Bestie in Schwarz - Kritische Theorie der häuslichen Gewalt

Bestie in Schwarz – Kritische Theorie der häuslichen Gewalt

Von Stefan Preis

Die Situation während der Corona-Pandemie mit Kontaktbeschränkungen und der Empfehlung nach Möglichkeit nicht die eigene Wohnung zu verlassen, verschärft die Situation der von häuslicher Gewalt Betroffenen, in der Mehrzahl Frauen und Kinder. Gewalttaten, versuchte und vollendete Tötungen werden häufig in den Medien als „Familiendramen“ bezeichnet, was solche Verbrechen in die Sphäre des Privaten verordnet und deren politische Dimension verschweigt. Viele amerikanische Kriminalfilme zeigen das „Heim“ als den gefährlichsten Ort für seine Bewohner. Einer der pessimistischsten und intensivsten ist Douglas Hichox‘ BESTIE IN SCHWARZ (BLACKOUT, 1985), der sogar noch vor dem heute wesentlich bekannteren, thematisch sehr ähnlichen STEPFATHER (1987) von Joseph Ruben erschien. Während aber bei STEPFATHER die tatsächliche Identität von „Jerry Blake“ völlig im Dunkeln bleibt, dreht sich die Handlung von BESTIE IN SCHWARZ um die Frage, ob der Mann, der behauptet Allen Devlin zu sein, in Wahrheit Ed Vinston ist.

Handlung

An einem dunklen, windigen Herbsttag werden in Ohio die grausam zugerichteten Leichen von Lucy Vinston und ihren drei Kindern vor dem Fernseher sitzend gefunden. Der schon ältere Polizist Joe Steiner (Richard Widmark) wird mit den Ermittlungen betraut. Obwohl ein erfahrener Ermittler, ist er von der Grausamkeit des Verbrechens schockiert und verspricht einem Kollegen, den Täter – alles deutet auf den Vater der Familie hin – zu finden. Schnitt, ein einsamer Anhalter steht am Straßenrand und wird von einem weißen Wagen mitgenommen. Kurz darauf geschieht ein schwerer Unfall mit einem Lastwagen, bei dem einer der beiden Männer bis zur Unkenntlichkeit verbrennt. Der Überlebende (Keith Carradine) wird mit schweren Verbrennungen in ein Krankenhaus gebracht und hat sein Gedächtnis verloren. Er findet es seltsam, dass er sich beispielsweise an Boris Karloff erinnern kann, aber nicht, wer er selbst ist.

Sieben Jahre später erhält der mittlerweile in den Ruhestand versetzte Steiner einen Zeitungsartikel zugesandt. „Makler des Jahres“ berichtet von der Familie Devlin in Manchester. Steiner, der tatsächlich eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem Familienfoto der Vinstons feststellt, bricht umgehend auf und konfrontiert den Immobilienmakler Devlin mit seinem Verdacht. Tatsächlich wird dessen Ehefrau, seine frühere Krankenschwester Chris (Kathleen Quinlan), mit anonymen Anrufen belästigt, in denen sie Lucy genannt und des Ehebruchs bezichtigt wird. Mehrere Frauen werden von einem unbekannten, in schwarzem Leder gekleideten Mann sexuell attackiert. Ähnliche Vorfälle ereigneten sich auch in den Wochen vor der Ermordung der Familie Vinston. Ist Devlin wirklich in Wahrheit Vinston oder ist er selbst das Opfer eines Komplotts?

Stellenwert

Viele amerikanische Thriller aus den 1980er Jahren lassen sich in drei Kategorien einteilen. Nämlich ob die Bedrohung der Kernfamilie von außen wie in HENRY – PORTRAIT OF A SERIAL KILLER (1986), RAMPAGE (1987) oder in MANHUNTER (1989)(1), von innen wie BLACKOUT oder STEPFATHER oder sowohl von intern wie extern erfolgt wie in A NIGHTMARE ON ELM STREET (1984).

BESTIE IN SCHWARZ fehlt – und dies ist eine Stärke des Films – der grimmige Humor, der in STEPFATHER signifikant ist. Die Figuren Ed Vinston/Jerry Blake sind sich sehr ähnlich, sie sind beruflich erfolgreiche Immobilienmakler, sie sind „Händler des amerikanischen Traums“ von einem Sicherheit spendenden eigenen Heim, aber sie zerstören Familien, wenn sie ein Wertesystem bedroht sehen „so wie ein kleiner Junge sein Spielzeughaus zertritt.“(2) Und der zunächst identitätslose Mann wird auch mit einem „Kind“ verglichen, die Gesichtsoperation und das Leben nach dem Unfall wären eine zweite Geburt. „Kein Gesicht, keine Name, kein Ich“, vermerkt er auf einem Zettel, als man ihm einen Spiegel verweigert. Der Mythos von Peter Pan ist auf beklemmende Weise gegenwärtig, aber auch die Studien über Autorität und Familie der Frankfurter Schule. Max Horkheimers Feststellung, dass die meisten Menschen in der Industriegesellschaft über „keine Persönlichkeit“(3) mehr verfügen, wird zum radikalen Programm. Der sadomasochistische oder autoritäre Charakter zeichnet sich aus durch eine starre Bindung an ein Wertesystem sowie übersteigerte und überangepasste Konformität, nämlich in keinster Weise auffällig zu werden.

