Hatchet for the Honeymoon

Hatchet for the Honeymoon

Von Christopher Klaese

Wenn es je einen Filmschaffenden gab, dem man das Prädikat „Der italienische Alfred Hitchcock“ ohne Zweifeln hätte anheften können – die Ehrung wäre Mario Bava zugegangen. Jenem faszinierenden Filmliebhaber, dessen technische Fertigkeiten ihn in den Stand setzten, mit schierem Talent noch die größte Kommerzproduktion in ein Werk voller Bildgewalt und Blickwinkelfinesse zu verwandeln. Wie es aussieht, wenn Bava den inszenatorischen Brautstrauß wirft, davon erzählt HATCHET FOR THE HONEYMOON.

HATCHET-CoverHochzeit! Der schönste Tag im Leben einer Frau – doch in Gesellschaft von John Harrington (Stephen Forsyth) wird es ihr letzter Tag sein. Denn John ist krank, paranoid; ein Geistesgestörter. Jedoch, er verschließt sich nicht vor dieser Wahrheit. Er, der angesehene Inhaber eines Brautmodensalons, hat eine ‚Mission‘: immer, wenn er tötet, legt er ein weiteres Puzzleteil seines Traumas frei – seine sterbende Mutter, die er in ihrer Hochzeitnacht fand, sich selbst in Kindsgestalt. Aber John will verstehen, wer seine Eltern damals umbrachte – und welchen Weg er dafür gehen muss, dass begreifen weder seine Frau Mildred (Laura Betti) noch das attraktive Fotomodell Helen (Dagmar Lassander). In immer kürzeren Abständen ergreift die Sehnsucht nach Erlösung Besitz von John – und als ein eifriger Kriminalkommissar (Jesús Puente) beginnt, Verdacht zu schöpfen, hebt sich der Brautschleier zum ultimativen Junggesellenabschied.

Nach Jahren in verschiedensten Genres kehrte Bava mit diesem Film zum Gruselthriller zurück. Mit vollem Risiko schlug er eine große Paramount-Produktion aus, um stattdessen mit kleinem Budget einen Film zu drehen, der komplett in seinen Händen lag: er inszenierte, führte die Kamera und schrieb am Drehbuch mit. Herausgekommen ist HATCHET FOR THE HONEYMOON, eine Mischung aus Psychothriller und Horrorfilm mit Giallo-Elementen, aufgehübscht durch starke Rückbezüge zu Alfred Hitchcock. Die künstlerische Freiheit nutzte Bava für delirierende Optiken, spannende Regieeinfälle, überbordende Farbdramaturgie und einfallsreiche Kostümgestaltung – immer serviert mit der leichten Ironie, dem kecken Augenzwinkern, dass in Bavas besten Filmen durchscheint und merken lässt, mit welcher Kultur und Souveränität er das Filmemachen betrieb.

HATCHET-02Bava, begeistert vom Hauptdarsteller seines Vorgängerfilmes DIABOLIK (1967), fand – nachdem John Philipp Law es lieber vorzog, die Pop-Art-Oper BARBARELLA (1967) zu drehen – in Stephan Forsyth einen Beau von ganz ähnlicher Typisierung. Dessen Darstellung des von seinen Obsessionen und Traumata gepeinigten Geisteskranken zählt zu den besten Leistungen seiner Karriere und offenbart, dass unter den Händen eines fähigen Regisseurs sonst eher schlummernde Kräfte freigelegt werden. Ebenfalls großartig die göttliche Dagmar Lassander, deren Schönheit durch Bavas Objektive zu perfekter Stilisierung einlud. Pasolinis Muse Laura Betti bereichert mit ihrer schlichten Präsenz – die für kurze Gastauftritte verpflichteten Genregesichter Femi Benussi und Luciano Pigozzi runden das gut aufgelegte Ensemble ab.

Ebenso ungezügelt und frei geht die Musik von Sante Maria Romitelli mit dem Sujet auf die Reise. Abwechslungsreich präsentiert sich sein Score, reicht vom träumerischen, mit Streichern durchsetztem Hauptthema im Big-Band-Stil über fetzige Beat-Passagen bis hin zu barock-pastoralen Klängen. Wenn Romitelli die Brüche der Inszenierung, die Sprünge in den Erzählstrukturen in seinem Sound Design mitgeht, wenn er vom kindlich-melodiösen ins dissonant-fragil Neutonale fast unmerklich hinübergleitet – das hat besonderen Reiz und verleiht dem Film endgültig eine mystische und übersinnliche Aura von ewiger Schönheit. Dankenswerterweise ist der formidable Soundtrack auch auf einer bei Digitmovies erschienenen CD jederzeit nachhörbar.

HATCHET-04Nunmehr erscheint HATCHET FOR THE HONEYMOON beim noch jungen Label Wicked-Vision Media als deutsche HD-Premiere auf DVD und Blu-ray, wobei die Abtastung vom 35mm-Negativ dem Film endlich seine ganze visuelle Pracht zurückgibt. Neben guten Schärfewerten und einem prächtigen Farbraum im Format 1,78:1 werden die deutsche Synchronisation – in den 1980ern mit Granden wie Michael Brennicke oder Norbert Gastell für eine Fernsehausstrahlung realisiert – sowie der englische Originalton und die italienische Synchronfassung in hörbar aufpolierter Form kredenzt. Das exklusive Bonusmaterial kann ebenfalls überzeugen, wobei der Audiokommentar von Pelle Felsch sich reich an Informationen gibt. Neben dem kleinen Videofeature „My Dying Bride“ von Prof. Dr. Marcus Stiglegger steuert Uwe Huber mit „A Hatchet For Dagmar“ ein Interview mit Hauptdarstellerin Dagmar Lassander bei, wobei auch eine kleine zweisprachige Einleitung zum Film enthalten ist. Zugaben sind in Form der deutschen wie italienischen Anfangs- und Endsequenzen, dem englischen Originaltrailer sowie umfangreichen Artworkgalerien enthalten. Das ebenfalls erhältliche Mediabook mit zwei Covervarianten kann außerdem mit einem vierundzwanzigseitigem Booklet punkten – das alle Varianten der Veröffentlichungen über Cover ohne FSK-Logo verfügen, sei der Form halber erwähnt.

HATCHET-01Stets fristete dieser Film in Bavas Oeuvre ein etwas ungerechtfertigtes Schattendasein: für pittoresken Gothic-Horror á la DIE STUNDE, WENN DRACULA KOMMT (1960) zu modern, für ein graphisches Schlachtfest vom Schlage eines IM BLUTRAUSCH DES SATANS (1971) zu zahm. Und doch ist HATCHET FOR THE HONEYMOON dank seiner opulenten Inszenierung, der rauschhaften Farbästhetik, einer ungemein einfallsreichen Kameraarbeit und der konsequenten Charakterzeichnung nicht weniger als einer der persönlichsten Filme Bavas; eine Quintessenz seines bis dato erfolgten Schaffens. Wer begreifen möchte, warum Bava als einer der Gründerväter des modernen Horrorfilmes gilt und ihm der Titel „Der italienische Alfred Hitchcock“ jederzeit zugestanden hätte, der ist hier richtig – RED WEDDING NIGHT ist in dieser Präsentation eine echte Wiederentdeckung!

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Il rosso segno della follia, I/ES 1970, R: Mario Bava, D: Stephen Forsyth, Dagmar Lassander, Laura Betti, Femi Benussi, Luciano Pigozzi, Gérard Tichy

Anbieter: Wicked-Vision Media