The French Dispatch

The French Dispatch

Von Shamway

Detailversessenheit ist für Pedanten und Wes Anderson-Fans. Liebend gern zählt man sich zu zweiteren und wird mit THE FRENCH DISPATCH noch reicher belohnt als bisher. Noch mehr liebevoll inszenierte Bilder, schrullige Charaktere, berühmte Schauspieler, filmische Bezüge, Frontalperspektiven, verbale Eskapaden und Anspielungen. Lediglich die wunderschönen Farbkompositionen weichen hier ganzen Storyteilen in Schwarzweiß.

Diese Überfülle kommt allerdings nicht als reiner Manierismus daher, sondern ist dem Thema und der Struktur geschuldet. THE FRENCH DISPATCH weint in seiner Romantik und seinem Retrobewusstsein den guten alten Zeitschriften à la „The New Yorker“ mehr als nur eine Träne nach. Denn beim „French Dispatch“ (übersetzt etwa: „Depesche aus Frankreich“) handelt es sich um ein schön gestaltetes Magazin von hoher journalistischer, ja essayistischer Qualität. Chefredaktor Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray) überlässt seinen superben Journalisten viele Freiheiten, lässt sich gern von der Notwendigkeit zur Veröffentlichung überzeugen, wenn einmal ein Artikel zu lang ist. Das fiktive Magazin leitete Howitzer Jr. von 1925 bis zu seinem Tod 1975, der gleichzeitig den Tod des Magazins markierte. Der „French Dispatch“ ist ein Auslandsmagazin der (ebenso fiktionalen) Tageszeitung „Liberty, Kansas Evening Sun“: Bei einem Frankreichaufenthalt des jungen Howitzer Jr. verwandelte er die Sonntagsbeilage in dieses Magazin aus Europa, dank einigen großartigen, exklusiven Auslandskorrespondenten. Wes Andersons Film nun zeigt das Entstehen und die Stories der letzten Ausgabe bis zu Howitzers Tod. Oder banaler gesagt: Was wir zu sehen bekommen sind eine Rahmenhandlung (letzte Ausgabe) und vier Kurzgeschichten (Artikel, Recherche aus verschiedenen Bereichen).

So führt uns die erste Geschichte einfach in das kleine Städtchen ein, in dem der „French Dispatch“ überhaupt erst produziert wird: Ennui-sur-Blasé (also blasierte Langeweile: Das, was man liebevoll über Franzosen sagt.) Der Reisereporter Herbsaint Sazerac (Owen Wilson) fährt per Fahrrad durchs Dorf und macht uns – direkt in die Kamera gesprochen – mit dessen Eigenheiten bekannt. Auf charmante Art lernen wir Pros und Cons kennen: Taschendiebe, Sex und Prostitution, oder die Leichen, die aus dem Fluss Blasé gefischt werden. So anregend sollte ein guter Reisebericht sein – und wir lernen nicht nur Wissenswertes über den Ort kennen, sondern auch den Menschen dahinter, der es schreibt. Persönlicher, ja literarischer Journalismus statt politischen Meinungsjournalismus. Von Journalisten, die sich ihrer Themen annehmen und sich auch gleich involvieren, sich also zum Teil ihrer Story machen.

Die erste richtige, längere Story stammt von der Kunstkritikerin J.K.L. Berensen (Tilda Swinton), die vom psychotischen Mörder Moses Rosenthaler (Benicio del Toro) berichtet, der im Gefängnis von Ennui Weltberühmtheit erlangt mit seinen Kunstwerken. Eine Gefängniswärterin namens Simone (Léa Seydoux) posiert für ihn, ist seine Geliebte, aber auch seine strenge Managerin. Schließlich wird eine hochdotierte Ausstellung im Gefängnis angesetzt, die nicht problemlos vorbei geht.

Die politische Korrespondentin Lucinda Krementz (Frances McDormand), eine eher steife Person, verliebt sich in den Studentenunruhen in Ennui (die sehr 68er sind) in den gutaussehenden jungen Studentenführer Zeffirelli B. (Timothée Chalamet) und schreibt für und mit ihm linke Manifeste. Mit dem überraschenden Liebespaar entsteht auch ein Konflikt mit der anderen Studentenführerin Juliette (Lyna Khoudri). Neben viel Demontrations-Action und einer finalen Schachpartie zwischen dem Polizeipräsidenten und Zeffirelli folgt auch eine Debatte über journalistische Objektivität – geprägt von Krementz‘ schreibender Teilnahme am politischen Geschehen.

Genauso involviert sich der schwarze, homosexuelle Foodschreiber Roebuck Wright (Jeffrey Wright), der beim Porträt des großartigen Polizeikochs Leutnant Nescaffier (!) (Steve Park) mit der Entführung des kleinen Sohns von Nescaffiers Vorgesetzten, dem Commissaire von Ennui, konfrontiert wird. Es geht um Bandenkrieg, totale Polizei-Mobilmachung, eine TV-Talk-Show und eine waghalsige Rettungsaktion.

Der Film zeigt, dass Journalismus nicht unbefleckt ist, ja, nicht unbefleckt sein muss. Er führt uns die Vorzüge eines Journalismus vor, wie er vor allem in den sechziger und siebziger Jahren von Leuten wie Tom Wolfe, Truman Capote, Hunter S. Thompson, Joan Didion oder Norman Mailer praktiziert wurde. Artikel werden Reportagen. Sie werden nicht mit einem „objektiven Auge“ erzählt, sondern mit einem eindeutig identifizierbaren Erzähler. Und, wie Tom Wolfe 1970 den Stil im „Bulletin of the American Society of Newspaper Editors“ erklärt: „Die Grundeinheiten der Berichterstattung sind nicht mehr wer-was-wann-wo-wie und warum, sondern ganze Szenen und Dialogstrecken. Der neue Journalismus beinhaltet eine Tiefe der Berichterstattung und eine Aufmerksamkeit für die kleinsten Fakten und Details, von denen die meisten Journalisten, selbst die erfahrensten, nie geträumt haben.“ Hier sind wir wieder bei Wes Andersons Film angekommen. Die „Tiefe der Berichterstattung bis in die kleinsten Details“ demonstriert Anderson einmal mehr mit einem schwindelerregenden Reichtum an Dekors, Kleidungen, Architektur (alles besonders schön, weil frankophil), Essen, Design, Musik. Natürlich voller Anspielungen, Zitate und Erweiterungen, von der Namensgebung („Zeffirelli“ erinnert an den italienischen Regisseur Franco Zeffirelli, und Zeffirellis und Juliettes Verschwinden in den Sonnenaufgang mag an dessen Kitschepos ENDLESS LOVE mit Brooke Shields erinnern), über Filmzitate (z.B. an Jacques Tatis MON ONCLE) bis hin zu Jarvis Cockers Titelsong, einer Coverversion des Chanson-Klassikers „Aline“.

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The French Dispatch, USA 2021 | Regie, Drehbuch: Wes Anderson | Story: Wes Anderson, Roman Coppola, Hugo Guiness, Jason Schwartzman | Kamera: Robert Yeoman | Musik: Alexandre Desplat | Darsteller: Owen Wilson, Benicio del Toro, Tony Revolori, Adrien Brody, Tilda Swinton, Bob Balaban, Frances McDormand, Lyna Khoudri, Christoph Waltz, Jeffrey Wright, Liev Schreiber, Willem Dafoe, Edward Norton, Bill Murray, Anjelica Huston u.v.m. | Laufzeit: 108min.