S.R.I. und die unheimlichen Fälle - Vol. 2

S.R.I. und die unheimlichen Fälle – Vol. 2

Von Bodo Traber

Eine Aura des Mystischen umwehte diese Serie jahrzehntelang, die 1971 ein einziges Mal im ZDF lief und die, die sie damals gesehen haben, zu einem Zirkel erwählter Apostel machte, die verzweifelt ihr Geheimwissen zu tradieren versuchten. Das grüne Ding, die weißen Hände, die Augen des Jaguars oder die Amokgase aus dem Auspuff blieben als Motive in kollektiver dunkler Erinnerung, solange der frühe Mystery-Klassiker in der Versenkung ruhte, in die er seinerzeit verschwand. Die Begeisterung der meist jugendlichen Zuschauer stand in Gegensatz zu den negativen Reaktionen ihrer Eltern sowie der bundesdeutschen Kulturwächter – der Horror, der da am Mittwoch-Vorabend um 19.10 Uhr über den Bildschirm flimmerte, führte zum Eklat, die Serie entging knapp der Absetzung, aber wurde für alle Zeit mit einem Tabu belegt. Das Fernsehen grub das S.R.I. nie wieder aus – die Veröffentlichung von Pidax ist tatsächlich die erste Gelegenheit seit über 40 Jahren, der legendären Kultserie aus Mainzelmännchen-Tagen wieder zu begegnen.

sri.1968.coverWas den Programmeinkäufern seinerzeit als gewöhnliche, wenn auch exotische Krimiserie erschienen sein mag, erregte verständliches Aufsehen – das S.R.I. erschuf eine Welt der absonderlichen Motive aus Science Fiction, Horror und Manga, in der sich obskure ‚Mad Scientists’, technisch versierte Gangster und menschliche Mutationen tummelten und reihenweise unerklärlich zugerichtete Leichen hinterließen. Insgesamt 26 Folgen umfassend und als KAIKI DAISAKUSEN oder KAIKI S.R.I. (international OPERATION MYSTERY!) ab 1968 erstausgestrahlt, konnte die Serie bereits auf eine reiche Pulp-Tradition zurückgreifen, die sich in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hatte. Motivisch steht sie in einer Reihe mit dem Science-Fiction-Zyklus der Toho um menschliche Mutanten und missbrauchte Erfindungen THE H-MAN (1958), THE HUMAN VAPOR (1960), THE SECRET OF THE TELEGIAN (1960) und MATANGO / ATTACK OF THE MUSHROOM PEOPLE (1964).

sri.1968.still5Die Grundidee einer Organisation, die paranormale und grenzwissenschaftliche Phänomene untersucht, traf den Puls der Zeit, fand sich in Varianten in aller Welt – von den britischen Kollegen in THE AVENGERS (1961-69) bis zu den französischen in AUX FRONTIÈRES DU POSSIBLE (ES GESCHAH ÜBERMORGEN, 1971-74) oder den deutschen in ALPHA – ALPHA (1972) – und erlebte ein sagenhaftes Revival in den 90ern in Gestalt von THE X-FILES. Ein kompetentes Team wissenschaftlich geschulter Ermittler bildet das S.R.I. (desillusionierend steht die Abkürzung simpel für „Science Research Institute“), das zur Aufklärung rätselhafter Verbrechen hinzu gezogen wird, wenn sich die Kriminalpolizei am Ende ihrer Weisheit sieht. Unter ihrem Chef Matoya arbeiten der besonnene Misawa, der intellektuelle Maki, der jungenhafte Nomura, die süße Saori – die Beamten der Sondereinheit rücken in Spezialanzügen aus und verfügen über ein eigenes Datsun-S.R.I.-Mobil; ihnen zur Seite steht der etwas vierschrötige Inspektor Machida, für den die Welt des Verbrechens etwas zu komplex geworden ist. Meist entpuppen sich die „unheimlichen Fälle“ als wissenschaftliche Denkübungen, stecken neuartige Erfindungen oder simple Tricks hinter scheinbar Unerklärlichem. Und eigentlich besteht die Arbeit des S.R.I. oft nur darin, Zusammenhänge zu erkennen und die richtigen Folgerungen zu ziehen, die technische Seite tritt hinter die reine Polizeiarbeit zurück – die Ermittler sind mit allem vertraut, seien es tödliche naturwissenschaftliche Phänomene oder Erfindungen wie Teleportations-Strahler, die längst erfunden sind, aber von der Regierung unter Verschluss gehalten werden. Das Team löst Kniffliges und Grusliges mit standhafter Logik und oft genug geraten die Beamten dabei selbst in tödliche Gefahr.

