Fahrenheit 11/9
Von Shamway
Die Umdrehung der Zahl 9/11 (für die Attacken auf das World Trade Center) und 11/9 für den Tag, an dem Trump gewählt war, ist mehr als nur eine Spielerei, wenn man Michael Moore ernst nimmt (und nach mehr als zwei Dekaden politischen Filmens weiß Moore, wovon er spricht und was er zeigt). 9/11 war der Terroranschlag, der die Amerikaner soweit brachte, dass sie Kriege anzettelten mit erlogenen Begründungen und dem Faschismus im eigenen Land ein Türchen öffneten (FAHRENHEIT 9/11 sei „the Temperature where Freedom burns“ erklärte Moore damals den Bezug zu Bradburys/Truffauts FAHRENHEIT 451, der Temperatur, wenn Bücherpapier zu brennen beginnt). 11/9 könnte den Anfang der Vollstreckung eines neuen amerikanischen Faschismus markieren, sollte Trump durchschlagend erfolgreich sein. Doch das ist lediglich die ausführliche Rahmenhandlung.
FAHRENHEIT 11/9 ist kein Anti-Trump-Film. Kein Film, der zeigt, wie verkommen Trump ist, wie er die republikanische Partei zur Marionettenpartei umformt und den politischen Umgangston vor die Hunde gehen lässt. Sondern ein Film, der aufzeigt, wie mächtige Republikaner (und Demokraten) dafür sorgen, dass Menschen nicht mehr unter lebenswerten Bedingungen leben. Ein unglaublich krasser Fall führt Michael Moore ausgerechnet zurück in seine Heimatstadt Flint (Michigan), deren Autoindustrie-Abhängigkeit ja in seinem Erstling ROGER AND ME bereits zentrales Thema war. Michigans Gouverneur Rick Snyder lieferte Trumpschem Vorgehen eine Blaupause, als er in Flint einen finanziellen „state of emergency“ erklärte und die Wasserversorgung umstellte (um mit dem Bau einer neuen Pipeline Aufträge an seine Gönnerfirmen zu verteilen): Statt aus dem Lake Huron stammte das Trinkwasser nun aus dem (von der Autoindustrie vergifteten) Flint River, was zu Bleivergiftungen und frühen Toden in der Bevölkerung führte. Dabei wurden Blutwerte von der Bundesregierung absichtlich gefälscht, das Notrecht von Snyder lange aufrecht erhalten. Ironischerweise erhielt einzig General Motors wieder sauberes Wasser, nachdem das schlechte Wasser zu Produktionsfehlern führte. Obamas Auftritt nach dem Debakel war verlogen und führte dazu, dass die (zumeist schwarze) Bevölkerung nicht mehr zur Wahl ging.
Moore zeigt derart krasse Fälle, dass die USA als eine zur Bananenrepublik degenerierte Demokratie erscheinen. Bleibt da noch Hoffnung?
Moore schwenkt seine Kamera nach links und präsentiert die wahrhaft demokratischen Bürgerbewegungen in den USA, diverse Grassroots Movements links am Establishment der Demokraten: Die Kids, die nach dem Shooting an der Parkland-School auf Protesttour gehen; LehrerInnen, die sich in West Virginia gegen radikale Regierungsauflagen wehren und nicht zuletzt die „Democratic Socialists“ um Bernie Sanders, die das Establishment der Demokratischen Partei zum Erzittern bringt.
Agitpropaganda kann man Moore dabei nicht vorwerfen. Es wäre ein Leichtes gewesen, die steten impertinenten Behauptungen des rechten Fernsehkanals Fox News aufzuzeigen und zu skandalisieren (Fox News operiert mit atemberaubenden Lügen wie z.B., dass es sich bei den Schülerinnen und Schülern aus Parkland um Schauspieler handle, die für eine Anti-Waffen-PR-Tour eingesetzt wären etc.). Darauf verzichtet Moore. Agitpropaganda kann man ihm andererseits natürlich sehr wohl vorwerfen, wenn er die Situation rund um Trumps Aufstieg mit Hitlers Aufstieg vergleicht. Moore bleibt Moore: sehr menschlich und reflektiert, aber immer gut für eine heftige Note. (Vielleicht hat deshalb früher ein Steve Bannon die DVD-Ausgabe eines Moore-Films realisiert.)
Und Propaganda für neue soziale Bewegungen in den USA macht er in jedem Fall. Dass diese Bewegungen ihre beste politische Unterstützung in den demokratischen Sozialisten findet, führt dazu, dass er auch die beiden Vorzeigeyoungsters des US-Kongresses kurz porträtiert: Rashida Tlaib aus, ja, Michigan und Alexandria Ocasio-Cortez aus New York, die mit vielen PR-Stunts und Politinitiativen („New Green Deal“) inzwischen auch einer breiteren Öffentlichkeit hierzulande schon mal begegnet sein dürften.
Nach Witzen ist es Moore allerdings längst nicht mehr zumute – nur manchmal schimmert noch etwas Schalk durch. Als er eigenhändig ein Tankfahrzeug voll vergiftetem Flint-Wasser in die Gärten des Anwesens von Gouverneur Rick Snyder spritzt.
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Fahrenheit 11/9 | USA 2018 | Regie, Drehbuch: Michael Moore | Kamera: Luke Geissbühler, Jaime Roy | Schnitt: Doug Abel, Pablo Proenza | 128 min.
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