Saint Maud

Saint Maud

Von Adrian Gmelch

SAINT MAUD, das Spielfilmdebut der britischen Filmemacherin Rose Glass (*1990), ist ein intelligenter, sanfter Horrorfilm, der jedoch mit einer der erschreckendsten Wendungen der jüngsten Filmgeschichte brilliert und beim Zuschauer (beinahe) einen Herzinfarkt auslöst.

Der Engel, den Gott nicht wollte

Die Krankenschwester Maud (Morfydd Clark) zieht bei Amanda (Jennifer Ehle) ein, einer ehemaligen Balletttänzerin, die an Krebs leidet und sich im Endstadium ihres Lebens befindet. Maud hat sich vor kurzer Zeit von sich aus zum Katholizismus bekehrt und wird bei ihrer Pflege von Amanda von Tag zu Tag mehr davon überzeugt, deren Seele retten zu müssen …

So einfach lautet die Prämisse von SAINT MAUD zunächst. Doch je mehr man über den Film hinweg in die Psyche und religiösen Hirngespinste der Protagonistin eindringt, desto komplexer und komplizierter wird es. Hinter der harmlosen, zierlichen Gestalt von Maud verbirgt sich eine schizophrene Persönlichkeit, die sich im Laufe des Films immer weiter entfaltet.

Maud hält sich quasi für einen heiligen Engel, von Gott auserwählt. Immer wieder scheint sie eine Macht zu durchdringen, die sie wie im Orgasmus ekstatisch hin und her werfen lässt. Sie gibt sich voll und ganz ihrem frommen „Herrn“ hin. Als sie eines nachts verzweifelt nach Gesellschaft und „Normalität“ in einem Pub sucht, nachdem Amanda sie gedemütigt und entlassen hat und sie sich von Gott allein gelassen fühlt, hat sie gleich zwei sexuelle Begegnungen mit Männern, die sie aber überhaupt nicht befriedigen können. Schnell wendet sie sich wieder ihrem göttlichen „Mann“ zu, der sie „akzeptiert“ und zur heiligen Lust bringt. Diese Pub-Eskapade lässt sie nur noch radikaler werden und den Entschluss fassen, Amandas Seele endgültig zu retten … jetzt, wo Gott direkt zu ihr gesprochen hat (in einer überraschenden, unheimlichen Sequenz, in der Gott von Morfydd Clark / Maud selbst gesprochen wird, die mit tieferer Stimme walisisch spricht). Alles liegt wohl in der Einbildungskraft von Maud, denn dem Zuschauer wird nach und nach klar, dass dies hier ein Engel ist, den Gott niemals hätte haben wollen.

Art-Horror at it’s best

Glass geht in ihrem Filmdebut gleich mehrere Themen an, die sich hinter der stilistischen Horrorfassade befinden. Die drei Stichwörter lauten hier: Sterbehilfe, Krankheit und Religion. Themen also, die man in einem Arthouse-Film erwarten würde. Amandas monotones und einsames Dasein im Endstadium ihres Lebens zeigt den problematischen Umgang mit physisch unheilbar kranken Menschen. Durchgehend auf externe Hilfe angewiesen, ist die ehemalige Tänzerin nun depressiv, greift gerne zur Flasche und erstickt ihren Schmerz in einer lesbischen Liebesbeziehung mit der toxischen jungen Carol.

Mauds Einsamkeit und Abschottung von der Gesellschaft legt ein weiteres Problem dar, und zwar den Umgang mit psychisch kranken Menschen. Niemand scheint die Gefahr zu bemerken, die von Maud ausgeht; niemand kann ihr Verständnis oder echte Hilfe entgegenbringen. Nur einmal, als Amanda so tut, als ob sie auch die göttliche Macht ihren Körper durchdringen spürt, fühlt sich Maud verstanden und am Platz.

Letztendlich geht der Film zwei verschiedene Krankheiten an – eine physische, die psychische Auswirkungen hat (Amanda), und eine psychische, die physische Konsequenzen hat (Maud). Während Amanda in psychischem Leid endet, so fügt sich Maud physische Schmerzen zu (Selbstkasteiung etc.). So sind beide ein und dasselbe Spiegelbild von verschiedenen Krankheitsformen in der Gesellschaft.

Zuletzt kommt der religiöse Aspekt ins Spiel. Dieser wird nicht klischeehaft angegangen (etwa mit Bibelsprüchen oder Kirchenaufenthalten), sondern ganz auf psychologischer Ebene (Suche nach einem höheren Sinn, nach Verständnis, nach Liebe). Religion dient zunächst als Selbstfindung. Doch je mehr Maud sich darin verliert, desto problematischer wird ihre Wahrnehmung von Religion. Letztendlich führt sie der religiöse Wahn in ein spektakuläres Delirium am Ende des Films, welches hier nicht verraten werden soll …

Fazit: SAINT MAUD ist ein sehenswerter Art-Horror-Film (Arthouse + Horror), der dessen Regisseurin Rose Glass als europäisches Talent offenbart. Watch out!

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Saint Maud | Vereinigtes Königreich 2019 | Regie: Rose Glass | Drehbuch: Rose Glass | Kamera: Ben Fordesman | Musik: Mark Towns | Darsteller: Morfydd Clark, Jennifer Ehle, Marcus Hutton, Turlough Convery, Lily Knight u.a. | Laufzeit: 84 Min.