M. Night Shyamalan: The Village

M. Night Shyamalan: The Village

Von Adrian Gmelch

M. Night Shyamalans Film THE VILLAGE (2004) ist gut zwanzig Jahre nach seinem Erscheinen zu einem wahren Klassiker des amerikanischen Kinos herangewachsen. Es ist einer dieser seltenen Filme, die mit der Zeit immer besser und bedeutungsvoller werden. Der Film ist nicht nur ein Meisterwerk der alten Filmschule im Hinblick auf Atmosphäre, Stil und Figuren, sondern thematisiert auch zeitlose, vor allem typisch amerikanische Themen. Eine längst überfällige Betrachtung.

Handlungsabriss

Der Film thematisiert das Leben im amerikanischen Dorf Covington, das von einem Wald umgeben ist, in dem bösartige Kreaturen leben sollen. Nachdem ihr geliebter Lucius schwer verletzt wurde, macht sich die blinde Ivy auf, den gefährlichen Wald zu durchqueren, um in der nächsten großen Stadt entsprechende Medizin zu holen …

Ein optisch und akustisch brillantes Stück Filmgeschichte

THE VILLAGE ist ein handwerklich nahezu perfekter Film. Dazu tragen vor allem der ausgearbeitete visuelle Stil sowie Akustik und Soundtrack bei. Das Ergebnis sind überwältigende Bilder, die Gemälden sehr ähnlich sind.

Ein Film wie ein Gemälde

Zunächst einmal ist der Zuschauer im Film nicht mit der Perspektive eines bestimmten Protagonisten verbunden, was dazu führt, dass er sich selbst als komplett Außenstehenden wahrnimmt. Er erhält dabei einen Einblick in alle möglichen Verstrickungen des Dorfes. Es werden ihm Situationen und Bilder gezeigt, die keine der Figuren im Film sonst sehen kann. Wir haben es auch mit einer überaus beweglichen Kamera zu tun, die mit langen Einstellungen zurechtkommt. Sie verfolgt die Protagonisten, sie dreht sich weg, sie fokussiert auf ein Detail. Schnitte stören sie dabei kaum. Tatsächlich wird der Zuschauer dadurch selbst ein Teil der Gemeinschaft. Die Kamera gleitet durch das Dorf und ist quasi ein weiterer Dorfbewohner – und damit auch der Zuschauer.

Die Zoomfunktion findet im Film häufig Verwendung. Kameratalent Roger Deakins (bekannt für FARGO, BLADE RUNNER 2049 oder auch 1917) setzt sehr langsame Zooms ein. Anstatt sich allein auf die Protagonisten zu konzentrieren, zoomt er mehrmals deduktiv von einer nahen Kameraposition in eine Totale heraus und bettet so die Figuren in ihre Umgebung ein – damit sieht die Szene am Ende auch wie ein Gemälde aus. Der malerische Effekt wird durch die natürlich ausgeleuchteten Bilder noch verstärkt. Die Lichtquellen in den Innenräumen sind das Sonnenlicht, das durch Fenster fällt, oder Flammen. Für verschiedene Nachtaufnahmen im Freien wurden Öllampen verwendet. Es wurde auch viel mit dem vorherrschenden Herbstlicht während des Drehs gearbeitet, das entscheidend zur Atmosphäre des Films beiträgt.

Shyamalan wurde für die Aufnahmen von den Werken des amerikanischen Malers Andrew Wyeth inspiriert. Im fertigen Film herrscht das gleiche neblige, fahle Licht wie in Wyeths Bildern. Gedreht wurde der Film übrigens in Chadds Ford, dem Geburts- und Arbeitsort von Wyeth. Shyamalan konnte also dieselben Landschaften und Motive verwenden, die auch dem Maler als Vorbild gedient hatten. Shyamalan bestätigt diese Parallele: „Andrew was the main inspiration for the look of the movie. The grays and the minimalism, and the light – that’s all from Andrew.“* Er beschreibt Wyeths Werk mit einer „schaurigen“ Schönheit. Und diese unheimliche, poetische Ästhetik findet sich auch in THE VILLAGE kongenial wieder.

