Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Von Gerd Naumann

THE ISLAND OF DR. MOREAU (DIE INSEL DES DR. MOREAU) entstand 1977 für die Produktionsfirma American International Pictures, kurz AIP. Diese zeichnete bis dahin nicht nur für zahlreiche äußerst erfolgreiche B-Produktionen verantwortlich, sondern hatte mit Roger Cormans Edgar-Allan-Poe-Adaptionen ebenso künstlerisch hochranginge Genreproduktionen vorzuweisen. Ende der 1970er Jahre sollten den Poe-Umsetzungen nunmehr Verfilmungen von Romanen des britischen Science-Fiction-Autors H. G. Wells folgen. THE ISLAND OF DR. MOREAU bildete den mittleren Teil einer Wells-Trilogie der AIP, die mit THE FOOD OF THE GODS (DIE INSEL DER UNGEHEUER / 1976) begann und mit EMPIRE OF THE ANTS (IN DER GEWALT DER RIESENAMEISEN / 1977) endete. Für den ersten und letzten Beitrag der Trilogie zeichnete jeweils Bert I. Gordon als Regisseur verantwortlich, der bereits einige Jahrzehnte Produktions-, Drehbuch- und Regieerfahrung im Bereich des Phantastischen Films besaß. Gordon übernahm entsprechend nicht nur die Regie, sondern war bei diesen beiden Filmen gleichsam mit für das Drehbuch verantwortlich. Seine Adaptionen entsprachen allerdings nicht dem kritisch-phantastischen Geist der Vorlagen von Wells, sondern waren ganz auf die Bedürfnisse des Genrepublikums Ende der 1970er Jahre zugeschnitten. Die Filme nahmen Anleihen bei der sich damals bereits im Abklingen befindenden Katastrophenfilmwelle, wie auch bei dem gerade populär werdenden Genre der Tierhorrorfilme. Gordon und AIP gingen insgesamt sehr frei mit den Literaturvorlagen um, der Name Wells diente lediglich als kassenträchtiges Zugpferd.

Etwas anders verhält es sich bei THE ISLAND OF DR. MOREAU, der im Vergleich zum ersten und letzten Beitrag der AIP-Trilogie auf einer wesentlich populäreren Vorlage von Wells basiert. Nicht zuletzt durch die von Erle C. Kenton inszenierte meisterhafte Verfilmung von 1932 (ISLAND OF LOST SOULS) hatten die Fabel und ihr gesellschaftskritischer Unterton bereits eine gewisse Verbreitung im kulturellen Bewusstsein gefunden, so dass ein allzu freier Umgang mit dem Stoff sicherlich für Irritationen gesorgt hätte. Die Motive der zu Beginn des 20. Jahrhunderts angesiedelten Vorlage sind zum überwiegenden Teil vorhanden. Einen Schiffbrüchigen verschlägt es auf eine einsam gelegene Insel. Hier lebt und forscht der Wissenschaftler Dr. Moreau, der den Neuankömmling zunächst, so hat es den Anschein, wohlwollend aufnimmt. Schnell macht der Schiffbrüchige nicht nur Bekanntschaft mit einer geheimnisvollen exotischen Schönheit, sondern auch den Ergebnissen von Moreaus Experimenten. Durch seine gewissenhafte, wenngleich ethisch fragwürdige Arbeit ist es dem isoliert lebenden Wissenschaftler gelungen, aus Tieren menschenähnliche Wesen zu erschaffen. Deren animalischer Instinkt lässt sich jedoch nicht ausmerzen, weshalb die Wesen nach einem strikten, von Moreau diktierten Gesetz zu leben haben. Weder ist es ihnen erlaubt zu töten und Fleisch zu sich zu nehmen, noch in sonstige tierische Verhaltensmuster zurück zu fallen. Unterstützt durch seinen trinkfesten Handlanger Montgomery achtet Moreau penibel auf die Einhaltung dieser Gesetze. Wer dagegen verstößt, der muss zurück ins „Haus der Schmerzen“…

Über weite Strecken wirkt die von Hollywoodveteran Don Taylor inszenierte Moreau-Fassung wie ein handzahmes Remake der gnadenlosen Paramount-Verfilmung von 1932. Der unberechenbare Wahnsinn des vormals von Charles Laughton dargestellten Dr. Moreau weicht der nüchtern angelegten Interpretation Burt Lancasters. Sein Moreau ist ein berechnender und ganz auf die Arbeit fokussierter Wissenschaftler, der allein aus kühlem Erkenntnisinteresse handelt und wirkt. Laughton dagegen war ein zynischer Sadist, ein Tyrann, der Gefallen an der Rolle des Inselherrschers gefunden hatte. War Laughton der exzentrische Inselgott, so ist Lancaster ein dienstbeflissener Angestellter des Fortschritts. Gänzlich verschwunden sind der sexuelle Unterton sowie jene mehrdeutig zu lesenden Momente der geschlechterspezifischen Irritationen. Der von Michael York gespielte schiffbrüchige Andrew Braddock trifft auf die von Barbara Carrera darstellte Maria. Rasch entwickelt sich eine sexuelle Beziehung zwischen den beiden und sie verlieben sich. Carrera ist dabei eine typische 1970er-Jahre-Filmschönheit, der jene bedrohliche Aura von Kathleen Burke fehlt, die 1932 die „Pantherfrau“ Lota darstellte. Das androgyne Wesen Lotas übte ehedem einen nahezu hypnotisch zu nennenden Einfluss auf den „All-American Boy“ Edward Parker, hier von Richard Arlen gespielt, aus. Spürbar war die Anziehungskraft zwischen dem naiv-heldenmütigen Parker und der geheimnisvollen Dschungelschönheit Lota. Bei allen kulturellen Gegensätzen hatte die angedeutete Beziehung der beiden durchaus etwas reines und edelmütiges. Wenn Parker nicht seiner Verlobten treu geblieben wäre… Im Jahre 1977 durfte es auf der Leinwand letztendlich zur Vereinigung von Braddock und Maria kommen. Zwischen York und Carrera entsteht aber kein Funken, die Darstellung und Inszenierung bleiben oberflächlich, um nicht zu sagen züchtig. Bei aller nackten Haut dringt diese Verfilmung nicht tiefer in psychologische Subebenen vor.

