Zwei Särge auf Bestellung

Zwei Särge auf Bestellung

Von Christopher Klaese

Luis Bacalovs schwerblütige Klaviertriolen führen uns zu Beginn auf die falsche Fährte, die folgende, dramatische Streichermelodie lässt uns an eine Romanze denken – zusammen mit den unaufgeregten Kameraschwenks über das idyllische Sizilien hat man den Eindruck, hier herrsche Ruhe und Frieden. Doch in die letzten Takte der Intrada mischen sich durch vier abfallende, tiefdunkle Basstöne des Pianos schon die ersten Zweifel – sollte etwa die gefühlte Sorglosigkeit des Offensichtlichen nur umso untergründig Düsteres kaschieren?

Heutzutage gilt für die damalige Zeit die Assoziationskette „Sizilien-Mafia-Verbrechen“ als allgemein ausgemacht und durchverhandelt, doch Anfang der 1960er durchbrach der Romanautor Leonardo Sciascia mit seinen Werken IL GIORNO DELLA CIVETTA / DER TAG DER EULE und A CIASCUNO IL SUO / JEDEM DAS SEINE nebst deren offenherziger Schilderung der süditalienischen Realität den einst gültigen Status quo. Denn die beiden Romane portraitierten erstmals literarisch die Mafia, von der sowohl die Regierung als auch die Römisch-Katholische Kirche bis dahin offiziell bestritten, dass es sie überhaupt gibt. Es waren nicht einfach Kriminalromane mit denen der 1921 geborene, ansonsten recht wortkarge und mitunter zutiefst pessimistische Autor der italienischen Gesellschaft den Spiegel vorhielt. Seine Bücher über die Korruption im römischen Parlament und die Zersetzung der bürgerlichen Gesellschaft stellen ihn heute in eine Reihe mit Italo Calvino und Pier Paolo Pasolini.

„Italien ist das am einfachsten zu regierende Land der Welt. Seine Fähigkeiten sich anzupassen, sich geduldig an alles zu gewöhnen und schließlich zu resignieren, sind unerschöpflich.“ So urteilte Sciascia barsch über seine Heimat, nichtsdestotrotz er – wie alle Intellektuellen jener Jahre – sich stets den Funken Glauben an die Veränderbarkeit zum Guten bewahrte. Insofern verwundert es nicht, dass ausgerechnet der inszenierende Großmeister Elio Petri sich der Verfilmung von ZWEI SÄRGE AUF BESTELLUNG annahm – weshalb der deutsche Verleih den Originaltitel nicht wörtlich übersetzte, hatte geschichtlich bedingt nachvollziehbare Gründe. Petri, ein lebemännischer Gigant vom Range eines Sergio Leone, befand sich nicht nur auf dem Zenit seines Schaffens, sondern auch in der Hochgunst des Publikums. Mit seiner Fähigkeit, systementlarvende Inhalte im Wege einer formidabel gearbeiteten Genrefilminszenierung in die Köpfe des Zuschauers zu transportieren, stellte er zwei Jahre nach der futuristisch-stylischen Sheckley-Verfilmung DAS ZEHNTE OPFER ein weiteres Monument in die italienische Filmgeschichte.

Dass für ZWEI SÄRGE AUF BESTELLUNG viele politisch links verortete Künstler ihre Fähigkeiten in die Waagschale warfen – bei Gian Maria Volonté, Irene Papas oder Luigi Pistilli wusste jeder, woran er war – kann beim verarbeiteten Filmstoff natürlich als Statement gelten. Petri versteht Sciascia, er verwandelt den dörflichen Tratsch bei Zeitungslektüre und schnellem Espresso in eine gesellschaftliche Tiefenbohrung über die Conditio humana. Mit den Mitteln der filmgewordenen Literatur werden Dinge entdeckt, an die der Journalismus, die Berichterstattung des Zeitgeschehens nicht herankommt. Denn wer in Sizilien ein Verbrechen aufklären will, der wird es schwer haben – das merkt auch der von Volonté mit ruhelos-unterdrückten und dann vulkanhaft ausbrechenden Gefühlsbrodelungen dargestellte Professor. Petri modelliert das wirkungsvolle Deutlichmachen der Enttarnung der sich ehrenwert gebenden Teile der bürgerlichen Gesellschaft, die von der Mafia profitieren und sie am Leben halten, die stillen Arrangements der feinen Honoratioren der Stadt mit den unfeinen Mafiagrößen der Region, allesamt verfilzt mit Politik und Klerus.

