Das verborgene Gesicht

Das verborgene Gesicht

Von Shamway

Der Film funktioniert dann am besten, wenn man nichts weiß. Darum folgt in diesem Text ein Warnhinweis auf Spoiler, ab dann also ein ‚No Go‘ für alle, die sich den Film unbefangen ansehen wollen. So richtig Werbung machen kann man im ersten Teil allerdings nicht für DAS VERBORGENE GESICHT, denn der Film beginnt eher uninteressant. Mit einer Frau, die mit einer gefilmten Handybotschaft mit ihrem Freund Schluss macht und ab jenem Moment unauffindbar ist. Ihr Freund Adrian (Quim Gutiérrez) betrinkt sich, während die Polizei Ermittlungen aufnimmt, weil sie verschollen bleibt.

Abend in einer stilvollen Bar hoch über Bogota. Der attraktive Adrian schaut einmal mehr zu tief ins Glas, doch die hübsche, junge Kellnerin Fabiana (Martina Garcia) verguckt sich trotzdem in ihn. Da er sich zusätzlich in eine Prügelei verwickelt, findet sie einen Anlass, ihn zu sich nach Hause zu nehmen. Er dankt es ihr, indem er sie an einem anderen Abend elegant ausführt und ihr Bogotas Saal für klassische Orchestermusik zeigt. Denn Adrian ist Dirigent der Philharmonie von Bogota. Ein Märchen für Fabiana. Und nachdem sie verifiziert hat, dass er Single ist, kann er sie küssen. Schnell sind sie im Schlafzimmer seines großartigen Landhauses und sie entblättert sich vor dem Spiegel, was natürlich im Bett endet.
Fabiana hat ihren Traumpartner gefunden: einen jungen, gutaussehenden Dirigenten, dank dessen Talent er auf ein Austauschjahr von Spanien nach Bogota gelockt wurde. Kurz darauf zieht sie bei ihm ein und sieht über ein paar Unstimmigkeiten hinweg. Ein paar undefinierte, geisterhafte Geräusche aus dem Abfluss des Lavabos etwa, gelegentliche Stromausfälle, oder die Polizeiermittler, die nach Adrians Ex fahnden und Adrian zu misstrauen scheinen. Bis dahin ergibt DAS VERBORGENE GESICHT noch keine faszinierende halbe Stunde, sondern eher eine, die sich auf Fernsehfilm-Niveau durchhangelt – doch die immerhin 7,4 Sterne auf Imdb verdient er sich mit dem, was da noch kommt.

Achtung also, ab jetzt wird gespoilert: Eine ausführliche Rückblende zeigt uns, wie Adrian mit seiner Freundin Belen (Clara Lago) nach Bogota zieht. Wie sie von einer älteren deutschen Besitzerin das Haus übernehmen können. Wie Belen eifersüchtig wird auf eine Violinistin in Adrians Orchester und wie sie schließlich einen perfiden Liebestest startet. Basierend auf einem Geheimnis der deutschen Hausbesitzerin: Ihr verstorbener Mann hatte in seinem Haus einen Panicroom eingerichtet, eine kleine, dürftige Wohnung, die ihm das Überleben für eine bestimmte Zeit sichern würde, falls ihm der Mossad auf die Spur käme. Belen nutzt den Panikraum des Altnazis für ihr temporäres Verschwinden für den Liebestest – vergisst aber den Schlüssel in der regulären Wohnung. So wird sie für immer eingesperrt sein und verfolgt das weitere Leben Adrians durch die Einweg-Spiegel im Schlaf- und im Badzimmer.

Plötzlich ergibt sich trotz mainstreamiger Ästhetik und dem etwas flachen Hauptdarsteller Quim Gutiérrez eine durchaus faszinierende Story, die von den beiden Frauen getragen wird. Der Film hintergeht auf vertrackte Weise das Genre eines klassischen, klischierten Fernsehliebesfilms des ersten Teils (bzw. einer Telenovela), in dem Frauen reine Beziehungswesen sind und reiche Männer ahnungsloses, aber höchst begehrtes Gut. Auch Belen und Fabiana wollen so einen Mann für sich und können sich nicht vorstellen, dass der Herr Dirigent auch mal in seinem Büro mit der hübschen Cellistin ein berufliches Gespräch führt.

Anstelle eines vernünftigen Gesprächs und Vertrauens legt es Belen darauf an, die Treue ihres Freunds zu testen und macht sich damit – in der Logik des Films – schuldig. Sie wird grausam bestraft, erkennt zuerst Adrians Treue und dann – nach seiner Trauerphase – auf der anderen Seite des Spiegels sich selber in Fabiana wieder. Dasselbe herzige, unschuldige Mädchen, das außer an der Seite Adrians zu sein keine weiteren Ambitionen im Leben verfolgt. Adrian hingegen bemerkt die geisterhaften Hilferufe aus dem verborgenen Teil der Wohnung nicht, hat keine Ahnung von der einfach gestrickten, dunklen Seite seiner Girlfriends. Er ist die Art Mann, der sich nicht mit den Neurosen seiner eher banalen Frauenwahl auseinandersetzt. Für Schönheit, Repräsentanz und die Befriedigung seiner sexuellen Begierden erhält er die Frauen, die Attraktivität (so heißt Schönheit bei Männern), Erfolg und Wohlstand als Beuteschema haben. Die Schwachstellen dieses Paarungsschemas zeigt DAS VERBORGENE GESICHT auf.

Der bad spirit, der dieses Telenovela-Drama überhaupt erst möglich macht, wird hier durch eine Altnazi-Wohnung ermöglicht (denn dass man Nazis in Südamerika Unterschlupf ermöglicht hatte, dürfte Grund für ein kollektives schlechtes Gewissen sein).

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La cara oculta | Spanien, Kolumbien 2011 | Regie: Andrés Baiz | Drehbuch: Andrés Baiz, Hatem Khraiche Ruiz-Zorrilla | Musik: Federico Jusid | Darsteller: Quim Gutierrez, Clara Lago, Martina Garcia, Marcela Mar Juan Alfonso Baptista, Alexandra Stewart | 96 min.