Atmosphäre durch Sound

Neben der atemberaubenden visuellen Schönheit von THE VILLAGE spielt auch der Ton im Film eine ausschlaggebende Rolle. Jede Nuance musste helfen, die Geschichte zu erzählen. Unter anderem wurden das Rauschen des Windes (in den Szenen, in denen Ivy den Wald durchqueren muss) und das Knarren des Waldes (zum Beispiel, wenn ein paar Jugendliche am Waldrand ihren Mut testen) eingesetzt. Shyamalan schafft etwas ganz Erstaunliches: Bloße Geräusche lösen beim Zuschauer menschliche Urängste aus.

Um die visuelle und akustische Atmosphäre zu verstärken, entschied sich Shyamalan zusammen mit seinem Komponisten James Newton Howard, die amerikanische Geigerin Hillary Hahn zu engagieren. Das stellte sich als ein Geniestreich heraus: Die Solovioline hält die Grundstimmung durchgehend in einem unglaublichen Schwebezustand. Die traurigen, zerbrechlichen Geigenklänge sind oft die einzige musikalische Begleitung der Bilder. Sie vermitteln die mystische, düstere und traurige Stimmung, die im Dorf vorherrscht. Es ist keine Übertreibung, den Soundtrack von THE VILLAGE als einen der besten Film-Soundtracks aller Zeiten zu bezeichnen. Die Musik ist traurig, überraschend, reizvoll und ausgewogen. Es ist eine oft großartige Komposition, deren Komplexität von den Ambitionen des Films profitiert.

In meinem Buch „Die Neuerfindung des M. Night Shyamalan“ (2021) schrieb ich dazu: „Im Laufe des Films gewinnen die romantischen und sentimentalen Züge der Violine die Oberhand über die anfangs noch bedrohliche Musik: Die Gefühle sind wichtiger als die Angstzustände. Das spiegelt perfekt die Intention des Films wider, die der Liebesgeschichte im Verlauf immer mehr Bedeutung zuschreibt. Die Musik intensiviert diese Gefühlssteigerung in der Geschichte.“ Eben hier wird deutlich, dass THE VILLAGE nicht mehr nur Horrorfilm und Mystery-Thriller ist, sondern ganz Drama und Liebesgeschichte. Die Oscarnominierung für die beste Filmmusik hätte eigentlich zu einer Auszeichnung führen müssen.

Amerikanische Themen

Aber nicht nur die Umsetzung des Films ist faszinierend und überaus gelungen. Auch die Themen, die Shyamalan angeht, haben nichts von ihrer Kraft verloren.

Zurück zur Natur, zurück zur Unschuld

Vorbilder für die naturnahe Existenz der Dorfbewohner sind die amerikanischen Natur- und Transzendenzphilosophen Henry David Thoreau („Walden“) und Ralph Waldo Emerson („Nature“). Diese Denker und Dichter aus dem 19. Jahrhundert hegten ein Misstrauen gegenüber der Gesellschaft und stellten fest, dass der Mensch die „Schönheit“ der Natur nie ganz verinnerlicht hat und versteht. Die Menschen seien von den Anforderungen der Welt und der Gesellschaft abgelenkt; obwohl die Natur stets gebe, versäumten es die Menschen, sich erkenntlich zu zeigen… Die Natur ist das Eigentliche, etwas Spirituelles. Das kann man in Shyamalans Film buchstäblich spüren: Der Dorfälteste Walker schafft mit seinem „Konstrukt“ inmitten der Natur ein monumentales Gemälde, romantisiert und mystifiziert. Er entwirft angesichts einer modernen gesellschaftlichen Wildnis eine Idylle, einen Ort der Ruhe, ja eben der Spiritualität.

Die andere thematische Inspiration Shyamalans bilden die Amish. Diese Gruppe religiöser, traditionell lebender Menschen stellt einen bedeutenden Bevölkerungsanteil in Pennsylvania. Sie leben ein stark in der Landwirtschaft verwurzeltes Leben und sind dafür bekannt, dass sie bestimmte moderne Techniken ablehnen und Innovationen nur nach sorgfältiger Abwägung ihrer Auswirkungen übernehmen. Die Amish legen großen Wert auf eine Familie mit klar definierten Geschlechterrollen, Gemeinschaft und Abgeschiedenheit von der Außenwelt. Die Dorfstruktur in Shyamalans Film erinnert deutlich an die der Amish – ein zutiefst amerikanisches Phänomen.