Tatsächlich sind die legendären 13 Folgen, die damals im ZDF liefen und die hiesigen Gemüter ihrer „Brutalität“ wegen erhitzten, in Wahrheit jene, die die deutschen Einkäufer noch als die harmlosesten ausgewählt hatten. In einer zweiten Edition legte Pidax nun jene andere Hälfte der Episoden vor, die anscheinend zu hart waren, um sie dem deutschen Fernsehzuschauer zumuten zu können und die Wiederentdeckung des Klassikers auf faszinierende Weise komplettieren. (Nur eine Folge fehlt aus Lizenzgründen.) Die „Volume 2“ beinhaltet…

sri.1968.still3Der Kannibalenfalter
Geheimnisvolle Todesfälle beschäftigen das S.R.I., bei denen sich die armen Opfer offenbar in Sekundenschnelle in Skelette verwandelt haben. Sollte da ein Bösling einen Schwarm Killermotten abgerichtet haben, die mit fleischzersetzenden Bakterien verseucht sind?

Das weiße Gesicht
Wer hat den jungen Mann angezündet, der die entzückende Junko belästigt hat? Wer ist der Unbekannte mit dem weißen Gesicht, der nahe dem Tatort gesehen wurde? Und was hat eine tragbare Laserstrahlen-Waffe damit zu tun?

Schlaflied des Todes
Eine todkranke Sängerin und ein düsteres Kinderlied, in dem – den legendären „Zehn kleinen Negerlein“ ähnlich – eine Reihe junger Mädchen auf drastische Weise zu Tode kommt. Das S.R.I. schaltet sich ein, als nach Vorbild des Liedes tatsächlich junge Frauen sterben.

Vampirhölle
Die exotische europäische Schönheit mit dem polnischen Namen trägt ein dunkles Geheimnis und ein schweres Familienerbe mit sich herum. In regelmäßigen Abständen braucht sie große Mengen menschlichen Bluts, um nicht zu verhungern.

Die Frau mit dem blauen Blut
Beim Besuch bei seinem Freund Akira und dessen Frau gerät Misawa in einen seltsamen Fall, in den auch der alte Vater Akiras, ein genialer Erfinder, verwickelt scheint. Ist er etwa für die Mordanschläge verantwortlich, denen alle im Umkreis Akiras und seiner Frau ausgesetzt sind?

Der Kopf, der einen Spaziergang machte
Ein im Wald umher geisternder abgetrennter Kopf erschreckt nächtliche Autofahrer so sehr, dass sie tödlich verunglücken. Maki vom S.R.I. vermutet schnell einen Zusammenhang mit den Experimenten des in der Nähe lebenden wahnsinnigen Wissenschaftlers Minemura.

sri.1968.still2Das Signal des Todes
Ein Laserstrahl aus seinem eigenen TV-Gerät tötet den Sohn des mächtigen Wirtschaftsbosses Muraki, und jemand, der wie durch Zauberhand technische Geräte fernsteuern kann, scheint es auf die ganze Familie abgesehen zu haben. Offenbar ist der vor Jahren von Muraki in den Tod getriebene Ingenieur Onasaki aus der Hölle wiedergekehrt.

Galgen aus Eis
Zwei junge Kryotechnik-Forscher, die sich als Retter der Menschheit fühlen, riskieren ein fragwürdiges Experiment, und bald erschüttert eine rätselhafte Mordserie die Stadt: Ein Wahnsinniger scheint umherzugehen, der sehr kalte Hände hat.

Gute Nacht
Als Maki, der einen kurzen Urlaub in den Bergen verbringen will, in einer abgelegenen Hütte übernachtet, hat er ein bizarres Erlebnis: Er träumt, einen fremden Mann zu erwürgen, und findet tatsächlich am nächsten Morgen dessen Leiche. Maki gerät unter Mordverdacht. Aber auch die junge Yuki beschwört, diesen Mann versehentlich getötet zu haben. Es ist ihr Verlobter Tatsuo.

Der Wieselschnitt
Schreckliche Todesfälle alarmieren das S.R.I. – ein seltsames Phänomen hat eine Reihe junger Frauen auf offener Straße in Stücke zerschnitten. Offenbar ist ein Psychopath mit einer grausigen Waffe unterwegs, der wahllos tötet. Mit der süßen Saori als Lockvogel stellen ihm die Jäger eine Falle.

