Der Teufel kam aus Akasava / Der Todesrächer von Soho

Der Teufel kam aus Akasava / Der Todesrächer von Soho

Von Christopher Klaese

“Meisterwerke des schlechten Geschmacks“; so lautete der ambivalente Kommentar über die Filme, die der kultisch verehrte Jess Franco in den Jahren 1970/1971 für die Produzentenlegende Artur Brauner inszenierte. Dieses vergiftete Lob – „Meisterwerke des schlechten Geschmacks“ – fiel als Off-Kommentar in einer Dokumentation zu Atzes 100. Geburtstag; und dankenswerterweise schob der heutige UFA-Geschäftsführer Nico Hofmann sofort hinterher, dass Brauners Œuvre jener Jahre einfach schlicht keine Grenzen gekannt habe, wild gewesen sei – vieles, was als ‚trashig‘ abgetan werde, würde in einer heutigen Artur-Brauner-Retrospektive wahrscheinlich vom Publikum nicht zuletzt aufgrund des konservierten Zeitgeistes gemocht. Anhand zweier kürzlich erschienener Neuveröffentlichungen kann man sich hiervon nun wieder überzeugen.

WILD!

Auf DER TEUFEL KAM AUS AKASAVA trifft dieses Attribut ohne Abstriche zu. Denn der Film ist wild, an allen Ecken und Enden. Die Story scheint hanebüchen, zusammengeklaubt aus einer Kurzgeschichte vom Altmeister der Spannungsliteratur – Edgar Wallace – und taugt lediglich zum Groschenheft. Im afrikanischen Dschungel streiten viele Menschen um einen mysteriösen Stein, der – wie es uns zumindest die deutsche Synchronbearbeitung weißzumachen versucht – unter bestimmten Umständen ein bestimmtes Metall in Gold verwandeln kann. Auch wenn dieses Motiv in seiner Klarheit nicht einmal den weiteren Lauf der Filmhandlung übersteht, so fingerhakeln alle möglichen Geheimdienste, Polizianten, Privatiers und schlichte Verbrecher um den Felsbrocken – dabei bleibt reichlich Personal auf der Strecke. Am Schluss deichseln eine ausziehfreudige Agentin und ein nymphomanischer Inspektor die Kiste, der Stein stürzt letztendlich ohne ihr Zutun mit einer Cessna ab – Ende, Schlussbild. So viel zur Geschichte, die anscheinend auch Jess Franco selbst während des Drehs aus den Augen verlor. Schon ausweislich des Kinotrailers ist klar, dass der Regisseur bereits gedrehte Szenen wieder verwarf, umstellte, vielleicht auch kürzte, weil sie beim besten Willen nicht dazu dienen wollten, die Handlung zumindest halbwegs sinnhaft abzuschließen.

Aber darum geht es dem Grunde nach auch irgendwann nicht mehr. In gewisser Weise ist DER TEUFEL KAM AUS AKASAVA ein kleines Wunderwerk, denn objektiv hat der Streifen mehr als eine Malaise. Die Geschichte kann man sich schenken, die Schauspieler dachten merkbar ähnlich – Soledad Miranda versprüht zwar ihren einzigartigen Charme und Franco weiß mit diversen Striptease- und Badezimmerszenen, was er seiner Muse schuldig ist und auch Fred Williams und Ewa Strömberg schmeißen sich mit Verve in ihre holzschnittartigen Parts. Doch die Altstars, die mit Brauner wohl feste Verträge hatten und somit ‚gesetzt‘ waren, spielen ihre Parts mehr oder weniger steif vom Blatt – Horst Tapperts Augen wirkten selten leerer. Ein Vorkriegsstar wie Blandine Ebinger wird regelrecht verheizt, der dick geschminkte Walter Rilla rollt schäublemäßig durch die Kulissen – lediglich ein Siegfried Schürenberg weiß, was er seinem Publikum schuldig ist. Franco erhebt den hakeligen Zoom der Handkamera zum festen Prinzip des gesamten Streifens, verliert dabei gerne mal den Fokus aus dem Blick, halbe Köpfe fehlen – der Zoom lässt Schwindelanfälle einsetzen. Der stakkatohafte Schnitt wirkt fahrig, der Musikeinsatz mitunter sehr ‚robust‘ und unpassend.

