The Homesman
Von Caroline Lin
Ein kleiner Siedleraußenposten im unwirtlichen Nebraska 1853. Die alleinstehende Farmerin Mary er klärt sich als einzige bereit, drei durch Entbehrungen, hartes Klima, Krankheit und Gewalterfahrungen verrückt gewordene Frauen zurück in die Zivilisation nach Iowa zu karren. Nur der alte Outlaw George, den sie zuvor vom Galgen schnitt, steht ihr bei und hat die nötige Kenntnis, um die Reise zu überleben.
Trug die erste Kinoregie von Darsteller Tommy Lee Jones (NO COUNTRY FOR OLD MEN), die sozialkritische Grenzgeschichte THREE BURIALS, noch Züge eines Neo-Westerns, wählt sein zweites Werk den Stil des neoklassischen Westerns, nur fernab von Männer-Dominanz, Revolverhelden und sonstiger Konventionen. Viel erinnert an TRUE GRIT (auch Hailee Steinfeld in einer Kleinrolle), nur ist Jones deutlich humanistischer und weniger stilverliebt.
Außerdem hat die Adaption eines Romans von Glendon Swarthout („Der Scharfschütze“) einen entscheidenden Vorteil: Es ist – endlich mal! – kein Rachewestern, das Standard-Motiv, das selbst die besten Vertreter ihrer Zunft (wie just den formidablen THE SALVATION) thematisch doch sehr limitiert. Statt dessen erzählt dieses Road Movie von 1853 von Charakter, Verantwortung, Würde, Mut und Verzweiflung – kurzum: von Moral.
Und von einer starken Frau (gefühlvoll und entschlossen: Hilary Swank, das MILLION DOLLAR BABY), die emanzipiert und tüchtig ist, deshalb alleinstehend leidet, weil kein Mann so eine Hosen-Emanze will. Sie rettet einen räudig-mitleiderregenden, knittergesichtigen Zausel (unaufdringlich: Jones selbst) vom Galgen, der ihr dafür mit seiner Erfahrung hilft, auf dem Weg durch die einsamen, eiskalten Weiten alle Beschwerlichkeiten und Gefahren durchzustehen. Ein Hoffnungs-Treck.
Der historisch korrekt anmutende Blick auf Lebens- und Sozialverhältnisse bis hinein in Betragen und Diktion entwirft das erschütternde Panorama menschlichen Elends in einer kleinen Grenzgemeinde, wo die Zivilisation nur bruchstückhaft existiert – eine handvoll Hütten in der kargen, winterstürmischen Prärie. Vergewaltigungen und in den Abort geworfene Säuglinge sind schockierende Abbilder von Wahnsinn und Leid.
Dass dazwischen auch komische Brisen wehen, ist vornehmlich Jones’ skurrilem Kauz zu verdanken – sowie seiner Regie: bündig, etwas trocken-lakonisch, aber anders als die Coens zärtlich und mitfühlend. Die Geisterreise mit drei katatonischen Frauen hat etwas flirrend Transzendentes, das den luziden, schlichten Plot konterkariert, wenn nicht unterläuft. Wie hier gängige Western-Mythen ganz nebenher zersetzt werden, ist schon meisterhaft.
God will strike you down: Diese Kutschenfahrt von Pionierin und Landbesetzer offenbart in kurzem Rückblenden, was ihre stummen Schutzbefohlenen Unaussprechliches erlebten. Dem Schreien, Wüten und Selbstverletzen kaputter Psychen begegnet Swanks Figur mit kleinen Gesten der Menschlichkeit: Nächstenliebe in einem Niemandsland, wo Leben nichts mehr gilt, wo nur Gräber und Relikte beredt Zeugnis ablegen.
Diese Mary, Mutter Courage und Jungfrau Maria in einem, steht mit ihrem Erhalt von Kultur und Humanität auf verlorenem Posten. Gerade als man glaubt, diesen menschlichen Winter durchstanden zu haben, folgt ein Suizid, der traurig macht. Die von Luc Besson (!) coproduzierte, mit neun Charaktermimen – meist nur in kleinen Nebenrollen – besetzte Parabel auf vergessene Frauen hat damit einen Hauch von MEEK’S CUTOFF und Arslans GOLD.
Als eine warmherzig-christliche Meryl Streep (IM AUGUST IN OSAGE COUNTY) die menschliche Fracht in ihrem Methodisten-Asyl aufnimmt, ist zumindest ein Vermächtnis fortgeführt, von Marco Beltrami (Musik zu THE GIVER) wieder hervorragend emotional eingerahmt. Was aber nicht heißt, dass Grabsteine und Gesänge eine Legende begründen – das bittersüße Vergessen, die desillusionierende Realität obsiegt über hehre Absichten. Da reicht schon ein Whiskey-Suff und ein achtloser Fährmann.
Erschienen auf Komm & Sieh
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The Homesman, Frankreich/USA 2014 | Regie: Tommy Lee Jones, Buch: Tommy Lee Jones, Kieran Fitzgerald, Wesley A. Oliver, Buchvorlage: Glendon Swarthout | Mit: Tommy Lee Jones, Hilary Swank, Grace Gummer, u.a. | Laufzeit: 122 Minuten, Verleih: Universum Film (Kinostart: 18.12.2014).
Man kann ja nicht unbedingt sagen, dass das Western-Genre so richtig tot sei… hier und da wird man ja immer wieder mit irgendwelchen aktuellen Produktionen beglückt. Auf diesen hier freue ich mich aber ganz besonders.
Jones mag ich eh, Regie führen kann er auch. Wenn das Ganze dann auch nicht ganz so selbstverliebt wie so manch anderer neuer Genrebeitrag der letzten Jahre daherkommt… super.
Ich lass mich überraschen.