Flucht aus Pretoria
Von Oliver Schäfer
Südafrika 1978. Die schwarze Bevölkerung revoltiert gegen das Apartheid-Regime. Doch es gibt auch unter der privilegierten weißen Minderheit Unterstützer, die gegen den staatlichen Rassismus protestieren, darunter Tim Jenkin (Daniel Radcliffe – HORNS) und Stephen Lee (Daniel Webber – MARVEL´S THE PUNISHER). Beide werden zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, nachdem sie regierungskritische Flugblätter verteilt haben. Die beiden landen im Staatsgefängnis von Pretoria. Dort treffen sie auf einige aus ähnlichen Gründen einsitzende Mitgefangene, darunter Denis Goldberg (Ian Hart – GOD´S OWN COUNTRY), ein Mitstreiter von Nelson Mandela und der (aus mehreren realen Charakteren zusammengesetzte und somit fiktive) Franzose Leonard Fontaine (Mark Leonard Winter – THE DRESSMAKER). Kaum im Gefängnis angekommen, beginnen Jenkin und Lee mit der Planung eines Ausbruchs. Während Goldberg ihnen diese Idee auszureden versucht, ist der Franzose Fontaine sofort Feuer und Flamme.
Regisseur Francis Annan hat sich für sein auf wahren Begebenheiten beruhendes Fluchtdrama nicht nur die Autobiographie von Tim Jenkin gesichert, sondern ihn selbst, Lee und Goldberg auch gleich als Berater engagiert. Herausgekommen ist ein zwar für ein überschaubares Budget gedrehter, aber rasanter und gut gespielter Gefängnisthriller. ESCAPE FROM PRETORIA wird zwar kaum in einem Atemzug mit Klassikern wie PAPILLON, MIDNIGHT EXPRESS oder SHAWSHANK REDEMPTION genannt werden, sorgt aber trotzdem 106 Minuten lang für spannende Unterhaltung.
Natürlich sind die typischen Klischees wie sadistische Wärter, Schikane, Prügel, Einzelhaft und generell schlechte Haftbedingungen auch hier vertreten. Der Fokus liegt aber auf den tatsächlich ziemlich originellen Ausbruchsplänen, die aufgrund bestimmter Umstände – und einer Unzahl zu überwindender Türen – mehrere Testläufe erfordern. Und hier zeigt Regisseur Annan sein Talent zur Erzeugung von Spannung, denn immer wieder gerät das hoffnungsvolle Trio in Schwierigkeiten, bei denen es einer Entdeckung nur mit knapper Not entkommen kann. Sicher sind hier einige Dinge aus dramaturgischen Gründen gerafft erzählt, aber Annan überschreitet nie die Grenze der Glaubwürdigkeit, sondern unterstreicht seinen Realismus durch eine Vielzahl authentischer Details, die DP Geoffrey Hall (DRIFT) perfekt mit seiner sehr agilen Kameraführung eingefangen hat. Editor Nick Fenton (TRUE HISTORY OF THE KELLY GANG) treibt mit seinem geschickten Schnitt die Spannung nach oben – ganz besonders in einer grandiosen Sequenz, bei der Kaugummi, ein Schlüssel und ein Besenstiel für eine Menge Probleme sorgen.
Daniel Radcliffe liefert eine reife Leistung bei der Darstellung des von seinem Ziel besessenen Tüftlers Jenkin, ganz besonders den Dauerstress durch eine mögliche Entdeckung der Ausbruchswerkzeuge macht er absolut glaubhaft. Nicht minder überzeugend ist Daniel Webber als Lee, der trotz der Umstände sein sonniges Gemüt nicht verliert, dessen innere Anspannung sich aber in einer späteren Szene Bahn bricht. Hart agiert überwiegend mit zurückhaltender Präsenz, während Winter für seine intensive Rolle die gesamte emotionale Bandbreite bespielen darf.
Die überzeugenden Darsteller sorgen auch dafür, dass man die eher magere Charakterisierung der einzelnen Akteure verschmerzen kann, ebenso wie die nur rudimentär vorhandene Verankerung in den geschichtlichen Kontext. Aber das war sicherlich auch nicht das Ziel der Macher.
Abgeliefert wurde ein gradliniger, spannender und durchaus origineller B-Thriller, dessen hoher Unterhaltungsfaktor für hier und da fehlende Feinarbeit entschädigt. Perfekt geeignet für einen spannenden Abend.
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Escape from Pretoria | GB/AUS/US/SA 2020 | Regie: Francis Annan | Darsteller: Daniel Radcliffe, Daniel Webber, Ian Hart, Mark Leonard Winter, Nathan Page u.a.
Anbieter: Koch Media
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