Die Darstellung der Dschungelwesen ist in beiden Verfilmungen maskentechnisch bemerkenswert, wenngleich ihnen bei Don Taylor die archaische Bedrohlichkeit abhandengekommen ist. Erle C. Kenton wusste die Darsteller in ihren Masken präziser einzusetzen, allen voran den ikonenhaften Bela Lugosi. Dieser gab den „Hüter des Gesetzes“ mit einem würdevollen, königlichen Impetus, wenngleich zu jeder Zeit der innere Kampf zwischen Tier und Mensch dieser armen Kreatur zu spüren war. Bei Taylor sind die Wesen reine Schablonen, die ihre Funktion innerhalb der filmischen Erzählung zu erfüllen haben. Seine Tierwesen bleiben blass und in ihrer psychologischen Motivation nicht durchweg greifbar, bei Kenton durchleiden wir ihr Schicksal mit und begreifen ihre Taten.

Die Handlungen der Tier-Mensch-Wesen sind zugleich der größte Unterschied zwischen beiden Verfilmungen. Das Ende Moreaus wird in der Verfilmung von 1977 erstaunlich beiläufig inszeniert, sein Tod hat kaum nennenswerte Auswirkungen auf den Fortlauf der Erzählung. Als sie erkennen, dass Moreau gestorben ist, stürmen die Wesen das Labor und die Stallungen, zerstören das „Haus der Schmerzen“, in dem sie einst vom Tier zum Tier-Mensch-Wesen wurden. Auch im Moment der Erstürmung fühlen sie sich noch als Menschen. In ihrem Wahn ignorieren sie die jedoch Bedrohlichkeit der Natur und befreien ebenfalls die wilden, noch nicht durch Moreaus Einfluss transformierten Raubtiere. Es kommt zu einem Kampf zwischen Tier-Mensch-Wesen und Raubtieren, an dessen Ende die rohe animalische Zerstörungskraft der Natur obsiegt. Die Verfilmung von 1932 geht hier einen Schritt weiter, ist wesentlich grausamer und konsequenter. Moreau wird selbst das Opfer seiner wissenschaftlichen Experimente, von den Tier-Mensch-Wesen ins „Haus der Schmerzen“ verschleppt lässt er sein Leben. Im Unterschied zu Taylor, der die Wesen an ihrer eigenen Barmherzigkeit zugrunde gehen lässt, lernen diese bei Kenton ein ureigenes menschliches Gefühl – die Rache. Menschsein, das heißt eben auch, die Befähigung zur Grausamkeit zu besitzen.

Die Moreau-Variante von AIP ist letztendlich ein eigenwilliger Hybrid aus Horrorfilm, Literaturadaption und Dschungeldrama, die gerade aufgrund dieses erzählerischen Spagats fraglos ihre Existenzberechtigung hat. Die Vorzüge dieser Verfilmung liegen weniger auf der inhaltlichen, sondern mehr auf der ästhetischen Seite. Das Dschungelambiente ist hervorragend eingefangen, die Kameraarbeit atmet den Geist der späten 1970er Jahre. Darsteller wir Nigel Davenport als Montgomery leisten schauspielerische Kabinettstückchen. Und auch wenn Barbara Carrera die besondere Ausstrahlung von Kathleen Burke fehlt, so strahlt ihre Leinwandpräsenz den wohlig-vertrauten Charme jener Ära aus. Hervorzuheben ist die betont nüchterne Darstellung der Leinwandikone Burt Lancaster, dessen glorreiche Hollwoodvergangenheit in jeder Szene mitschwingt und dem Film dadurch einen zusätzlichen Glanz verleiht. Don Taylors THE ISLAND OF DR. MOREAU ist kein durchweg geglückter, aber doch sehenswerter Genrefilm, dem zusätzlich die mittlerweile filmhistorische Patina der 1970er-Jahre gut zu Gesicht steht.

Erschienen ist THE ISLAND OF DR. MOREAU in einer lohnenswerten Veröffentlichung von NSM Records. Filminteressierte haben hier die Wahl zwischen den Mediabook-Veröffentlichungen und der Standard-Amaray.

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The Island of Dr. Moreau | Regie: Don Taylor | Darsteller: Burt Lancaster, Michael York, Nigel Davenport, Barbara Carrera, Richard Basehart, Nick Cravat u.a.

Anbieter: NSM Records