Nebensaison, 1. Staffel

Nebensaison, 1. Staffel

Von Shamway

Serienmord im Schweizer Film findet gerne in den Bergen statt. Wie auch in der Schweizer Serie WILDER geht es in der französisch-schweizerischen Koproduktion NEBENSAISON um Vorkommnisse in einem Bergdorf in der Schweiz, in dem sich alle kennen und in dem abgesehen von den realen Leichen in gebirgigen Schluchten auch viele Leichen in den Kellern der Protagonisten rumgammeln. So, dass das alles irgendwann raffiniert zusammengesetzt werden kann.

Im (fiktiven) Schweizer Skiort Les Cimes nahe der französischen Grenze wird nach der Schneeschmelze die seltsam rituell hergerichtete Leiche einer Frau entdeckt: Ein Edelweiss-Blümchen auf der Zunge im geschlossenen Mund, Arme und Beine mit rotem Bergsteigerseil verschnürt, Ketamin im Blut. Kurz darauf auf der französischen Seite des Tals eine weitere, gleich zugerichtete Leiche. Das führt dazu, dass – nach dem Vorbild von DIE BRÜCKE – Kommissare aus zwei Nationen zusammenarbeiten. Die Schweizer Kommissarin Sterenn Peiry (Marina Hands) stammt aus Les Cimes, lebt aber seit einiger Zeit und aus ungutem Grund nicht mehr da. Dass sie aus moralisch nicht einwandfreien Gründen das Dorf verließ, hindert sie allerdings nicht daran, sich nun wieder stark zu exponieren. An ihre Seite kommt ein junger französischer Kommissar von weit weg, aus Lyon, wo eine vernachlässigte, hochschwangere Ehefrau auf ihn wartet, ihn bedrängt und zur Wahl stellt: Frau und Kind oder Beruf. Die üblichen Probleme guter Kriminalpolizisten also. Was die berufliche Seite betrifft, verhält sich Lyes Bouaouni (Sofiane Zermani) jedenfalls viel neutraler als seine Schweizer Partnerin.

Daneben geht es um den Kapitalismus in den Bergen. Ist es gut, wenn die touristische Verwertungsgesellschaft immer höher in die Bergnatur vordringt? Kann ein modernes Hotel im Skigebiet neu errichtet werden, wenn es – so die Recherchen von Peiry und Bouaouni – möglicherweise auf unsicherem Fundament errichtet wurde? Wer wusste davon? Interessanterweise sieht die federführende Hotelleiterin Felicie Glassey (Anna Pieri) praktisch gleich aus wie Kommissarin Peiry (Casting-Zufall oder Casting-Unfall?), als sei sie in ihrer Schuld eine Doppelgängerin von Peiry. Glassey trägt gesellschaftliche Schuld, Peiry private.

Kommissarin Peiry verstrickt sich jedenfalls richtig heftig. Weil ihr Sohn Jeremy (Cyril Metzger) möglicherweise nach einem Streit und angetrunken im Regen seine Freundin Melinda (Nastassja Tanner) zu Tode gefahren hat, wird Peiry zum Bad Cop. Sie manipuliert die Leiche Melindas so, dass es aussieht, als sei sie Teil der Mordserie. Doch sie wird dabei beobachtet, und, soviel sei verraten, bei diesem Mitwisser handelt es sich nicht um den aufmerksamen, ehrlichen Counterpart Bouaouni…

Peiry benimmt sich in der Folge tatsächlich wie ein Bad Cop, tut dies aber aus familiären Gründen – ist das nun akzeptabel oder nicht? Das ist das spannende moralische Dilemma der Serie, mit dem sich zwangsläufig auch die Zuschauer beschäftigen. Sie erpresst einen ehemaligen Knasti, das Unfallauto zu reparieren, sie versucht erst, die Leiche zu zersägen und im Boden zu versenken, und sie beginnt, Beweise zu manipulieren, um eine neue Geschichte zu erzählen.

Natürlich ist Sterenn Peiry auch eine Copine (eine Freundin) der Zuschauer. Sie ist klug, durchaus besessen an der Aufklärung des Serienmords beteiligt, trinkt gern und verbringt auch mal eine Nacht mit einem attraktiven jüngeren Mann. Dass sie kein „Bad Lieutenant“ à la Harvey Keitel sein kann, liegt wohl auch an ihrem Geschlecht: denn die Idee, dass eine Mutter ihr Kind mit allen Mitteln beschützt, ist eine der wenigen akzeptierten Möglichkeiten, die es einer Frau erlauben, aggressiv und gewalttätig vorzugehen.

NEBENSAISON ist eine durchaus anständige Serial-Killer-Serie, mit einer etwas anderen Kommissarin – und sonst as usual: symbolisch aufgeladene Morde, sich langsam aufdröselnde Beziehungen, düstere Atmosphäre. Leider spielt die touristische Nebensaion nicht eine so bedeutende Rolle, wenn man bedenkt, das „Nebensaion-Filme“ (wie z.B. der Film gleichen Titels von Daniel Schmid aus dem Jahr 1992) sonst oft etwas romantisch-verlassenes, ein Gefühl der Leere etc. transportieren.

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Hors Saison, Frankreich / Schweiz 2022 | Regie: Pierre Monnard | Drehbuch: Sarah Farkas, Claire Kanny, Marine Ruimi | Kamera: Maximiliaan Dierickx | Musik: Michael Künstle, Matteo Pagamici | Darsteller: Marina Hands, Sofiane Zermani, Clarina Sierro, Cyril Metzger, Anna Pieri, Nicolas Wanczycki, Christian Gregori u.a. | Laufzeit: 6 x 50 min.