Triangle of Sadness & White Lotus (1. Staffel)

Triangle of Sadness & White Lotus (1. Staffel)

Von Michael Kathe

Die Goldene Palme von Cannes ist so etwas wie die Oscars für Cinephile. Tatsächlich gewinnen hier inzwischen meist wirklich gute, unkonventionelle Filme, die man sich auch gerne anschaut, die den Filmkonventionen immer mal wieder den Allerwertesten zeigen und die dem Feuilleton ein paar Triggerwarnungen aufzwingen. Das trifft auf den letztjährigen Gewinnerfilm TITANE genauso zu wie auf PARASITE in 2019 (2020 fand das Filmfestival nicht statt). Und so wurde heuer mit TRIANGLE OF SADNESS von Ruben Östlund auch wieder ein wunderschönes Exemplar modernen Filmschaffens ausgezeichnet, das sich – und auch das zeichnet die Palme d’Or-Gewinner der letzten Jahre aus – ausgiebig mit dem schlechten Zustand der Welt auseinandersetzt. Östlund gewinnt damit die Goldenen Palme bereits zum zweiten Mal, stand er doch mit der Gesellschaftssatire THE SQUARE schon 2017 auf dem Podest. Das macht ihn, nach nur drei Langfilmen, bereits zu einem der bedeutendsten Regisseure des 21. Jahrhunderts. Wow.

TRIANGLE OF SADNESS ist ein äußerst humorvoller und zugleich richtig epischer Film. Ein Zustand der Welt, der klein im Modelbusiness beginnt, auf einer Luxusyacht für Superreiche die ganze Problematik des heutigen Kapitalismus auffächert und schließlich auf einer Insel noch einen pessimistischen Twist draufsetzt. Die erste Szene hat es schon in sich, es ist quasi die Aushängeszene des Films, mit der auch der Trailer beginnt. Eine Gruppe männlicher Models wird von einem Fotografen angewiesen, abwechselnd mal den Balenciaga-Gesichtsausdruck aufzusetzen, mal das H&M-Gesicht. Düstere Deprofratze für Balenciaga, übertriebene Heiterkeit für H&M, auf Kommando perfekt inszeniert von den Models. Dabei geht es allerdings nicht um die perfekte, mechanische Umsetzung der Models („Entspanne dein Triangle of Sadness (über der Nasenpartie auf der Stirn)“), sondern bereits um die Definition der Klassengesellschaft im Verständnis des Fotografen. Die schlechter gestellten wollen einen fröhlichen Spiegel vorgesetzt bekommen, die Gutbetuchten brauchen die Reflektion im Leidvollen.

Nach einem kurzen Streit in einem Luxusrestaurant darüber, wer nun in Zeiten der Gleichberechtigung die Rechnung bezahlen soll, das männliche Model Carl (Harris Dickinson) oder die besser verdienende Topmodel-Influencer-Freundin Yaya (Charlbi Dean Kriek) landen die beiden auf einer Luxusyacht, auf der solche Fragen beinahe überflüssig werden. Denn das Kreuzfahrtschiffchen ist eine knallharte Klassengesellschaft, die den eigentlichen Kern der Gesellschaft ausmachen. Es gibt die Arbeiterschicht, die das Boot richtig zum Laufen bringen und körperlich arbeiten. Als einer der Arbeiter mit nacktem Oberkörper Yaya aus der Ferne ein wenig anmacht, protestiert Carl beim Personal – worauf der arme Schlucker sofort entlassen wird. Es gibt die Mittelschicht, das dienstleistende und servierende Personal, das die Hoffnung auf Trinkgelder mit einem gemeinsamen „Money! Money!“-Beschwörungsritual zu erfüllen sucht und natürlich alles umsetzt, was die Reichen an Spleens im Kopf haben. Und es gibt die Oberschicht, eine illustre Gemeinschaft. Ein russischer Oligarch, der sein Business mit „Ich verkaufe Scheiße“ definiert, ein gepflegtes altes Ehepaar aus Großbritannien, das seinen Reichtum aus Waffenproduktion schöpft und einige andere obskure superreiche Charaktere. Demgegenüber steht ein stets besoffener Kapitän (Woody Harrelson), ein amerikanischer Marxist, der längst nicht mehr das Schiff steuert und nur noch pro forma als Kapitän fungiert. Er ist die Marionette, die am „Captain‘s Dinner“ mit möglichst tiefem Alkoholpegel die Leute unterhalten soll.

Das Abendessen hat es in sich. Ein Sturm, der Alkohol und die edlen Speisen entfesseln ein gigantisches Chaos auf dem Schiff. Eine Kotzorgie, hinfallende Menschen, die in der Kotze herumrutschen, ein infernales Durcheinander, das Östlund weidlich auskostet. Nachdem Kapitän und Oligarch im Vollsuff über Lautsprecher noch eine Systemdebatte führen, bringt bereits ein Guerillaboot (die 3. Welt) die Yacht zum Kentern, und was sich dann mit den Überlebenden im dritten Teil des Films abspielt, eine Art Reorganisation der Gesellschaft, soll hier nicht gespoilert werden. Sieht man die ersten beiden Teile ganz marxistisch als These und Antithese, so wird die Synthese im dritten Teil überraschen.

