Nordische Filmtage 2017: Backstabbing for Beginners

Nordische Filmtage 2017: Backstabbing for Beginners

Von Friederike Grabitz

Der junge, idealistische Diplomat Michael Soussan (Theo James) arbeitet erst wenige Tage in seinem Traumjob bei der UN, als sein Vorgesetzter Pasha ihn in sein Büro zitiert. Mit spitzen Fingern versenkt er einen Bericht, den Michael ihm mitgebracht hat, im Aktenvernichter. Der ist entsetzt: „Aber – da steht alles drin!“. Pasha, meisterhaft gespielt von Ben Kingsley, erteilt ihm die erste und vielleicht wichtigste Lektion für seine Arbeit: „Schreiben Sie niemals alles. Nicht lügen, das nicht. Aber wählen Sie genau aus, welche Informationen Sie weitergeben. Wir wollen ja, dass das Programm verlängert wird“.

Das Programm, von dem er spricht, heißt „Oil for Food“ und wurde im Vorfeld des zweiten Irak-Kriegs von den USA entwickelt. Sie reagierten damit auf die Kritik, Wirtschaftssanktionen gegen Saddam Hussein träfen vor allem die Zivilbevölkerung. Durch das Programm flossen zwischen 1995 und 2003 insgesamt 64 Milliarden US-Dollar von mehr als 2000 Unternehmen in das Land, um Lebensmittel und Medikamente gegen Öllieferungen für den Weltmarkt einzutauschen.

Backstabbing-for-Beginners_posterMichael Soussan ist mit seinen 24 Jahren der bis dahin jüngste Programmleiter der UNO. Er ist im „Öl für Lebensmittel“-Programm verantwortlich für ein Budget von stolzen zehn Milliarden Dollar und fest entschlossen, „einen Unterschied zu machen“. Das wird er tun – aber anders als geplant nicht mit dem „Oil for Food“-Programm, sondern dagegen. Er wird als ‚Whistleblower’ einen gigantischen Korruptionsskandal aufdecken und das saubere Image der Vereinten Nationen empfindlich beschädigen. Nach Soussans Enthüllungs-Buch „Backstabbing for Beginners“ („Hintergehen für Anfänger“), auf dem der Film basiert, musste UN-Generalsekretär Kofi Annan 2003 eine Untersuchungskommission gegen seine eigene Organisation einsetzen.

Zunächst wird der junge Diplomat in ein zwischen krasser Armut und Dekadenz gespaltenes Vorkriegs-Bagdad geschickt, wo er bei einem Empfang im schicken Fünf-Sterne-Hotel schnell erfährt, dass sein Vorgänger nicht zufällig gestorben ist. Er wurde ermordet, weil er zu viel wusste. Spätestens in dieser Szene verdichtet sich die James-Bond-Atmosphäre, die sich in den geschliffenen Dialogen zwischen Meisterdiplomat Pasha (schon der Name ist doppeldeutig) und seinem Novizen aufgebaut hat. Bis auf spektakuläre Actionszenen hat der Agententhriller alle Bond-Elemente: flirrende Hitze und unübersichtliche Szenerien, Anzugträger mit undurchsichtigen Motiven und Waffen unter arabischen Gewändern. Ein Bond-Girl in Gestalt der hübschen Dolmetscherin lässt den Helden schnell Frau und Kinder vergessen und macht ihn auch dann noch liebeswirr, als er erfährt, dass sie vermutlich selbst eine Agentin ist.

Die junge Frau namens Nashim führt den anfangs noch recht naiven Jungdiplomaten nach und nach in Kreise ein, in denen die UN-Politik harsch kritisiert wird. Er findet heraus, dass den Irakern vor allem dann geholfen wird, wenn Kontrollen anstehen oder die Medien präsent sind. Lange abgelaufene Medikamente werden verteilt und auf Hilfslieferungen wird an der Grenze eine illegale Abgabe erhoben, die direkt in die irakischen Regierungskassen fließt. Von den gewaltigen Geldsummen aus dem Programm kommt ein großer Teil nicht bei den Betroffenen an, sondern versickert in den Taschen der Beteiligten. Am meisten schockiert Soussan, dass alle davon zu wissen scheinen und es in Kauf nehmen – denn ohne „Oil for Food“, argumentiert Pasha, gäbe es gar keine Hilfslieferungen mehr.

Spätestens als Michael, zurück in den USA, einen Datenträger Nashims dechiffriert, wird er offen bedroht. Aber Michael ist kein Held, und seine Memoiren sind letztlich kein James-Bond-Thriller. Es wird noch zwei Irak-Reisen, einige Enthüllungen und etliche Monate lang dauern, bis er genügend Mut und Material gesammelt hat, um mit einem Aktenkoffer und dem größten Korruptionsskandal unserer Zeit durch die Glastür des Wall Street Journal zu gehen. Dabei handelt es sich nicht um das echte Redaktionshaus, denn BACKSTABBING FOR BEGINNERS wurde weder in den USA noch im Irak gedreht, sondern in Marokko, Kanada und Dänemark. Selten wurde UN-Realpolitik so spannend inszeniert wie in diesem Thriller.

(Der Film lief auf den Nordischen Filmtagen als Deutschlandpremiere und startet zunächst in Dänemark im Januar 2018.)

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Backstabbing for Beginners, Dänemark / Kanada 2017 | Regie: Per Fly | Drehbuch: Per Fly, Danile Pyne | Kamera: Brendan Steasy | Mit: Theo James, Belcim Bilgin, Jaqueline Bisset, Ben Kingsley, u.a., | Laufzeit: 108 Min.