Doch wer Jess Francos Kino liebt, der weiß – all diese Eigenschaften machen keinen ‚schlechten Film‘. Denn Francos Kino ist faktisch zelluloidgewordene Jazzmusik, assoziative Improvisation, traumwandlerisches Sich-Treiben-lassen, subversives Ausloten der Grenzen des Mediums. Hier ist die gesamte Story Hitchcock’scher MacGuffin, sie dient lediglich als Triebfeder für surreale Bilder, für erotisch-laszive Ein- und Zweisamkeitsmomente, für teils sehr hemdsärmelige Humorismen, für Bilder von merkwürdiger Kunstfertigkeit, für den Reiz des Unperfekten. Von den in gewisser Weise fast schon ‚üblichen‘ – und in Anbetracht der optischen Reize durchaus verständlichen – ausgedehnten Sequenzen Soledad Mirandas einmal abgesehen, begeht Franco nicht den Fehler, den Film strecken zu wollen; er spielt nicht ‚auf Zeit‘. Ganz im Gegenteil, insbesondere die in schnellerer Bildfrequenz und somit fast an Stummfilmkomödien erinnernden Autofahrtszenen zeigen, dass Franco zügig vorankommen will. Dazu schmirgelt ständig poppiger Konservenjazzfunk aus den Lautsprechern, die Manfred Hübler und Siegfried Schwab eigentlich für obskure LPs aufgenommen hatten – da wabert alles psychedelisch, da surrt die Hammond, da wackelt die Sitar, es brummt der Bass, es plärren die Bläser. Fast ist man geneigt zu sagen, DER TEUFEL KAM AUS AKASAVA ist ein filmischer Drogenrausch, bei dem man als Zuschauer nicht mehr mit Eigenbedarf nachhelfen muss. Der Film polarisiert, für Freunde klassischen Edgar-Wallace-Gruselns scheint er ein echter Missgriff. Für Freunde und Verehrer des Europloitation, des schieren Filmrauschs, des Regisseurs, für all jene ist der Streifen pures Gold und reinste, unvollkommenste, erdigste, unverwüstliche Filmkunst ‚aus dem Bauch heraus‘.

KEINE GRENZEN KENNEN!

In gewisser Weise ganz anders und doch auf seltsame Weise eines Geistes ist der etwas später entstandene DER TODESRÄCHER VON SOHO, basierend auf einer Story von Wallace‘ Sohn Bryan Edgar und eigentlich nicht mehr als das simple Recycling eines bereits 1962 unter dem Titel DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN KOFFER verfilmten Drehbuchs, dass in Atze Brauners Berliner CCC-Büro wahrscheinlich beim Wegsortieren übriggeblieben war. Die Logiklöcher sind in der Story immer noch enthalten, der unbekannte Messermörder, der seinen baldigen Opfern aus unklarem Grund vor ihrer Ermordung die Koffer packt, verbreitet zwar Angst und Schrecken unter den Delinquenten, doch im Gegensatz zum 1962er Film wird gerade die Auflösung dieses Kniffs der Geschichte im TODESRÄCHER auch noch unterwegs vergessen. Auch warum ein bekannter Krimiautor eigentlich ein entflohener Kettensträfling ist, der von niemandem als solcher erkannt wird und nun in selbstjustiziabler Manier durch die Besetzungsliste werkelt, wird nicht ganz ersichtlich – der Kommissar ist so sehr mit ermitteln und dem Becircen der Damenwelt beschäftigt, dass er ohne seinen skurrilen, aber wenigstens handfeste Indizien heimbringenden Fotografenverwandten ziemlich kleinlaut seinem Chef gegenüberstehen würde. Ein mysteriöser Hausarzt, der gleichzeitig ein Rauschgift herstellender Lord ist, mischt auch mit – wobei die Personalunion der beiden Herren noch weniger ersichtlich wird als in der Ursprungsverfilmung.

Obgleich man, was die Geschichte betrifft, also wieder mal auf dem Holzweg zu sein scheint und sich daran nicht allzu lange aufhalten sollte, scheint mir DER TODESRÄCHER VON SOHO für den allgemeinen Massengeschmack des Publikums einer von Jess Francos zugänglichsten und am wenigsten seinen eigenen Trieben folgenden Filmen. Denn Franco geht hier in medias res und besinnt sich auf die Kerntugenden des deutschen Expressionismus; er dreht im Grunde einen dunkel-düsteren Schwarzweißfilm in Farbe. Mit Schienenfahrten, durch mit Gaze verhängte Linsen, Milchfilter und mitunter statischer fast Kamera dreht er einen optisch diametral anderen Film als DER TEUFEL KAM AUS AKASAVA, es ist in seiner trancehaften Licht- und Schattenspielfreude der komplette Gegenentwurf zum fahrigen Zoomgedonner des Vorgängers. Dass der Regisseur seine großen Vorbilder der Stummfilmgeschichte kennt und weiß, dass herausfordernde Gegenlichteffekte, subjektive Bildkader, extensives Formenspiel, ruhige Szenenfolgen mit tatsächlicher Suspenseatmosphäre und in die Tiefe gestaffelte Teleaufnahmen auch in der poppig bunten Farbfilmwelt anno ’71 ihrer Wirkung nicht fehl gehen, darf als Beweis für Intelligenz und schöpferische Kraft des oft gescholtenen Auteurs gewertet werden.

