Zürich Film Festival 2019: Wasp Network

Zürich Film Festival 2019: Wasp Network

Von Michael Kathe

Filme über das kommunistische Kuba gibt‘s im Westen einige. Die meisten drehen sich um den Triumph der gerechten Revolution, die den Diktator Fulgencio Batista in die Wüste schickte. Etwa HAVANNA (1990, Regie: Sydney Pollack) mit Lena Olin und Robert Redford, Stephen Soderberghs Zweiteiler CHE (2008, mit Benicio Del Toro) oder der schöne Richard-Lester-Film EXPLOSION IN CUBA (1979) mit Sean Connery.

WASPnetwork_Poster1Doch nach all den Jahrzehnten, in denen Kuba wirtschaftlich kaum vom Fleck kam und die Utopie der guten Revolution kaum noch aufrecht erhalten kann, während andere linke revolutionäre Utopien sich oft in ihr Gegenteil verkehrten (als jüngstes Beispiel mag der Ortega-Clan in Nicaragua dienen), schwand im Westen auch das Interesse am Karibikkommunismus. Kuba wird im liberalen Diskurs kampflos den Kämpfern für harte Sanktionen und Einführung des Kapitalismus überlassen.

Nun hat Regietausendsassa Olivier Assayas eine völlig andere historische Begebenheit des Landes als die 59er Revolution zu einem Politthriller verarbeitet. THE WASP NETWORK führt uns in die Welt des postsowjetischen Kuba. Nachdem die Sowjetunion 1991 unter den Veränderungen Michail Gorbatschows implodierte, verlor Kuba die finanzielle Stütze der alternativ berechneten Wirtschaftsgeschäfte und brach unter dem marktkapitalistischen Bedingen beinahe zusammen. Kuba war in der Krise, die USA dehnten ihr Handelsembargo immer stärker aus, das Überleben des kommunistischen Landes stand auf der Kippe. Fidel Castros Losung „Sozialismus oder Tod“ war in aller Munde. Der Untergang des sozialistischen Systems schien auch in Kuba kurz bevorzustehen.

In dieser Situation versuchten exilkubanische Organisationen verstärkt mit allen möglichen legalen und illegalen Mitteln, Kuba zu schwächen: Von Flugblätterabwürfen über Havanna, über Bombenanschläge und terroristische Aktionen in den Tourismuszentren Kubas bis hin zu Attentatsplänen auf Fidel Castro.

WASPnetwork_3Um sich dagegen zu wehren, infiltrierte die kubanische Regierung die exilkubanischen Organisationen. Sie baute mit ihren Agenten ein Netz von angeblichen Überläufern in Florida auf, die dank ihrer Fähigkeiten schnell in die radikalen Exilorganisationen aufgenommen und mit „Aufgaben“ bedacht wurden. Der Film beginnt mit jenen „Überläufern“. Ein kubanischer Pilot flüchtet nach Florida, ein hoher Militär setzt sich nach Guantanamo ab, bejubelt von den exilkubanischen Medien und der US-Regierung.

Dass die Überläufer in Wahrheit gar keine sind, führt auch zu emotionalen Problemen, mit zurückgelassenen Familien und Geliebten, aber auch mit neuen Beziehungen in Florida. Assayas zeichnet die Geschichte von Anfang an sehr menschlich, er porträtiert die Familien der „Überläufer“, die von nichts wissen dürfen, zeigt die neue Situation in Miami – all das mit der vollen Wucht und Brisanz des Politischen und des Militärischen. So wie wir das aus einigen anderen Filmen von Assayas kennen, suhlt er sich darin, die Vielschichtigkeit der Diskurse aufzuzeigen. In einem durchaus schnellen, manchmal leicht hektischen Erzähltempo. Sollen die kubanischen MiG-Abfangjäger die kleinen Cessnas abschießen, die den kubanischen Luftraum verletzen und über Havanna antikommunistische Flugblätter abwerfen? Was passiert mit den Familien der vermeintlichen Überläufer, die im eigenen Land als Verräter beschimpft werden? Wie kommen die Spione an die exilkubanischen Führer heran? Wann greifen die Abhöranlagen des FBI?

WASPnetwork_2Der gut recherchierte, auf dem faktischen Roman „Die letzten Soldaten des Kalten Krieges“ des preisgekrönten brasilianischen Journalisten Fernando Morais basierende Politthriller operiert mit einem Staraufgebot an spanischen und lateinamerikanischen Schauspielern wie Penelope Cruz, Gael Garcia Bernal, Wagner Moura oder Edgar Ramirez. Trotz kritischen Tönen auch gegenüber der kubanischen Regierung konnte Assayas die heruntergekommene Schönheit Havannas (und anderer Orte in Kuba) an den Originalschauplätzen drehen (dafür wurde ihm die Dreherlaubnis in Miami verweigert). Wie es sich für einen Spionagefilm gehört, sind auch die „Actionszenen“, in diesem Fall vor allem Flugzeugszenen, dynamisch gedreht.

Wenn René Gonzales (Edgar Ramirez) mit einem gestohlenen Kleinflugzeug nach Miami fliegt und sich zum Überläufer erklärt, ist das ein Riesenschock für seine Frau (Penelope Cruz) und das kleine Töchterchen Irma, die er sich selber überlässt. Klein Irma wird eine schwere Jugend haben, stets als Tochter eines Verräters gebrandmarkt. René kommt bald in Kontakt mit José Basulto (Leonardo Sbaraglia), einem „Schweinebucht“-Veteran, der mit seiner gerade gegründeten Gruppe „Brothers to the rescue“ etwas weiter geht als seine offizielle Definition einer „humanitären Organisation“. Für ihn fliegt René. Auf den Abwurf von Flugzetteln über Havanna folgen auch mal verdeckte Aktionen nach Mittelamerika, wo Geld und Drogen getauscht werden. Der in den USA gefeierte Überläufer Juan Pablo Roque (Wagner Moura, NARCOS) heiratet in Florida, behauptet telegen, dass er nicht aus Kuba geflohen sei, um in Miami als Verlierer zu enden. So glaubwürdig lebt er den amerikanischen Traum in der kubanischen Community, dass man sich fragt, weshalb er ideologisch immer noch zur kommunistischen Mangelwirtschaft hält.

WASPnetwork_Poster2Der zweistündige WASP NETWORK hätte durchaus mehr Länge und weniger hektische Schnitte inkl. schneller Informationsvergabe vertragen. Eine Länge wie Assayas‘ Biographie des venezolanischen Terroristen CARLOS – DER SCHAKAL (2010). Doch in der vorliegenden Form wird zumindest Assayas‘ Absicht als Hin- und Herflirren zwischen großem (staats-) politischem Einsatz und privatem Leben deutlich. Nicht jeder eignet sich zu diesem Leben als Spion, bei anderen verwundert es mehr als nicht. Am Ende erzählt WASP NETWORK ausführlich die große Geschichte der „Cuban Five“, beinahe in Scorseses Größe – aber dann eben doch etwas zu hektisch und zu kalt.

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Wasp Network | Frankreich/Belgien/Spanien/Brasilien 2019 | Regie: Olivier Assayas | Kamera: Denis Lenoir | Darsteller: Penelope Cruz, Edgar Ramirez, Wagner Moura, Ana de Armas, Gael Gacia Bernal u.a. | Laufzeit: 123 min.

Der Film lief am ZFF 2019.