NIFFF 2019: Bacurau

NIFFF 2019: Bacurau

Von Michael Kathe

Seltsamerweise ist der kleine brasilianische Ort Bacurau auf dem GPS nicht zu finden. Auch sonst gehören die Dorfbewohner eher zum vergessenen Teil der Menschheit: Wenn sich mal ein Bürgermeisterkandidat auf Wahltour in Bacurau verirrt, verteilt er kostenlose Medikamentensamples und vergammeltes Essen. Ach ja, und sauberes Wasser muss mit einem alten Wassertanklaster in den Ort gekarrt werden.

Bacurau_PosterBACURAU beginnt mit der Beerdigung der Dorfältesten Carmelita, deren Enkelin Teresa (Barbara Colen) extra aus Sao Paulo angereist ist. Wir wähnen uns mitten in einem Film, den Emir Kusturica in Brasilien gedreht haben könnte: Arme, aber schrill auftretende Leute, die das Beste aus ihrem Wenigen machen, Zusammenhalt trotz Uneinigkeiten, und immer wieder der seltsame Kontrast zwischen moderner Elektronik und dem dörflichen Dasein. An der Grenze zum Ethnokitsch.

Doch der Film ist ein Hybrid. Seltsame Dinge tragen sich zu in Bacurau. Während das Dorf stolz ist auf seine Tradition und Geschichte (das Dorf hat ein eigenes, kleines historisches Museum), scheint es in der digitalen Welt nicht (mehr) zu existieren. Auf alten Landkarten ist es eingezeichnet, auf Google Maps nicht. Auch die Mobiltelefone funktionieren nicht mehr. Schnell wird klar, dass die Regisseure Kleber Mendonça Filho (AQUARIUS) und Juliano Dornelles eine in die nahe Zukunft verlegte Parabel über „abgehängte“ Gebiete in Südamerika geschrieben haben. Doch mit „abgehängt“ sind in diesem Fall nicht einfach Globalisierungsverlierer gemeint, sondern – politisch gesehen viel drastischer – Opfer einer neuen, unmenschlichen Weltordnung, die in Brasilien mit der Machtübernahme von Jair Bolsonaro eine neue Dimension erreicht.

Bacurau_4Die digitale Stille, die sich über das Dorf gelegt hat, hat zurecht etwas Unheimliches. In der Nähe haben sich ein paar amerikanische und britische Touristen niedergelassen, in einer großen Villa, die als Jagdhütte dient. Eine coole Mischung aus älteren und jüngeren Männern und Frauen, die sich scheinbar auf einer Art Safaritrip befinden, mit Hi-Tech-Technologie kommunizieren und mit modernsten Waffen bewaffnet und hochgerüstet sind. Schnell wird klar: Die superreichen Touristen gönnen sich einen Erholungstrip, bei dem sie auf Menschenjagd gehen. Ziel ist das von der Karte gewischte Dorf Bacurau. Als Guide fungiert der deutsche Michael (Udo Kier), der die fordernden Kunden in Schach hält und versuchen muss, den Angriff auf das Dorf kontrolliert durchzuführen.

Während wir in einer Newssendung des brasilianischen Fernsehens die landesweit ermittelten Top-Five-Shootings der Woche sehen, geht der Kampf um Bacurau los. Der Strom im Dorf wird abgestellt. Etwas außerhalb werden bereits zwei Dörfler erschossen. „This is fucking genious“: das eine Pärchen ist nach den ersten Morden so erregt, dass sie sofort auf offenem Feld miteinander schlafen. Immer wieder schwebt auch eine Aufklärungsdrohne über den Menschen, die aussieht wie ein UFO aus einem SciFi-Film der Fünfziger. Doch ganz so einfach wird die Menschenjagd dann doch nicht. Denn erst einmal scheint das Dorf verlassen. Die Dörfler sind vorbereitet.
Bacurau_4BACURAU ist ein seltsamer Film, der den magischen Realismus Lateinamerikas in einen Genremix aus Ethno- und Manhuntfilm einfließen lässt. Kein großer, aber ein durchaus unterhaltsamer Film, der seine Botschaft auf einfache Weise klar vermittelt: Brasilien wird nicht nur verkauft an ausländische Mächte und Investoren – auch die Menschen werden dadurch endgültig zerstört. Kleber Mendonça Filho fiel ja bereits in Cannes 2016 für seine Kritik am brasilianischen Politsystem auf, als er zur AQUARIUS-Premiere gegen die (tatsächlich skandalöse) Absetzung von Präsidentin Dilma Rousseff protestierte. Kein Wunder hat er sich in Zeiten Bolsonaros eine derart drastische Satire ausgedacht.

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Bacurau | Brasilien / Frankreich 2019 | Regie & Drehbuch: Kleber Mendonça Filho, Juliano Dornelles | Kamera: Pedro Sotero | Darsteller: Sonia Braga, Udo Kier, Barbara Colen, Silvero Pereira, Thardelly Lima, Julia Marie Peterson u.a. | Laufzeit: 92 min.

Der Film lief am Neuchâtel International Fantasy Film Festival 2019.