Foxtrott

Foxtrot – Tödliches Inselparadies

Von Christopher Klaese

Vier Menschen auf einem abgeschotteten Eiland fernab der Zivilisation. Doch statt der Ruhe finden sie zu sich selbst. Es ist nichts, worüber sie sich freuen könnten – es ist der Beginn ihres Untergangs!

Graf Liviu Milescu (Peter O’Toole) und seine hübsche Frau Julia (Charlotte Rampling) suchen, begleitet von Diener Eusebio (Jorge Luke), auf einer einsamen Insel Zuflucht vor dem dräuenden Weltkrieg. Larsen, des Grafen Sachwalter, beauf­sichtigt den Bau der Unterkunft – ein rotes Zelt, gemacht wie aus Römerzeit, ein Pa­radies auf Erden. Doch die Ruhe wird jäh unterbrochen, als eine vergnügungssüch­tige Gesellschaft, die nur Gelage im Sinn hat, ebenfalls auf der Insel anlandet. Den Ankömmlingen gelingt es innerhalb kürzester Zeit, die Atmosphäre des Inselparadie­ses mit gefährlichen Intrigen zu vergiften. Nach der Abreise der Partygäste, dem ausbleibenden Versorgungsschiff und einem zurückgelassenen Gewehr entlädt sich das unheilvolle Treiben in einer Eskalation aus Niedertracht und Gewalt – die Insel wird Schauplatz einer Tragödie aus Blut und Tränen!

Cover-FOXTROT_webArturo Ripstein, noch nie ein Verfechter der Publikumsfreundlichkeit, setzt hier in bester Beckett-Manier sein eigenes „Warten auf Godot“ in Szene. In langen Einstel­lungen und epischer Ruhe lässt er seine Schauspieler durch eine weltentrückte Sze­nerie wandeln. Nichts scheint sich mehr als wichtig zu erweisen, diese Gesellschaft ist der Welt nicht nur räumlich abhandengekommen. Was als Liebesdrama beginnt – angereichert mit Tagträumen und einigen Fantastereien aus dem Bermuda-Dreieck – entwickelt sich zum Thriller, gebiert jedoch zuletzt nicht weniger als eine komplette Infragestellung des menschlichen Seins. Wer ist Koch, wer ist Kellner – was ist wahr, was ist falsch. Ripstein zieht – von selbstreflexiven Inserts aus Fritz Langs DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (1933) und dem Laurel & Hardy-Stummfilm BIG BUSINESS / DAS GROSSE GESCHÄFT (1928/1929) mal abgesehen, selbst in gen­rebedingt aktionsorientierten Szenen den Strick um die Personen mit geradezu ener­vierender Lethargie unaufhörlich zu … und wie bei Beckett wird „Godot“ zum Syno­nym für „Alles oder nichts“!

Die Schauspieler, allen voran Peter O’Toole, sind wie geschaffen für Ihre Charaktere. O’Toole, dessen jahrelanger Alkoholismus sich hier bereits „en face“ abzeichnete, scheint diesen Grafen nicht nur zu spielen – er ist es! Sich zunächst auf seine Her­kunft als natürliche Autorität berufend, fällt ihm mit dem geschenkten Gewehr schließlich in Realität das Gewaltmonopol zu; er nutzt es, doch man weiß nicht wofür. Er schießt, aber stets wie in Trance. Die bildhübsche Charlotte Rampling entwickelt sich klandestin vom willfährigen Anhängsel zum zentralen Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Auch sie hebt den Stoff auf eine Metaebene, die eine wirkliche Fassbar­keit verhindert. Max von Sydow, der ‚Bergman-Schrank‘ aus Schweden, liefert ebenso wie Jorge Luke eine hochinteressante Performance ab – jeder hat seine ‚Lei­che im Sand‘, die Insel sieht den vier Darstellern voller Spannung beim ‚Sein‘ zu!

