicht mehr möglich) entstehen Sequenzen, die im Gedächtnis bleiben.

Nullpunkt_1Beim dritten Film auf der DVD, GEBURT DER HEXE, führte Theaterregisseur Wilfried Minks Regie, Jochen Richter war hier Co-Produzent und Kameramann. Der im mittelalterlichen Kastilien spielende Film erinnert mit seinen kargen, aber dennoch starken Bildern und dem spröden Spiel der Darsteller (zum Teil lokale Laien) an ähnlich geartete italienische Filme, z.B. der Gebrüder Taviani. Hauptdarstellerin Ulla Berkéwicz, damals mit Regisseur Minks verheiratet, ist heute als Schriftstellerin bekannt und machte Schlagzeilen, als sie als Witwe des Verlegers Siegfried Unseld die Leitung des Suhrkamp Verlags übernahm. Hier spielt sie eine junge Bäuerin, die sich gegen Herrscher und Klerus auflehnt, als Hexe verfemt und getötet wird, und letztendlich als Märtyrerin einen Aufstand gegen die Despotie auslöst.

So sehr dem Ostalgica-Label für die Veröffentlichung dieser äußerst seltenen Filme zu danken ist, so muss man leider auch fragen, warum in die Edition als Ganzes so wenig Liebe und Detailarbeit geflossen ist. Wenn sich drei abendfüllende Filme auf einer DVD befinden, ist klar, dass man keine großen Ansprüche an die Bildqualität stellen darf, und so hat man es hier auch mit drei mehr oder weniger schwammigen Mastern und hier und da auch digitalen Bildfehlern zu tun. Bei EURYDIKE ärgert zudem ein verpixeltes Senderlogo über die gesamte Filmlänge am oberen Bildrand. Sowas dürfte nicht Bestandteil einer kommerziellen Filmveröffentlichung sein. Trotz allem sind alle drei Filme, wenn man nicht zu hohe Ansprüche stellt, zumindest anschaubar.

Leider gibt es keinerlei Bonusmaterial, was ebenfalls verwundert, da davon auszugehen ist, dass Jochen Richter sicher für ein Interview oder Erläuterungen zur Verfügung gestanden hätte. Lediglich zwei Beiblätter finden sich im Amaray zur DVD, die allerdings keinerlei Text, sondern nur (sehr schlechte) Grafik enthalten. So bleibt als Nachgeschmack einer an sich begrüßenswerten Veröffentlichung verständnisloses Kopfschütteln. Schade drum!

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Nullpunkt | BRD 1979 | Regie: Jochen Richter | Darsteller: Hans Peter Hallwachs, Victoria Tennant, Heinz Trixner, James Faulkner, Roger Fritz u.a.

Anbieter: Ostalgica / Media Target Distribution