Zürich Film Festival 2018: Profile

Zürich Film Festival 2018: Profile

Von Michael Kathe

Wer hätte gedacht, dass Timur Bekmambetov (BEN HUR, ABRAHAM LINCOLN VAMPIRJÄGER) noch so einen spannenden Film hinkriegt, und erst noch einen mit Anspruch. Zumal das Anwerben europäischer Teenager für den Islamischen Staat jahrelang lediglich ein Thema der Feuilletons und Dokumentarfilme war und man zum Thema wohl eher einen langfädigen Studiofilm drehen würde. Aber Bekmambetov spielt eine konzeptionelle Trumpfkarte: Den ganzen Film hindurch starren wir nur auf den Computer-Bildschirm der Protagonistin. Der Suspense, den er mit dieser stilistischen Reduktion erzeugt, ist enorm.

Profile_3Die Freelance-Journalistin Amy Whittaker (Valene Kane) ist das, was wir eine Digital Native nennen. Alles, was online geschieht, verarbeitet sie mit unglaublicher Geschwindigkeit, handelt und entscheidet vor dem Bildschirm, hantiert immer mit mehreren geöffneten Programmen und lässt sich von ihrem Freund Wohnungsbesichtigungen und von ihrer Freundin die Ausgangskleider über Skype oder Facetime zeigen. Gleichzeitig bereitet sie sich – eher schludrig – auf ihren beruflichen Coup als Journalistin vor: Sie will sich vom IS anwerben lassen. Die unscharfen Abgrenzungen zwischen Freizeit und Arbeit in der Online-Welt zeigen sich gleich zu Beginn von PROFILE.
Amy eröffnet ein neues Profil, einen neuen Facebook-Account. Als Melody Nelson meldet sie sich bei vermeintlichen Sympathisanten des IS und gerät schnell ins Visier des gutaussehenden Kämpfers Bilel (Shazad Latif), ein charmanter Kindskopf mit Kalaschnikov. Am liebsten postet er Katzenfilme und Hinrichtungsszenen. Äußerst schnell geschieht auch Amys Transformation von der frechen Journalistin zur demütigen, vom Islam und dessen Kampf faszinierten Hijabträgerin, wobei die Multitaskerin vor Kopftuchpannen nicht gefeit ist. Doch ihre Spontaneität und ihre trickreiche Art, mit der virtuellen Fernbeziehung umzugehen, machen einiges wett.

Flink jagt Amy durch die gängigen Programme: Facebook, Skype, iTunes, Youtube und natürlich einen Browser für Recherchen. So flink, dass man eine ironische Note Bekmambetovs zum Zustand des heutigen Journalismus vermuten darf. Amys Chefredakteurin Vick (Christine Adams) ist jedenfalls genauso digital präsent wie Amy, mit leicht parodistischer Note. Schnell ein Briefing von einem VIP-Anlass aus, schnell etwas abgesegnet, kurz über den Job gesprochen. Investigativer Journalismus aus der Hüfte geschossen.

Profile_2In den Facetime-Konversationen mit Bilel erliegt Amy immer mehr der Faszination des Terrorkämpfers. Wenngleich etwas zu naiv und dümmlich für die Journalistin, so transformieren sich seine Lebensenergie, sein Enthusiasmus für den politischen Kampf und seine Sensibilität in gewissen Situationen (die natürlich mit seiner Gewalt kontrastiert) über die sanfte, „lügende“ Oberfläche der Onlinewelt in ein ansprechendes Bild. Für uns Zuschauer beginnt das Grauen, weil wir sehenden Auges verstehen, weshalb Amy von Bilel verführt ist. Geradezu beängstigend die Szene, in der Bilel ihr die große Villa zeigt, die er für sie und sich bereit hält (wahrscheinlich einem reichen Araber entwendet) – da können die Wohnungen, die ihr Freund in London scoutet, abstinken. Die Sache beginnt zu entgleiten, Amy rapportiert immer weniger an den arabisch sprechenden IT-Spezialisten Lou (Amir Rahimzadeh), macht sich auf den Weg ins Kalifat, während gleichzeitig klar wird, dass Bilels „Liebe“ noch von ganz anderen Motivationen getrieben wird.
Wie einst Hitchcock in DAS FENSTER ZUM HOF (1954) die Monoperspektive zu dramaturgischen Zwecken perfekt einsetzte, aber gleichzeitig als einseitige Perspektive des Protagonisten reflektierte, zeigt Bekmambetov den monoperspektivischen Blick auf die vielen geöffneten „Fenster“ (Windows) des Computerbildschirms. In PROFILE bedeutet das Private nicht mehr ein Eindringen in eine unzulässige Sphäre, sondern jeweils eine Direktverbindung in ein anderes Fenster. Von Fenster zu Fenster, ohne öffentlichen Raum. Die private Kommunikation zwischen Amy und ihren Freunden, ihren Arbeitgebern, aber auch zu ihr und dem Terroristen Bilel ist nicht öffentlich. Indem sie so privat bleibt, hinterfragt Bekmambetovs Film die eigentliche „Öffentlichkeitsarbeit“ der Journalistin, ihren Beruf in einer Gesellschaft, die auf entmediatisierter Kommunikation beruht. Damit einher gehen „digitale“ Themen wie leichtfertig affirmative Haltung, ständige Gehetztheit, Hass, Selbstausbeutung. PROFILE dreht sich mehr um diese Themen als um den Islamischen Staat und sein Verhältnis zu Frauen. Darum aber auch.

___________________________________________________________________

Profile, USA/UK/Russland/Zypern 2018 | Regie: Timur Bekmambetov | Drehbuch: Britt Poulton, Olga Kahrina, Timur Bekmambetov, basierend auf: Anna Erelle „In the skin of a Jihadist“ | Schnitt: Andrey Shugaev | Darsteller: Valene Kane, Shazad Latif, Christine Adams, Morgan Watkins, Amir Rahimzadeh | Laufzeit: 105 min.