In eine ähnlich nonkonformistische ‚Kerbe‘ schlägt der Soundtrack von Pete Rugolo, der sich als Third-Stream-Künstler und Jazzkomponist einen Namen gemacht hatte und immer mal Abstecher ins Filmbusiness vollführte. Die erste szenenspezifische Filmmusik, eine wehmütig-laszive Melodie für solistische Flöte und Gitarre, erklingt erst nach 73 Minuten – und bis zum Schluss wird diese nur noch lediglich zweimal in die Handlung eingestreut. Ansonsten setzt es samt und sonders filmisch motivierte Klänge aus dem Grammophon des Grafen: neben dem titelgebenden Foxtrott, des­sen Lyrics das legendäre Komponistengespann Jay Livingston & Ray Evans ersann, verwendet Rugolo die im sympathischen Big-Band-Sound der 1940er aufbereiteten Songs „Please“, „Out Of Nowhere“, „Isn‘t It Romantic“, „Lousie“ und „Cocktails For Two“. Es swingt und lullt ein, es konterkariert die sonstige Stimmung des Filmes – es ist eine notierenswerte Tonspur, die sich den Akteuren hinzugesellt.

Der menschenleere Drehort Cabo San Lucas an der äußersten Südspitze der zu Me­xiko gehörenden Halbinsel Niederkalifornien bietet die rechte Kulisse für diese Ver­suchsanordnung. Kameramann Álex Phillips Jr. taucht den El-Arco-Felsen in perlen­des Technicolor, nimmt die Schönheiten von Flora und Fauna zwar auf, verliert je­doch nie den Blick für das Wesentliche. Das damalige Publikum konnte dem Film nicht viel abgewinnen, obwohl er eine honorige Besetzung aufwies und Roger Cor­man ihn für den US-Markt präsentierte. Eine nicht befriedigte Erwartungshaltung könnte das bestimmende Thema gewesen sein; da half auch ein Wiedereinsatz unter neuem Titel nicht mehr.

Die deutsche Synchronisation ist hochwertig. Sebastian Fischer, der O’Toole schon in dessen Welterfolgen LAWRENCE OF ARABIA (1962, LAWRENCE VON ARABIEN), LORD JIM (1965) oder THE NIGHT OF THE GENERALS (1966, DIE NACHT DER GENERALE) stimmlich doubelte, erweist sich erneut als Idealbesetzung. Seine Interaktion mit Holger Hagen, der Max von Sydow sein wandungsfähiges Organ leiht, hat große Klasse und lässt nicht ahnen, dass es sich hierbei um eine erst für den Videomarkt erstellte Bearbeitung handelt.

Die deutsche DVD-Erstveröffentlichung präsentiert den Film in ansprechender Qua­lität, wobei die Beurteilung der Schärfe – bedingt durch die sehr softe Fotografie des Streifens – schwer fällt, sich jedoch in gutem Rahmen bewegt; vereinzelte Kompres­sionsprobleme bleiben beim 1,85:1-Transfer die Ausnahme. Die deutsche Tonspur erklingt klar und plastisch, während der englische Originalton ein gewisses Maß an dumpfer Kulisse nicht verbergen kann. Bonusmaterial sucht man hier allerdings ver­gebens, „barebone“ gestaltet sich der mit Pappschuber und Wendecover versehene Release.

Was bleibt sind Fragen – und ein großes, rotes Luxuszelt auf einer gottverlassenen Insel. Die letzte Zigarre ist geraucht, der letzte Weiberrock gewendet. Welt und Zeit drehen sich unaufhörlich weiter, auf der Schellackplatte knarzt die Grammophonna­del. Der Foxtrott spielt, doch niemand tanzt; niemand – nie mehr. Letzte Rille … letzte Rille … Endlosrille!

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Foxtrot, Großbritannien/Mexiko 1976, R: Arturo Ripstein, D: Peter O’Toole, Charlotte Rampling, Max von Sydow, Jorge Luke, Claudio Brook, Helena Rojo

Anbieter: Exclusive Media