Die Frau im Eis
Von Shamway
Gemessen an seinen 357 000 Einwohnern ist Island ein unglaublich reichhaltiges Land. Musikalische Höhenflüge von Björk bis Sigur Ros werden ergänzt durch fußballerische wie dem Erreichen des Viertelfinales bei der EM 2016. Nach dem Zusammenbruch der Icesave-Bank wurden wir Kontinentaleuropäer aber auch der Schattenseiten des kleinen Inselreichs gewahr. Und der Tatsache, dass es in Island durchaus auch viel Geld gibt. Gab.
Auch Filme werden in Island produziert und gedreht, sogar Filme, in denen Vulkanen und Geysiren keine bedeutende Rolle zukommt. Der Spielfilmerstling von Börkur Sigporrson konzentriert sich mehr auf düstere Mitbewohner des Inselstaats. In DIE FRAU IM EIS stecken zwei Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten, unabhängig voneinander in Geldproblemen und spannen für einen Coup zusammen. Erik (Gisli Örn Gardarsson) ist ein hoch angesehener Anwalt mit entsprechendem Geldverschleiß. Seine Wohnung ist kalt und yuppiesk wie er, die Liebe bzw. den Sex seiner Frau erkauft er sich mit Louboutins. Sein Bruder Atli (Baltasar Breki Samper) ist ein hyperaktiver Unterschicht-Sozialfall, neurotisch, autoritätshörig, eingeschüchtert, schon mehrfach im Gefängnis – ein Typ, der nur verlieren kann. Beide brauchen ziemlich viel und ziemlich schnell Geld. Und für dieses Problem bietet Drogenschmuggel zum Glück eine ziemlich gute Marge.
Allerdings schmuggeln die Brüder das Kokain nicht selbst, sondern organisieren die junge Polin Sofia (Anna Prochniak) als Bodypacker: Sie schluckt mehrere Kilogramm kleiner, gut verschlossener Pellets voller Kokain. Doch aller Professionalität zum Trotz scheint Sofia die Pellets nicht zu vertragen. Bereits im Flugzeug muss sie sich übergeben und erbricht eins der Päckchen. Ihr ist kotzübel, weshalb sie sich noch vor der Zollkontrolle auf der Flughafentoilette einschließt. Atli ist mitgeflogen, um später die Zöllner mit seiner Verhaltensauffälligkeit abzulenken. Doch zuvor passiert Atlis erster Fehler: Er schlüpft rasch zu Sofia in die Toilette, um ihr zu helfen. Später werden die Überwachungskameras der Flughafenpolizei die Verbindung zwischen den beiden in no time herstellen.
Kurz darauf sitzen die beiden in einem Hotelzimmer. Er qualmt verbotenerweise das Zimmer voll, sie liegt immer geschwächter im Bett. Die Pellets wollen nicht rauskommen, weder durch Kotzen noch durch Scheißen. Irgendwann wird sich das Plastik der Verpackung im Magen oder Darm auflösen, was den sicheren Tod Sofias bedeuten würde. Nervosität macht sich allerorten breit, zumal die Polizei den beiden immer mehr auf die Pelle rückt. Doch Erik entpuppt sich immer wieder als gerissener, spontaner Strippenzieher. Er handelt intuitiv intelligent, antizipiert Polizeibewegungen, oft im letzten Moment, und ist nicht bereit, auch nur einen Zollbreit von seiner Maximallösung abzuweichen.
In der serbischen Polizistin Lena erhält er allerdings eine Gegenspielerin, die auf Zack ist (nicht wie ihre isländischen Kollegen). Sie erkennt die Professionalität der Pellets und die Notwendigkeit, diesen Drogenimport zu unterbinden. Sie organisiert und strukturiert die Ermittlungen. Das Katz-und-Maus-Spiel, das sich entwickelt, hat durchaus spannende Momente, und schwankt zwischen überraschenden, spannenden Wendungen und einer gewissen Voraussehbarkeit.
Man kann man sich DIE FRAU IM EIS durchaus mit Vergnügen anschauen, mitfiebern, und wird vom Ende überrascht sein. So, wie man in den frühen Neunzigern amerikanische B-Movie-Thriller von Regisseuren wie Gregory Hippolyte oder Schauspielerinnen wie Shannon Tweed noch spannend fand (gibt‘s dieses Genre eigentlich noch?). DIE FRAU IM EIS ist allerdings einen Zacken moderner: „authentischer“ in der Kameraführung, etwas sensibler in der Charakterzeichnung (wenngleich immer noch recht schraffiert), etwas grausamer im Umgang der Menschen untereinander. Die Isländer werden hier definitiv nicht als liebenswert charakterisiert – erst recht nicht im Umgang mit Ausländern und Zugezogenen.
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Vargur | Island/Dänemark/Schweden 2018 | Regie: Börkur Sigporsson | Darsteller: Gisli Örn Gardarsson, Baltasar Breki Samper, Anna Prochniak, Marijana Jankovic | Laufzeit: 95 min.
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