Das Grauen kommt um zehn
Von Gerd Naumann
Der Amerikaner Fred Walton bewies mit zahlreichen Thrillern ein außerordentliches Gespür für Spannungsmomente. Wenn auch viele seiner Arbeiten für das Fernsehen oder den Heimvideomarkt in Vergessenheit geraten sind, so stechen zwei Kinofilme besonders hervor. Neben THE ROSARY MURDERS (1987), in dem Donald Sutherland in der Rolle eines Priesters mit Gewissensbissen zu kämpfen hat, begründete vor allem Waltons Regiedebüt WHEN A STRANGER CALLS (1979) dessen Ruf als Genrespezialist. Dass das Original mittlerweile einen gewissen Status besitzt, belegt neben der sehr freien, von Hollywoodroutinier Simon West inszenierten, Neuverfilmung aus dem Jahre 2006 auch die Hommage in Wes Cravens SCREAM (1996).
Der in Deutschland als DAS GRAUEN KOMMT UM ZEHN ausgewertete Film beginnt mit einer fulminanten Eröffnungsszene, in der die junge Jill als Babysitterin zu einem vermögenden Paar bestellt wird. Kaum ist sie allein, wird sie mit Telefonanrufen terrorisiert. Die beängstigende Situation, ein Mädchen allein in einem Haus, bedroht von einem offenkundig gewaltbereiten Mann, findet schließlich ihre Kulmination in der Entdeckung einer barbarischen Gewalttat. Viele Jahre später gelingt dem geistig gestörten Mann die Flucht aus der Anstalt, an seine Versen heftet sich just der Polizist, nunmehr als Privatdetektiv tätig, der ihn einst gestellt hat…
Waltons Thriller ist eine eigenwillige Genremischung aus Slasher-Motiven und dem plausibel entworfenen Psychogramm eines geistig gestörten Mörders. Stilistisch bewegt er sich zwischen Richard Fleischers dokumentarisch angelegtem THE BOSTON STRANGLER (1968) und Motiven aus, um nur ein klassisches Beispiel zu nennen, Carpenters HALLOWEEN (1978). Genau aus dem Spagat zwischen dem Anspruch, die Entscheidungsgründe für das Handeln eines psychisch gestörten Gewaltverbrechers transparent zu machen und darüber hinaus einen kriminalistischen Spannungsbogen zu schlagen, gewinnt der Film seinen Reiz. Hervorzuheben ist das harmonisch aufeinander abgestimmte Darstellerensemble. Zu nennen sind hier exemplarisch die überwältigend spielende Colleen Dewhurst als vom Leben gezeichnete Tracy, der wuchtige Charles Durning als vergeltungssüchtiger Expolizist und vor allem Tony Beckley als Mörder. Dieser lasst uns die Beweggründe des psychisch gestörten Mannes mit einer im Kino selten gesehenen luziden Darstellung nachfühlen und schafft es, den Zuschauer am inneren Zwiespalt seiner Figur teilhaben zu lassen.
WHEN A STRANGER CALLS ist ein Thriller der Zwischentöne und weniger der spekulativen Effekthascherei. Fred Walton zeigt aber am Anfang und im furiosen Finale eindrucksvoll, dass er die Genrespielregeln verinnerlicht hat. Walton selbst war es auch, der fast eineinhalb Jahrzehnte später mit WHEN A STRANGER CALLS BACK (1993) eine Fortsetzung inszenierte. Über Explosive Media ist das Original nun endlich auf DVD und Blu-ray erhältlich. Bild und Ton sind für das Alter hervorragend, der Ton liegt wahlweise in deutscher und englischer Sprache vor. Beiden Editionen liegt ein vierseitiges Booklet mit einem Essay von Nando Rohner bei, der eine filmhistorische Verortung leistet.
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When a Stranger Calls, USA 1979, Regie: Fred Walton, Mit: Carol Kane, Charles Durning, William Boyett, Tony Beckley, Colleen Dewhurst u.a.
Anbieter: Explosive Media