Shyamalan zeigt den christlich-amerikanischen Fundamentalismus als ein Ideal, das jedoch nur durch Isolation, Weltfremdheit und die Verleugnung der inneren Katastrophen aufrechterhalten werden kann. Im Laufe des Films erscheint dieses „Neue Jerusalem“ (David Kleingers) immer weniger als „natürliche“ Ordnung, sondern als ein in der Zeit verlorener Ort der Hoffnung.

American Terror

„Nach dem 11. September 2001 lag überall Angst in der Luft. Sie liegt immer noch in der Luft, und wir leben in wirklich beängstigenden Zeiten. Ich habe so reagiert wie jeder andere auch, nämlich indem ich meine Gefühle zu Papier gebracht habe. Und so entstand THE VILLAGE“, ließ Shyamalan 2004 wissen.**

Der Film kann also auch als politische Parabel gesehen werden. Die Geschichte wurde in gewisser Weise als Schlüsselgeschichte für die Anti-Terrorismus-Politik der Bush-Regierung, aber auch für das politische Zeitalter von Trump interpretiert: Walker als „Dorfpräsident“, der die Angst seiner Gemeinde schamlos ausnutzt. Genau wie die Bush-Regierung auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 reagierte und mit den Ängsten der Bevölkerung spielte; alles diente dazu, die Sicherheit zum höchsten Gut zu erklären. Tatsächlich erforscht Shyamalan die Emotionen, die der Terror weckt, wie kein anderer vor ihm, aber er ist offensichtlich auf der Seite von Walker, der in seinem Film absurderweise einen sehr vertrauenswürdigen Bush oder Trump abgeben würde…

THE VILLAGE ist mehr eine Studie der Angst als ein politischer Kommentar. Der Film erzählt von einer Gruppe von Menschen, die ihrer Angst entkommen wollen und doch lernen müssen, mit ihr zu leben. Shyamalan zeigt, wie Isolation von außen und Unterdrückung von innen zusammengehören. Die Angst entspricht nicht nur einer realen Bedrohung von außen (den Monstern – oder Terroristen), sondern sichert gleichzeitig den Zusammenhalt der Gemeinschaft. Shyamalan verwendet das isolierte Dorf, einen klassisch amerikanischen Archetyp, um die Identität zu hinterfragen, die mit Hilfe der Angst um dieses Dorf herum aufgebaut wird. So ist die amerikanische Angst (vor dem Terror) ein weiterer thematischer Eckpfeiler des Films.

Resümee

Mit THE VILLAGE vertraut Shyamalan voll und ganz auf die Kraft des Kinos wie kaum ein anderer Filmemacher der letzten Jahrzehnte. Es gelingt ihm erstaunlich gut, eine Atmosphäre von Angst, Unsicherheit und Ungewissheit in Bilder zu fassen. Kombiniert mit der dörflichen Idylle hat das eine ganz eigene Poesie, die verzaubert. THE VILLAGE ist nicht nur ein Paradebeispiel für einen brillant gestalteten Film, sondern erweist sich letztlich auch als ein sehr amerikanisches Werk. In der Tat schöpft der Film seine Inspiration aus eindeutig amerikanischen Themen und interpretiert diese weiter. Das ist der Grund, warum Shyamalans Film heute durchaus als ein amerikanischer Klassiker bezeichnet werden kann.

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The Village, USA 2004 | Regie: M. Night Shyamalan | Drehbuch: M. Night Shyamalan | Kamera: Roger Deakins | Musik: James Newton Howard, Hillary Hahn | Darsteller: Joaquin Phoenix, Bryce Dallas Howard, William Hurt, Sigourney Weaver, Adrien Brody, Brendan Gleeson, Michael Pitt, Cherry Jones u.a. | Laufzeit: 108 Min.

*Shyamalan zitiert in Conn, Steven: Metropolitan Philadelphia: Living with the Presence of the Past, 2006. S. 230.
**Shyamalan zitiert nach diesem frz. Interview mit AlloCiné: „Après le 11 septembre 2001, on sentait la peur dans l’air, partout. C’est d’ailleurs toujours dans l’air, et nous vivons des heures vraiment effrayantes. J’ai réagi comme tout un chacun le ferait, c’est à dire en couchant mes émotions sur le papier. Et cela a donné Le Village.“