Blutiger Freitag

Blutiger Freitag

Von Guy Montag

Es gibt immer mal wieder Filme, wo man sich schon bei der ersten Sichtung klar ist „Sowas gibt es nicht sehr oft“. BLUTIGER FREITAG ist solch ein Werk, denn es steht ziemlich allein auf weiter Flur in der deutschen Filmgeschichte. Unverhohlen ehrlich und als klarer Kommentar zur Entstehungszeit, die Situation der deutschen, vom Terror gelähmten Gesellschaft aufnehmend, aber kein ‚Neuer deutscher Film‘. Burschikoser, hemdsärmeliger Genrefilm mit ganz klarem Publikumsauftrag, entstanden ohne Filmförderung und Fernsehgelder – sondern Kino, ganz einfach breites, fettes, richtiges Kino. Rolf Olsen, ein kleiner König deutschen Nachkriegsfilms, lädt ein zu einem Meisterwerk.

BlutigerFreitag_PosterDie Geschichte ist im Grunde schnell erzählt: ein entlassener Schwerverbrecher, Heinz Klett (Raimund Harmstorf), organisiert mit seinem Kumpel Luigi (Gianni Macchia) und dem desertierten Bundeswehrsoldaten Christian (Amadeus August) einen Bankraub, nimmt Geiseln, erpresst Lösegeld. Die Polizei versucht die Sache mit aller Härte aufzuklären Die Flucht führt sie ins Münchener Umland, wo es zum großen Showdown kommt.

Eine mehr als einmal gefilmte Story, doch wie Rolf Olsen und sein Team sie erzählen, sprengt förmlich den Bildschirm. „Hemmungen – Null. Rücksicht – Null“; diese Devise müssen hier alle Beteiligten als Leitspruch gehabt haben. Rolf Olsen galt spätestens seit dem 1967 ebenfalls mit Italien produzierten DAS RASTHAUS DER GRAUSAMEN PUPPEN als Exploitationregisseur erster Güte. Seine St.-Pauli-Filme sind allesamt eine Schau. BLUTIGER FREITAG jedoch ist die Potenzierung aller Ingredienzien der vorherigen Filme, die ganze Sache wird auf eine Metaebene gehoben, die geradezu atemberaubend ist.

BlutigerFreitag_51972, im Zuge des RAF-Terrorismus in Deutschland und der zunehmenden Gewalt, hielt es Olsen für angebracht, seine Stellungnahme zum Tagesgeschehen unters Volk zu werfen. Er orientierte sich an den in Italien gerade Erfolg erringenden Polizeifilmen und somit war eine Koproduktion mit der Daunia-Film aus Rom geradezu zwingend. Alles ist hier vertreten: die provokante und großteils sexuell betonte Gossensprache, reaktionäre Sprüche, die ungezügelte Inszenierung der Gewaltszenen und der schon fast inflationäre Einsatz des Kunstblutes, das zeitweilig in Strömen fließt.

Doch was wäre dieser Film ohne seine Darsteller: „Seewolf“ Raimund Harmstorf gibt den bulligen, ungezügelten und hochbrutalen Heinz Klett mit großem Enthusiasmus (Synchronstimme: Klaus Kindler), Amadeus August den in die Mühlsteine des Verbrechens geratende Bruder von Christine Böhm. Ernst H. Hilbich spielt konträr zu seinem sonstigen Image einen schleimigen Opportunisten und Gila von Weitershausen macht als Millionärstochter ebenfalls einen guten Eindruck. Auf Seiten des Gesetzes liefern sich die gewohnt guten Horst Naumann und Walter Buschhoff spitze Wortgefechte.

BlutigerFreitag_2Olsen inszeniert ohne Punkt und Komma, Franz X. Lederle liefert kameratechnische Kabinettstückchen am laufenden Band und Francesco de Masi versieht den Film mit einem groovenden Soundtrack inklusive Grätschgitarre und Italo-Flair, der leider immer noch einer CD-Auswertung harrt.

Innerhalb der mustergültigen und für die bedeutende Publikation von MÄDCHEN, MÄDCHEN mit dem Willy-Haas-Preis 2017 ausgezeichneten Edition Deutsche Vita erschien BLUTIGER FREITAG in limitierter Auflage. Das 4-Disc-Digipack – so die Luxusausgabe, die es neben den Kaufhausversionen auch gibt – erleben wir die Weltpremiere der unveröffentlichten Langfassung, die bei den Materialrecherchen zum Film auftauchte und den Streifen insgesamt noch viel runder erscheinen lässt. In 4K und unzensiert sind die Abenteuer von Heinz Klett nun in der Form erschienen, wie sie immer sein sollten. Neben der deutschen, englischen und italienischen Sprachfassung kann man wahlweise die deutsche und italienische Kinofassung anwählen.

BlutigerFreitag_4An Bonusmaterial herrscht kein Mangel, im Gegenteil – hier wird aus dem Vollen geschöpft. Die knapp zweistündige, exklusiv produzierte Dokumentation „Ein kalter Tag“ über die Hintergründe und Dreharbeiten lässt viele damalig Mitwirkende zu Wort kommen und kontextualisiert die Entstehungsgeschichte des Streifens. Neben Gianni Macchia und Gila von Weitershausen plaudern Kameramann Franz X. Lederle und Aufnahmeleiter Otto W. Retzer über ihre Erfahrungen mit Olsen, die Darsteller Daniela Giordano, Ursula Erber, Horst Naumann und Claudius Casagrande reflektieren über Ihre Karrieren und die Mitwirkung in einem der legendärsten Filme deutscher Kinogeschichte. Eine Location-Tour an die originalen Drehorte von BLUTIGER FREITAG zeigt, was ganz sichtbar vom Treiben um die Filmproduktion übrig blieb. Es gibt Audiokommentare von Christian Kessler und Pelle Felsch sowie von Daniela Giordano und Giacomo Di Nicolò, einen Einblick in die Rekonstruktion der neuen Fassung und die Hürden der Restauration, eine umfangreiche Bildergalerie inklusive Plakatmotiven, Aushangfotos, Produktionsdispositionen und dem Werberatschlag. Eine Reihe von „easter eggs“, die Trailer aus Deutschland, Frankreich und England sowie ein Booklettext von Thomas Groh und Philipp Stiasny bilden den Abschluss einer Veröffentlichung, auf die alle Beteiligten stolz sein können und die sicher für lange Zeit das Nonplusultra darstellen dürfte.

Alles zusammen ergibt einen höchst spekulativen Reißer, von dem man aus der Retrospektive kaum glauben kann, dass er in Deutschland einst produziert werden konnte. Für alle Freunde abseitiger Filmkunst und Fans von hemmungslosem Kino ist dieser Film ein klares „must see“.

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Blutiger Freitag / Violenza contro Violenza, Deutschland/Italien 1972 | Regie: Rolf Olsen | Darsteller: Raimund Harmstorf, Gianni Macchia, Amadeus August, Christine Böhm, Daniela Giordano, Gila von Weitershausen

Anbieter: Subkultur Entertainment