Vinston, der vor dem Mord an seiner Familie nie gegen Gesetze verstoßen hat – Steiner betont etwa, dass nie Fingerabdrücke genommen wurden – beseitigte durch akribische Reinigung sämtliche Spuren und erschien an seinem Arbeitsplatz. Die Suche und Akzeptanz von Autoritäten und übergeordneten Personen führt im Gegenzug zum Verlangen nach Machtausübung und Gewalt gegen vermeintlich Untergeordnete, gegen Schwächere wie der eigenen Familie. Gerade hier sieht Erich Fromm die „Perversion aller Werte“ und Angestellte, Vertreter und Manager „sogar noch entfremdeter als (…) Facharbeiter.“(4) Der erste Überfall des in schwarzes Leder gekleideten Angreifers – auch dies ist das Annehmen einer neuen Identität – findet in einem dunklen Park statt, während die zweite Attacke auf eine Frau bereits in deren Wohnung erfolgt. Auch in der Realität sind Frauen viel mehr im persönlichen Umfeld Gewalt ausgesetzt als an unbekannten Orten.

Das Drehbuch stammt von David Ambrose, der auch den Geisterroman EX geschrieben hat. Und viele Szenen könnten tatsächlich aus einem Spukhausfilm stammen, was der unheimliche Score von Laurence Rosenthal sehr gut ergänzt. Das weiße, im niederländischen Stil gehaltene Haus der Vinstons und vor allem das immer wieder im Gewitter gezeigte Anwesen der Devlins wecken Erinnerungen an THE AMITYVILLE HORROR. Insgesamt enthält der Film nur sehr wenige blutige Szenen, diese wirken aber umso heftiger. Zu Beginn wird von dem geschmückten Geburtstagstisch zu den Leichen der Familie Vinston übergeleitet. Der von Metallstangen in seinem Bett gehaltene Mann mit den schweren Entstellungen im Gesicht wirkt wie ein Cyborg. Der Terror gegen Mrs. Devlin in der letzten halben Stunde des Films wird hart und grausam dargestellt.

Joe Steiner erinnert an Kommissär Matthäi aus Dürrenmatts „Versprechen“. Auch er zerbricht an einer grausamen Gewalttat, dessen Verantwortlichen er nicht finden kann, eine Alkoholabhängigkeit wird angedeutet. Er ist alleinlebend, ohne familiäre oder persönliche Bindungen, Spannungen mit den Kollegen werden angedeutet; was ihn treibt, ist Streben nach Gerechtigkeit. Seine Pensionierung erfolgte offensichtlich aus „politischen Gründen“, er selbst spricht davon, er sei durch einen „jungen, dynamischen Computertypen“ ersetzt worden. Statt auf Technik und Rationalität vertraut er auf Intuition und Erfahrung.

BESTIE IN SCHWARZ ist ein psychologisch raffinierter und anspruchsvoller Kriminalfilm, der heute – trotz seiner Aktualität – in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Er ist bisher lediglich als VHS bei Constantin erschienen. Eine restaurierte DVD- und/oder Blu-Ray-Veröffentlichung mit ausführlichem Bonus-Material wäre gerade jetzt wünschenswert. Auch wenn keine direkte Erklärung für die grausamen Taten Ed Vinstons geliefert wird, kommt BESTIE IN SCHWARZ den Motiven für häusliche und partnerschaftliche Gewalt sehr nahe: Diese ist verbunden mit dem Wunsch, dem anderen überlegen zu sein, über ihn zu bestimmen und ihn bis in den Tod hinein zu besitzen.

(1) Krick, Kai, Sascha Westphal und Lorenzo Zucchetti (1998): Millenium – Das Grauen beginnt. Das inoffizielle Buch über die unheimlichen Fälle des Frank Black. München. S. 95 f.
(2) Schifferle, Hans (1994): Die 100 besten Horrorfilme. München. S. 88.
(3) Horkheimer, Max (1991): Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. Frankfurt am Main. S. 128.
(4) Fromm, Erich (1982): Das Menschenbild bei Marx. Frankfurt am Main. S. 57 u. 59.

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Blackout, USA 1985 | Regie: Douglas Hickox | Drehbuch: David Ambrose | Musik: Laurence Rosenthal | Kamera: Tak Fujimoto | Darsteller: Keith Carradine, Kathleen Quinlan, Richard Widmark, Michael Beck u.a.