Bei ZWEI SÄRGE AUF BESTELLUNG hebt Petri die Trennung von Gut und Böse zugunsten einer komplexen, realistischen Betrachtungsweise vollständig auf – er berichtet über die mächtigen Männer im Hintergrund und zeichnet ein brillantes Gesellschaftsbild der mafiös infizierten Scheinheiligkeiten. Aufgrund der jahrhundertelangen Besatzung und Unterdrückung durch unterschiedlichste Gruppen, zeigt sich das in Sizilien grundlegende Misstrauen gegenüber aller politischen Autorität, wo Mafia und Familie staatliche Institutionen ersetzten. Die Romantik hat hier ausgespielt, auch selbstjustiziabel hantierende Ballermänner vom Schlage eines Franco Nero oder Maurizio Merli sucht man hier vergebens.

Vielmehr verzeichnen Petri und sein Ensemble die moralische Degeneration der Institutionen, die „Sizilianisierung“ Italiens schreitet aus ihrer Sicht unaufhaltsam vorwärts – ein Bild im Übrigen, dass Autor Sciascia mit der „Palmengrenze“ beschreibend verglich, demnach die Lebensbedingungen dieser eigentlich tropischen Bäume aus dem Süden immer weiter nach Norden wandern. Vielleicht ist es Ironie der Geschichte, wenn ZWEI SÄRGE AUF BESTELLUNG unter anderem für die Goldene Palme der Internationalen Filmfestspiele von Cannes 1967 nominiert wurde und die Auszeichnung für das beste Drehbuch sogar gewann.

ZWEI SÄRGE AUF BESTELLUNG ist vor einiger Zeit auf Blu-ray und DVD erschienen. Der frische Transfer vom Negativ präsentiert das Breitwandbild in feinen Farben und akkurater Schärfe, eine erhebliche Verbesserung zur früheren DVD-Version von Koch Media. Die deutsche Synchronisation verschafft sich ebenso wie die italienische Originalsprachversion gute Punkte in Durchlässigkeit und klanglicher Prägnanz. Beim Bonus gibt sich der Release schmallippig: neben dem Kino-Trailer enthält die Scheibe ein Kurzinterview mit Vorlagenautor Sciascia, eine Bildergalerie sowie ein Trailer-Reel zu anderen Veröffentlichungen aus dem Label-Katalog.

Der sizilianischen Bevölkerung sagt man eine gewisse Unfähigkeit zur mündigen Veränderungswilligkeit ihrer Situation voraus, was gleichzeitig jedoch mit einer ungeheuren Fähigkeit zum Abfinden mit dem angeblich Unveränderlichen korrespondiert. Wenn es auch immer heißt, dass in Sizilien alles beim Alten bleibe, so haben sich die Zeiten doch geändert. Heute spricht man offen über die Mafia. Der Erfolg von Sciascias Romanen gab den Anstoß für eine Anti-Mafia-Kultur; heute kann man in einem aufgeblühten Palermo ohne Furcht flanieren. Und man kann sich ohne Angst ZWEI SÄRGE AUF BESTELLUNG ansehen, ein kleines, feines Meisterwerk des italienischen Genrefilms – und nebenbei kann man noch eine ganze Menge lernen über Land, Leute, Sitten und Gebräuche. Darauf einen Espresso auf der Piazza unter Palmen.

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A ciascuno il suo | Italien 1967 | Regie: Elio Petri | Darsteller: Gian Maria Volonté, Irene Papas, Gabriele Ferzetti, Salvo Randone, Luigi Pistilli, Laura Nucci u.a.

Anbieter: Explosive Media