Die Schöne und die Pollen
Im Beisein Saoris und Makis stirbt ein Mädchen in einem Restaurant an einer seltsamen allergischen Reaktion. Eine Labor-Untersuchung fördert ein organisches Pulver zutage – und eine Spur führt zu der schönen, unnahbaren Nobuko und ihren tropischen Pflanzen.

Die verfluchte Vase
Eine Reihe von Kunden, die antike Vasen bei Händler Ichii gekauft haben, findet einen rätselhaften Tod, offenbar ausgelöst durch radioaktiven Sand. Das S.R.I. stößt auf ein Geheimwaffenlabor aus dem Weltkrieg und eine Tragödie, die die Familien Ichii und Hino verbindet.

sri.1968.stillDass sich die Welt zu schnell verändert hat, um sie noch zu verstehen; dass sich hinter vermeintlich Vertrautem inzwischen das Fremde und Abscheuliche verbirgt, zieht sich als roter Faden durch die „unheimlichen Fälle“. Der Schrecken lauert im Alltag, die offene Straße oder die eigene Wohnung werden zur tödlichen Falle – und doch sind die Fälle des S.R.I. nur Randerscheinungen einer realen Moderne, die jahrhundertealte Traditionen und Werte in Frage stellt und die japanische Nachkriegsgesellschaft bis ins Generationengefüge erschüttert. Tatsächlich erzählen die meisten Geschichten vom Preis des Fortschritts, vom Fluch der Schönheitsideale, von Rache und Hass als Folgen sozialer Entfremdung und einer amoklaufenden Wissenschaft, die keine menschliche Ethik mehr kennt. Kälte und Vereinsamung, oberflächliches Amüsement und Statusdenken prägen das soziale Leben der Bevölkerung. Und auch Überkommenes erweist sich oft nicht mehr als Segen. In „Die verfluchte Vase“ lastet eine schlimme Familientradition auf den jungen Leuten Nobuko und Kozo, und die Waffenforschung während der Militärdiktatur hat der Welt ein schreckliches Erbe hinterlassen. In „Ich will Kyoto kaufen“ (einer Folge der ersten Box) plant eine Gruppe melancholischer Konservativer den Bau einer neuen Stadt, die sich der Moderne verweigern und dem Erhalt der Tradition gewidmet sein sollte. In „Der Kannibalen-Falter“ wird der Kapitalismus auf metaphorische Weise zum Kannibalismus, und auch in „Das weiße Gesicht“ und „Die Frau mit dem blauen Blut“ stehen Generationenkonflikte im Mittelpunkt, die sich brutal entladen. Immer wieder entpuppen sich Menschen als Monster oder Psychopathen und Dinge scheinen ein schreckliches Eigenleben zu entwickeln. Immer wieder sind es Außenseiter und Verstoßene der Massengesellschaft, die sich ihre eigene Welt zu schaffen versuchen. Und immer wieder stoßen die Ermittler bei der Klärung seltsamer Todesfälle auf Geflechte aus menschlichen Leidenschaften und tragischen Verstrickungen. Denkwürdig bleibt das fatale Ende jener letzten Folge „Spur des Todes“, die 1971 in Deutschland lief. Die Ermittler konnten nicht verhindern, dass ihr Fall ungelöst blieb: „Auch das S.R.I. kann keine Wunder vollbringen,“ stellt der nüchterne Matoya traurig fest. Es blieb über 40 Jahre als düsteres Resümee in Erinnerung.

Präsentiert in prächtiger und für ihr Alter überraschend schöner Bildqualität, erweist sich die Serie in ihrer integralen Form auch als Füllhorn visueller Ideen und bestaunenswerter Make-Up- und Trickarbeit. Im originalen 4:3-Format und im japanischen Original mit deutschen Untertiteln. Der ersten Box lag noch ein informatives Booklet von Brancheninsider Hans Schaffner bei, das man dieses Mal leider vermisst. Man kann halt nicht alles haben.

„Wir müssen noch eine Menge lernen in unserer technisierten Welt.“

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Kaiki Daisakusen, Japan 1968-71, Regie: Takashi Nagano, Toshihiro Iijima, Jun Fukuda, u.a., Mit: Homare Suguro, Shin Kishida, Seiji Matsuyama, Reiko Kobashi, Yasumi Hara, u.a.

Anbieter: Pidax