Under the Skin

Under the Skin

Von Tim Slagman

Glazers genreüberschreitende Phantasie macht es dem Zuschauer nicht leicht. Sein Film basiert lose auf dem gleichnamigen Roman, den Michel Faber im Jahre 2000 verfasst hat. Doch Glazers Odysee durch die einsamen Weiten der Highlands gewagt und die Straßenschluchten Glasgows verzichtet auf die Erklärungen, die Fabers Vorlage liefert, er entfernt alle offenkundigen politischen Anspielungen und setzt auf die Kraft des Schweigens in einer suchenden Bewegung, durch die Stadt, über das Land, in der menschenleeren Weite wie in der anderen Anonymität der Clubs mit ihren vorbeizuckenden Gesichtern im Stroboskop-Licht.

under.the.skin.2013.coverSeine Kamera heftet er dabei an die Fersen von Scarlett Johansson, die eine Außerirdische spielt, ein künstlich auf Mensch getrimmtes Wesen, aufgemotzt mit den Signalen sexueller Bereitschaft. Sie kurvt in einem Van durch Schottland, stets auf der Suche nach Männern ohne Bindungen. Nach Männern, die niemand vermissen wird. Sie nimmt sie mit zu sich nach Hause, dort entzieht sie ihnen die Lebensenergie in einem rätselhaften, traumähnlichen Prozess. Ein Motorradfahrer rast durch die Highlands. Hilft er ihr? Überwacht er sie? Plötzlich ist sie auf sich alleine gestellt, und sie droht, sich zu verlieren in der irdischen, menschlichen Welt, in der sie eine Fremde ist und eine Täterin.

Glazers Inszenierung blickt, ganz in britischer Tradition, auf das Alltägliche – und konfrontiert dieses dann mit dem Unerklärlichen. Er zeigt den Regen, den Schmutz, die Hässlichkeit oder einfach nur die gelangweilte Natur. Gedreht wurde nicht nur „on location“, sondern auch in den Menschenmassen in Glasgower Discos – undercover, mit der Handkamera, die meisten Darsteller waren Amateure. Nur ein unablässiges Wummern und Waben auf der Tonspur, durchzogen von einem leisen Kreischen, rückt diese Welt schon ins Abgründige.

Die Opfer, manche von ihnen dummgeil, andere genauso orientierungslos wie ihre Verführerin, verschlägt es dann in ein Universum aus tiefstem Schwarz oder grellstem Weiß, einen Nicht-Raum, in den die Außerirdische ihr Domizil verwandelt hat. Dort sinken sie ein in eine dunkle Flüssigkeit, aus der sie nie wieder auftauchen werden.

Aber in einem erzählerischen Twist, der nicht ganz passen will zu der Souveränität und der kalten Distanz, mit der die Frau sich zuvor umgeben hat, dreht Glazer diese Verlorenheit um: So wie die Männer in ihrer Welt versinken, so versinkt die Außerirdische bald im Schottland, das sich diese Erdenbewohner eingerichtet haben. Aus dem Nicht-Raum, diesem Tor zum Erhabenen wird nach und nach ein Eingang, dann eine ziemlich normale Tür. Und nachdem er so ein Außen bekommen hat, erhält später sogar ein Innen, eine ziemlich abgewrackte Bude: nichts als schäbiger Verfall. Ist das Gewöhnliche also das Geheimnis, das unter der titelgebenden Haut liegen soll? Oder ist dies wieder nur ein anderes, weiteres Mysterium?

Wenn es etwas zu erfahren gibt in UNDER THE SKIN, dann ist es in jedem Falle ein Gefühl der Einsamkeit – für das man sich allerdings einlassen muss auf diesen Film, der es verlangt, so lange in ihn hineinzuschauen, bis man sich vielleicht selbst verstrickt hat in seinem kühlen, widerborstigen Charme.

Überarbeitete Fassung von filmstarts.de

Und zweite Perspektive zu unserer ersten Kritik

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Under the Skin, Großbritannien/USA/Schweiz 2013 | Regie: Jonathan Glazer, Buch: Walter Campbell, Jonathan Glazer, Buchvorlage: Michel Faber | Mit: Scarlett Johansson, Jeremy McWilliams, Lynsey Taylor Mackay, u.a. | Laufzeit: 108 Minuten, Verleih: Senator (Videostart: 24.09.2014).