Interview mit Peter Greenaway.
Von Gerd Naumann
Nach Auffassung Peter Greenaways ist das Kino bereits seit langem verstorben, der Tod des Patienten habe mit der Einführung der Fernbedienung eingesetzt. Allerdings arbeitet der Regisseur und Medienkünstler unermüdlich an einer neuen, individuellen Bildsprache. Große Popularität erreichte er mit Spielfilmen wie THE DRAUGHTSMAN’S CONTRACT, der Shakespeare-Adaption PROSPERO´S BOOK oder THE COOK, THE THIEF, HIS WIFE AND HER LOVER. Das Gespräch mit dem Ausnahmekünstler wurde im Oktober 2012 bei den Filmmusiktagen Sachsen-Anhalt geführt.
Mr. Greenaway, Sie sind ein weltweit renommierter Filmemacher. Ihr Vortrag bei den Filmmusiktagen ist etwas besonderes. Welchen Stellenwert hat für Sie die Musik im Film?
P.G.: Sie wissen, dass ich als Maler angefangen habe. Ein visuelles Bild steht aber niemals allein, es wird bedingt durch das Zusammenwirken vieler Elemente, die ich strikt durchkomponiere. Ein Beispiel ist die Kalligraphie. Mich interessiert, wie sie aussieht. Wie die Schrift entsteht und sich formt. Genauso ist es mit dem „Sound“.
Sie spielen auf das Zusammenspiel von Bild und Ton an?
P.G.: Film ist genau das und noch viel mehr. Wenn ich sage, im Kino zählt das Bild, und nochmals und abermals das Bild, dann kann es doch nicht ohne den „Sound“ auskommen. Der Sound ist aber viel mehr als nur die Musik, die ist ein wichtiges Element. Es zählen so viele Dinge dazu, denken Sie an die Geräusche und die Stimmen. Vor allem auch die Stimmen, die so unterschiedlich und farbenreich sind. Das alles muss komponiert und geordnet werden. Dieser Prozess der Synchronisation ist der Schlüssel.
Ich war von den Ausschnitten ihrer Performances in Amsterdam fasziniert. Sie standen inmitten eines Ensembles aus Orchestermusikern und Chor und betätigten sich als Video Jockey.
P.G.: …über einen „Touch Screen“, den mir Amsterdamer DJs nahe gebracht haben. Eine reizvolle Aufgabe. Ich kann die Filmausschnitte nach Situation variieren und das live! Aber das wäre nicht effektiv, wenn nicht vorher alles durchkomponiert worden wäre. Der Reiz liegt darin, den Zufall möglichst auszuschließen.
Diese Auftritte sind vor allem vor dem Hintergrund interessant, dass sie ihr internationales Renommee, mehr oder weniger, narrativen Spielfilmen verdanken.
P.G.: Wir müssen eben manchmal unsere Sprache verändern, die Sprache des Kinos verändern, weil sich die Medien verändern. Das ist essentiell. Schauen sie, dieses Gerät! (Anm.: Er zieht ein Mobiltelefon hervor uns beginnt zu filmen.) Ich habe die Wahl. Drehe ich damit, kann ich innerhalb von ein paar Minuten zum Ergebnis kommen und es mit einem Tastendruck an jeden weltweit verschicken. Wenn ich will! Ich kann aber auch einen Film drehen und damit dreieinhalb Jahre verbringen, bis er aufgeführt werden kann.
Mittlerweile finden ihre Arbeiten vorwiegend in musealer Umgebung und auf Festivals statt…
P.G.: Sehen Sie. Früher war es der Wunsch vieler junger Leute, unbedingt Regisseur werden zu wollen. Heute möchten sie alle Kurator werden! Die Museen sind die Tempel, die Kathedralen der Neuzeit. Die Kunst erhält dabei etwas weihevolles, eigenartig sakrales. Es werden Millionen und Abermillionen an Mitteln in die Bauten investiert, aber die Museumstempel sind leer. Es werden überhaupt nur drei Prozent von dem ausgestellt, was die Menschheit produziert und produziert und produziert. Wie ich in meinen Vortrag schon sagte, ist das vielleicht auch besser so. Denn wir können nicht alles archivieren und studieren. Wir können nur eine Auswahl treffen, die auf Basis unseres Geschmacks, des kulturellen Hintergrundes und des Zufalls passiert.
Sie werden ohnehin nicht müßig zu betonen, das Kino sei bereits seit langem tot.
P.G.: Das Kino ist tot, genau. Es ist klinisch tot, seit der Erfindung der Fernbedienung.
Sie betonen ebenso immer wieder, dass der Film unter verschiedenen Tyranneien leidet.
P.G.: „Text! Frame! Actor! Camera!” Das sind die großen Tyranneien! Es ist vor allen die Tyrannei des Textes, die das Kino zu Grabe getragen hat. Es hat keine Zukunft, wenn wir uns immer und immer wieder auf Spielberg oder CASABLANCA einlassen. Es langweilt, es ist kein sinnliches Kino. Auch ist das Kino nicht erfunden worden, um zur Spielwiese für George Clooney zu verkommen. Das Antlitz der Schauspieler interessiert nicht, es ist langweilig. Mich interessiert der Körper und wie die Schauspieler mit ihm arbeiten, sich gehen lassen und Bewegungen formen. Und wie sie, wieder zur Musik, mit dem „Sound“ harmonieren.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit ihren Komponisten ab? Inwieweit geben Sie Vorgaben?
P.G.: Ich habe klare Vorstellungen, die Musik muss bestenfalls bereits vorher bestehen. Ich erwähnte bereits, dass jeder Film, jedes künstlerische Ergebnis vorab komponiert werden muss.
Bekannt ist vor allem ihre langjährige Zusammenarbeit mit Michael Nyman…
P.G.: Michael Nyman ist ein hervorragender Komponist und er war für meine Filme bedeutend. Ich hatte immer den Eindruck, dass es eine perfekte Zusammenarbeit war. So wie die von Eisenstein und Sergei Prokofiev für ALEXANDER NEWSKI. Aber es ist im künstlerischen Bereich selten von Dauer. Ab einem gewissen Punkt hatten wir den Eindruck, dass wir zu oft miteinander gearbeitet hatten. Es war mir wichtig, auch andere Musikstile zu nutzen. Ich arbeite ja schon immer mit vielen unterschiedlichen Komponisten zusammen. Denken Sie nur an Philip Glass oder Wim Mertens.
Woran arbeiten Sie gerade?
P.G.: Wir sind in den Vorbereitungen zu einer Adaption von DER TOD IN VENEDIG, nach der wundervollen Novelle von Thomas Mann.
… die bereits von Luchino Visconti verfilmt wurde.
P.G.: Genau. Aber ich habe einen anderen Ansatz. Viscontis Verfilmung ist sehr intim, das können Sie schon an der Musik ablesen. Er hat sich für Gustav Mahler entschieden, ich werde Vivaldi verwenden. Gerade entstanden ist auch GOLTZIUS AND THE PELICAN COMPANY, der übrigens Musik von einem jungen italienischen Komponisten hat. Sein Name ist Marco Robino.
Mr. Greenway, vielen Dank für das Gespräch.
Fotos (Draughtman’s Contract): Zeitgeist Films
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