Judas and the Black Messiah

Judas and the Black Messiah

Von Michael Kathe

Chicago 1969. Die Stadt der Arbeiter und der Schwarzen wird zum Schauplatz eines dreckigen Undercover-Kriegs des FBI gegen die Black Panther Party-Bewegung. Einen wesentlichen Anteil daran trägt der «Judas» des Titels: William O’Neal (Lakeith Stanfield), ein junger Schwarzer, von der Polizei beim Autoklau erwischt (wo er sich seinerseits den Beklauten mit einer gefälschten FBI-Marke ausweist) und vom FBI vor die Wahl gestellt, entweder mehrere Jahre ins Gefängnis zu gehen oder die örtlichen Black Panther zu infiltrieren.
Tatsächlich schafft es O’Neal, ganz nahe an die eigentliche Hauptperson des Films, den «Black Messiah», heranzukommen: Er wird erst Fahrer des charismatischen Leader Fred Hampton (Daniel Kaluuya), dann Sicherheitsverantwortlicher der Ortsgruppe Chicago. Damit wird der Bock zum Gärtner, was jetzt einem Beinahe-Spoiler gleichkommt. Doch selbst wer die reale Geschichte um Fred Hampton nicht kennt (wohl die meisten), ahnt auch im Film sehr schnell, was passieren wird.
Doch das ist nicht der Punkt. Nebenprotagonist Fred Hampton ist eigentlich der Star des Films (und Kaluuya erhielt dafür auch den Oscar 2021 für den besten Nebendarsteller, obwohl er ebensogut als bester Hauptdarsteller durchgegangen wäre). Einerseits verkörpert er das Charisma, die Strahlkraft und die Energie des jungen Fred Hampton in einer Weise, wie es in der Realität fast nicht vorstellbar ist. In seiner ersten Rede im Film lernt er die schüchterne, aber ebenso verbal begabte Deborah Johnson (Dominique Fishback) kennen, die in Zukunft an seinen Reden feilen wird. In einer herzanrührenden Szene sprechen sie beide eine Malcolm X Rede auswendig mit, die Hampton sich auf Schallplatte anhört. Während es in anderen Filmen über Tanz oder Gesang «funkt», liegt hier die Poesie in der propagandistischen Ansprache. «Do you like poetry?» war denn auch der erste Satz, mit dem Deborah Fred ansprach.

In der Folge führen uns die geistreichen, überzeugenden, enthusiastischen Reden Hamptons in eine Welt, die wir so nicht mehr kennen. Die Black Panthers, gegründet nach der Ermordung von Malcolm X 1965, wollten nicht nur schwarze Quartiere vor weisser Polizeigewalt auch mit Waffenpräsenz schützen bzw. Widerstand gegen die gesellschaftliche Unterdrückung leisten, sondern bewegten sich in einem grösseren Rahmen. Ihre von kommunistischen Lehren geprägte Ideologie sollte in erster Linie konstruktiv sein und vor allem Freiheit und Selbstbestimmung, Beschäftigung, menschenwürdige Wohnungen, Bildung für alle umsetzen. In vielen Städten der USA, so auch in Chicago, wurden soziale Projekte für die Ärmsten realisiert, wie Frühstück für alle Kinder, eigene Gesundheitsstationen oder Rechtsberatung. Dass Führer wie Hampton Mao, Lenin oder Marx zitierten, war dann wohl auch das – im wörtlichsten Sinne – roteste Tuch, das man dem alten Kaltkrieger und FBI-Chef Edgar J. Hoover (Martin Sheen) vor die Nase halten konnte.

Hinzu kommt, dass Spannung nicht nur über die destruktiven Undercoveraktionen des FBI erzeugt wird, durch den armseligen Informanten O’Neal, der trotz fürstlicher Entlohnung zwar aufhören will, doch von FBI-Agent Roy Mitchell (Jesse Piemons) massiv unter Druck gesetzt wird. Spannung entsteht auch durch Fred Hamptons Plan einer Regenbogenkoalition. Hampton verhandelt mit den Gangs in Chicago, versucht sie auf seine Seite zu ziehen oder zumindest dafür zu sorgen, dass sie sich in den Ghettos nicht destruktiv verhalten. Dass es mit einer gehörigen Portion Gefahr verbunden ist, die schwer bewaffneten Gangs auf deren Territorium in einem alten Fabrikgebäude zu treffen, dürfte klar sein. Ebenso wagt sich Hampton in weisse Armenquartiere vor und spricht da, wo hinter ihm eine Konföderiertenflagge hängt, das Symbol der Sklavenhalter (das beim versuchten Staatstreich in den USA am 6. Januar 2021 erstmals wieder im Capitol in Washington zu sehen war). Der linke Charismatiker wird in diesen Szenen und seiner stets sauberen Planung beinahe ohne Fehl und Tadel dargestellt. Das mag einem ein wenig suspekt vorkommen, doch tatsächlich gab es Hampton schon damals nicht viel vorzuwerfen.

Vermittelt wird in JUDAS AND THE BLACK MESSIAH ein Stück Zeitgeschichte, das zeigt, wie nach der Bürgerrechtsbewegung in den Sechzigern der US-Geheimdienst dafür sorgte, dass die Ghettoisierung bewusst wieder vorangetrieben wurde. Heute ist die Mordrate unter Schwarzen in Chicago hoch wie nie. Der junge Regisseur Shaka King, der bisher mit NEWLYWEEDS (2013) erst einen Spielfilm abdrehte, zeigt mit seinem überaus faszinierenden, dichten Porträt von Fred Hampton sehr schön auf, wie weit die schwarze Community schon mal war in den Sechzigern, sich selbst aus dem Ghettodasein zu befreien.

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Judas and the black Messiah, USA 2021| Regie: Shaka King | Darsteller: Daniel Kaluuya, Lakeith Stanfield, Jermaine Fowler, Dominque Fishback, Jesse Piemonds, Darrell Britt-Gibson, Martin Sheen u.a. | Laufzeit: 126 min.