In einem Ferienparadies für eine sehr reiche Mittel- und Oberschicht spielt auch die erfolgreiche HBO-Serie WHITE LOTUS, die sich in erster Linie mit den Irrungen und Absurditäten der Reichen im wundervollen White Lotus Spa auf Hawaii beschäftigt. Die frisch verheiratete Rachel (Alexandra Daddario) merkt schnell, dass ihr superreicher Ehemann Shane (Jake Lacy) psychopathische Züge trägt, doch seine Mutter beschwört die glücklos-ambitionierte Journalistin, dass sie sich in ihren Status als Trophy Wife einfügen soll. Die Mossbacher-Familie ist ein völlig dysfunktionales Gebilde, das sich in den Ferien zu finden versucht und grandios scheitert. In der Familie um die dynamische CFO eines Tech-Unternehmens (Connie Britton), die sich aufgeklärt und strebsam als Wegbereiterin einer gestärkten und gleichberechtigten Position der Frau in der Geschäftswelt sieht, poppen permanent Probleme auf, die auf äusserst witzige Weise die Bruchstellen der Mittel- und Oberschichten in unserer Gesellschaft aufzeigen. Tochter Olivia (Sydney Sweeney) hat ihre Freundin Paula (Brittany O’Grady) mitgenommen und die beiden Girls suhlen sich in Zynismus und Selbstherrlichkeit. Sie scheinen die Beobachterinnen einer Gesellschaftsschicht zu sein, die vor lauter Widersprüchen und Doppelmoral oft ein erbärmliches, clowneskes Theater abgibt, doch sie selbst fügen sich als sarkastische Jugendliche genauso in das Operettenspiel der Eitelkeiten ein, sind vielleicht gar eins der ekelhaftesten Elemente der Serie – denn ihre pseudo-p.c. Attitüde führt zu den größten Unglücken. Hektisch werden die beiden abgebrühten Teens erst, als ihr Seesack voller Drogen wegkommt und beim stets gutgelaunten, alle Macken der reichen Klientel meisternden Hotelmanager Armond (Murray Bartlett) landet. Statt sie zurückzugeben, hortet er die breite Palette an Drogen und „überredet“ seine jungen männlichen Angestellten, mit ihm wilde und sexgeladene Drogennächte zu verbringen. Demgegenüber macht sich Nicoles Mann Mark (Steve Zahn) mit seiner ständigen (verbalen) Selbstkasteiung und -findung die ganze Serie über mit seiner nach außen getragenen Sexualität lächerlich.

Als Paula sich nachts aus dem Zimmer schleicht und ihre Freundin Olivia „verrät“, weil sie mit einem Hawaiianischen Angestellten anbandelt, ist es nicht nur um die Freundschaft der beiden Girls geschehen, sondern ein ihrer totalen Dummheit geschuldetes Drama mit dem armen Mitarbeiter wird angefacht, ähnlich wie die hoffnungsvolle, afroamerikanische Spa-Angestellte Belinda (Natasha Rothwell) von der egomanen abgespaceten Millionärin Tanya (Jennifer Coolidge) stets mit einem Businessdeal hingehalten wird. Die Serie endet in einem Drama, wenngleich in einem viel kleineren als TRIANGLE OF SADNESS, und beleuchtet auf spritzige und äußerst scharf beobachtete Art ganz andere Facetten einer oberen Mittelschicht, die nur noch mit sich selber beschäftigt ist und lediglich Ignoranz den ärmeren Klassen gegenüber aufbringt. Ihre Problemchen, die keine sind, bauschen sie derart auf, dass sie zu großen Unglücken werden. Ihr Egoismus ermöglicht es ihnen nicht mehr, sich selbst in irgendeiner Form zu reflektieren oder gar, sich zu verändern.

Sowohl TRIANGLE OF SADNESS wie auch die Serie WHITE LOTUS zeigen auf ungeheuer amüsante Art, wie das in der (einst) „offenen Gesellschaft“ trotzdem bestehende Klassensystem längst zu einem pseudo-offenen Kastensystem geworden ist.

___________________________________________________________________

Triangle of Sadness, Schweden/UK/USA/Frankreich/Griechenland/Türkei 2022 | Regie und Drehbuch: Ruben Östlund | Kamera: Fredrik Wenzel | Darsteller: Harris Dickinson, Charlbi Dean Kriek, Woody Harrelson, Dolly DeLeon, Sunnyi Melles, Zlatko Buric, Iris Berben u.a. | Laufzeit: 147 min.

The White Lotus, USA 2021 | Regie, Idee, Drehbuch: Mike White | Musik: Cristobal Tapia de Veer | Kamera: Ben Kutchins | Darsteller: Murray Bartlett, Jake Lacy, Connie Britton, Fred Hechinger, Sydney Sweeney, Jennifer Coolidge u.a. | Laufzeit: 6x55min.