Nope

Nope

Von Shamway

Man kann NOPE schlecht oder genial finden, seltsam ist er in jedem Fall – weil er einen im konventionellen Sinne unbefriedigt zurücklässt. Jordan Peele gilt ja als ein Meister des neuen Horror (GET OUT, US), weil er locker große Narrative der Zeit wie Rassismus und Kulturpessimismus in seinen Grusel einbaut.

NOPE geht einen Schritt weiter und verquickt viele Stränge zu einer postmodernen SciFi- und Horrorstory. Dabei gibt es zwei Welten in NOPE: alles, was auf der Erde geschieht (und was wir sehen) und das, was wir nicht sehen, das – Spoiler! (Es gibt wohl keine NOPE-Filmkritik, die nicht spoilert!) – oben in einer Wolke passiert. Es geht vielleicht um Außerirdische, die wir nicht sehen. Nicht sehen können. Denn wer genau hinschaut, wird mit dem Tod bestraft. Als Otis Senior, Besitzer einer Pferdefarm für Hollywood-Filmpferde, nach oben schaut, wird sein Augapfel von einer Münze gespalten. Wer hier an „Chien Andalou“ denkt, dem sei gesagt: Filmanspielungen regnet es zuhauf in NOPE, nicht nur von oben herab. Wer an Freuds Kastrationsangst und Erblinden denkt, dürfte auch nicht falsch liegen, geht es hier doch um Kastration im Angesicht einer großangelegten Überwachung.

Unten auf der Erde kümmern sich vor allem Schwarze und andere ethische Minderheiten sowie ein unterklassiger Weißer um das Geheimnis der Wolke. Im Santa Clarita Valley (Tal der heiligen Klarheit) führen Otis Jr. (Daniel Kaluuya) und seine Schwester Emerald (Keke Palmer) die schlecht laufende Ranch weiter. Obwohl sie sich als Nachfahren des namenlosen schwarzen Jockeys präsentieren, der 1878 das Pferd ritt, dessen Bewegungsabläufe den Fotopionier Eadweard Muybridge zu einer Bewegungsstudie animierte (die man quasi als Geburtsstunde des Kinos bezeichnen könnte), läuft das Geschäft nicht mehr. Emerald ist zu (selbst)inszenatorisch und Otis zu zurückhaltend und ungeschickt für Hollywood. Also müssen sie ein Pferd an ein zweitklassiges Hollywood verkaufen: an den Cowboy-und-Indianer-Freizeitpark „Jupiters Claim“. Besitzer ist Ricky „Jupe“ Park (Steven Yeun), einst ein Sitcom-Kinderstar, der noch heute für Fans ein kleines Museum führt. Auch der chinesische Amerikaner hält damit den Mythos des Wilden Westens für ein paar lumpige Dollar am Leben – doch sein Geheimnis ist ein ganz anderes. Das wird zwei Abschnitte weiter unten verraten.

Die Welt des Spektakels – der Filmranches, Wildwest-Themenparks, Sitcoms – ist nicht mehr einfach nur die Welt der Filmmetropole Hollywoods, sondern unsere Leben sind längst durchdrungen davon. Die Welt der Selbstspektakels von Instagram & Co. lässt grüßen. Darauf verweist das Eingangszitat des Propheten Nahum aus dem Alten Testament: „And I will cast abominable filth upon thee, and make thee vile, and will set thee as a spectacle.“ („Und ich will abscheulichen Schmutz auf dich werfen und dich abscheulich machen und will dich zum Spektakel machen.“)

Die Wolke (ja, gemeint ist auch die „Cloud“) mit Außerirdischen soll – so Emeralds Gedanken – das grösste Spektakel der Welt werden, auch ein selbstinszenatorisches Spektakel, und so engagiert sie den Artmovie-Superkameramann Antlers Holst (Michael Wincott), der die Außerirdischen in der Wolke filmisch ideal einfangen soll, um mit dem richtigen Bildmaterial Erfolg und Berühmtheit zu erlangen. (Jordan Peele selbst hat für NOPE übrigens den Superkameramann Hoyte Van Hoytema engagiert, der u.a. für Christopher Nolan filmt.) Doch nicht nur das strafende Auge Gottes von oben (was sich genau in der Wolke versteckt, sei nicht verraten) durchkreuzt die abgefuckte Spektakelkultur, auch andere Protagonisten tun dies. Zurück zu Jupes Geheimnis.

Die Sitcom, in der er vor langer Zeit spielte und die seinen B-Movie-Ruhm begründete, wurde damals abgesetzt, weil ein anderes Filmtier – der Schimpanse Gordy – in einer Live-TV-Folge völlig durchdrehte und alle Schauspieler tötete. Außer Jupe, der sich unter einem Sofa verstecken konnte und vom mordlüsternen Affen nicht bemerkt wurde. Wie Otis‘ Pferd am Anfang des Films, „streikt“ auch der Affe und stört den smoothen Ablauf der Show. Die (Show-)Tiere erweisen sich als die einzigen, die sich der Kontinuität der ewigen Spektakels widersetzen können. Sie erweisen sich als die letzten Aufständischen in einer vollständig durchdrungenen Showbiz-Welt. Sie sind diejenigen, die „Nope“ sagen.

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Nope, USA 2022 | Regie, Drehbuch: Jordan Peele | Musik: Michael Abels | Kamera: Hoyte van Hoytema | Darsteller: Daniel Kaluuya, Keke Palmer, Steven Yeun, Brandon Perea, Michael Wincott, Wrenn Schmidt u.a. | Laufzeit: 130 min.