Dark

Dark

Von Michael Kathe

Wie ein fotorealistischer, dunkler Rorschachtest zieht sich der Vorspann über den Bildschirm. Das Arsenal beunruhigender Metaphern, wie wir sie aus TWIN PEAKS kennen, also dunkle Wälder und düstere Zimmer, werden psychologisch aufgeladen. Dass die achsensymmetrischen Bildwelten sich bald in dreigeteilte wandeln, wird im Verlauf der Serie immer mehr Bedeutung erlangen. Die erste deutsche Netflix-Serie ist sehr deutsch, sehr düster, sehr, sehr dark.
Dark_PosterIn DARK herrscht nicht nur Dauerregen, sondern es dauerströmt nur so herunter. Hart an der Grenze des Zuviel. Den Humor von TWIN PEAKS gibt es hier nicht einmal versuchsweise und das deutsche Städtchen Winden ist umgeben von Dunkelheit, seltsamen Ereignissen und grossen Geheimnissen. Über all dem thronen, unnahbar wie das Schloss in Kafkas Erzählung, die beiden Kühltürme des Windener Kernkraftwerks. Der Soundtrack pumpt als düster-elektronisches Sounddesign effektvoll noch mehr Furcht und Ungewissheit in den Plot.
Genau dieses Finstere macht die erste Staffel von DARK einzigartig und spannend. Leute bringen sich um, Kinder verschwinden, Menschen aus den 80er Jahren tauchen als Leichen plötzlich wieder auf. Die Verzweiflung ist allgegenwärtig. „Der Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist nur eine Illusion. Wenn auch eine hartnäckige …“: Wie im Einstein-Zitat am Anfang der Serie wird uns Zuschauern bald einmal klar, dass sich hier Zeiten vermischen. Ein Zeitloch existiert, irgendwo zwischen Waldhöhle und Kernkraftwerk. Doch wie ist es zustande gekommen, und was bewirkt es?
Dark_4Und wie hängen verschwundenen Kinder mit den Beziehungen und den emotionalen Verstrickungen zusammen, die das kleine Dorf Winden seit den 50er Jahren umtreiben? 2019 – 1986 – 1953: Über drei Zeitebenen hinweg wird es zwar sehr anspruchsvoll, dem an sich überschaubaren Cast zu folgen, doch deutlich wird auch: Durch die Zeitebenen erreichen die psychologischen Verstrickungen der Windener Bevölkerung ein immer komplexeres Level. Die Psychoanalyse hätte ihre Freude: Gezeigt wird, wie Vergangenheit in den persönlichen Beziehungen auch über 33 und sogar 66 Jahren einen Einfluss auf die Leben der Leute ausübt. Besonders deutlich bei dem Ermittler Ulrich Nielsen, dessen Bruder Mads in den Achtziger Jahren verschwunden ist, der plötzlich die Möglichkeit bekommt, Zeitreisen zu unternehmen und immer infamere Zusammenhänge zwischen Menschen entdeckt und schliesslich in den fünfziger Jahren einen Dorfbewohner töten will, den er als Kinderfolterer und –mörder identifiziert hat. Auch andere Verstrickungen ziehen sich beängstigend durch die Zeiten, als würde sich das Unterbewusste (das ja bereits durch den Wald symbolisiert ist) immer deutlicher manifestieren. Die Allgegenwart der Zeiten wird zur Erkundung des Bewusstseins.
Dark_2Aber DARK hat auch eine politische Dimension. Die Verstrickungen zwischen dörflicher Idylle und den finanziellen Segnungen des Kernkraftwerks – und den dunklen Fässern unter der Erde – sind über die Jahrzehnte auch nicht einfach aufzuschlüsseln. Es gibt Menschen, die ihre Positionen verändern (wie Claudia Tiedemann, die aufrechte Kernkraftwerkleiterin in den Achtzigern), andere, die genau davon profitieren und wohl noch skrupelloser für Kernenergie eintreten. Nicht zufällig fällt eine der Zeitebenen auf das „Wendejahr“ 1986, das Jahr des Sandoz-Chemieunfalls in Basel und v.a. des Supergaus in Tschernobyl. Gleichzeitig werden wir in eine deutsche Gegenwart der Fünfziger zurückversetzt, die gezeichnet ist von behördlichen „Nazimethoden“, verstockten Beziehungen und Heimlichkeiten.
Aber nicht, dass alles Unheil aus der Nachkriegszeit stammt. In den Achtzigern wird das Erbe der Nazis mit Endzeit-Paranoia aufgeladen und selbst in der nahen Zukunft von 2019 werden Teenager gedisst, weil sie ein halbes Jahr in psychischer Behandlung waren, haben Paare keine Möglichkeit zur Aussprache und erhängen sich Menschen. Und das, obwohl die Menschen in Winden durchaus klug und aufgeklärt sind. Doch die Verhältnisse sind es überhaupt nicht.
Ja, DARK ist sehr düster.

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Dark, Deutschland 2017 | Regie: Baran bo Odar | Drehbuch: Jantje Friese, Martin Behnke | Kamera: Niklaus Summerer | Darsteller: Oliver Masucci, Louis Hofmann, Karolin Eichhorn | Laufzeit: 600 Min.