Auch die Schauspieler geben hier nun jene Reserven frei, die sie sich bei AKASAVA noch aufgespart hatten, insbesondere Horst Tappert ist kaum wiederzuerkennen. Mit zupackender Schmissigkeit und partieller Selbstironie fegt er schneidig durch die Inszenierung, zeigt sich als patenter Dialogpartner für die mit strengem Pagenschnitt ausstaffierte Barbara Rütting – Siegfried Schürenberg ist wie immer der Fels in der Brandung, der in jeder Szene weiß, weshalb man ihn in den Ateliers stets den ‚König der Nebenrolle‘ nannte. Fred Williams, diesmal wesentlich solider im Umgang mit den Damen, kann sich mit Rainer Basedow und dem Spanier Luis Morris auf patente Komiker verlassen – die Synchronbesetzung des Letzteren mit dem kieksenden Hans Clarin ist wohl einer der genialsten Schachzüge des Dialogautors Arne Elsholtz – und Wolfgang Kieling beweist, dass man auch bei einer Rolle, die am Ende kaum mehr als drei Filmminuten ausmachen wird, unchargierendes Interpretieren zu Wege bringen kann.

Dass DER TODESRÄCHER VON SOHO trotz seines Handlungsortes und ein bisschen London-Atmosphäre im Vorspann zu keinem Zeitpunkt verhehlen kann und will, dass er wie auch AKASAVA kostenschonend komplett in Spanien und Portugal gedreht wurde und beim besten Willen nicht mal im Ansatz so nach England aussieht, macht da gar nichts. Statt eines Fünf-Uhr-Tee reicht der Regisseur eine filmische Paella mit schwerem Rotwein als Begleitung. Denn Francos Kino geht es nur in den seltensten Fällen des Genrefilmes um authentische Kohärenz, sondern stellt die in sich fußende Logik gegenüber dem von außen betrachtet Unlogischen in den Mittelpunkt.

Schlussendlich ist es ohnehin wieder der ebenfalls aus der Konserve stammende Soundtrack, der dem Film auf internationales Niveau hilft. Wenn Rolf Kühn seine fetzigen Beats, hämmernden Klavierakkorde und flirrenden Streicher übereinandergeschichtet und vielfach wiederholt erklingen lässt – die allesamt eigentlich aus PERRAK und DAS GELBE HAUS AM PINNASBERG stammen – dann weiß man, dass es ohne den richtigen Schmiss auf der Tonspur eben auch nicht gehen würde und dass die einmal auf eine Filmszene hin komponierten Piecen auch bei Zweit- und Drittverwertungen den jeweiligen Rhythmus der ‚neuen‘ Szene auf geheimnisvolle Art zu treffen vermögen. DER TODESRÄCHER VON SOHO ist nicht nur ein optisches, sondern auch akustisches Filmerlebnis, das große Vorbilder zitiert und zumindest in jeder reflektierten Artur-Brauner-Retrospektive außerhalb des filmgeschichtlichen Elfenbeinturms als Pflichtbeitrag zu sehen sein sollte.

DIGITALES VERMÄCHTNIS!

Der große Vorteil der beiden vorgestellten Brauner-Produktionen ist, dass Jess Franco hier nicht nur auf namhafte Schauspieler, ja in gewissem Sinne sogar Stars des deutschen Genrefilms zurückgreifen kann, sondern auch eine ausfinanzierte, funktionstüchtige Filminfrastruktur vorfindet – keine Selbstverständlichkeit für viele Streifen des Regisseurs. Durch den Namen Wallace, den Produzenten, das Mitschwimmen in bekannten Genrewellen, die Schauspieler, haben sich DER TEUFEL KAM AUS AKASAVA und DER TODESRÄCHER VON SOHO einen kaufhaustauglichen Bekanntheitsgrad erhalten, der dem Regisseur alle Ehre macht, die ihm gebührt. Wahrscheinlich werden sich Jess und Lina auf diesen Umstand jeder eine Zigarette anzünden und sich ihre Wolke, auf der sie jetzt gemeinsam sitzen, selbst zurechtpusten – denn unprätentiöses, lebendiges Kino wie dieses ist ein Schatz, den man bewahren und weitertragen muss.

DER TEUFEL KAM AUS AKASAVA ist mit deutschem Ton auf DVD erschienen, wobei dasselbe Master wie bei der mittlerweile raren Universum-Scheibe Verwendung fand; es macht mit Ausnahme der zerschlissenen Stock-footage-Einschübe einen souveränen Eindruck und weiß auch auf heutigen Bilddiagonalen zu überzeugen. Als Extras finden sich eine Bildergalerie mit alten Aushang- und Pressefotos des später bankrottierten Cinerama-Filmverleihs, der rare, in deutsche Lettern gesetzte Vorspann der damaligen Kinoaufführung und ein marktschreierischer Filmtrailer, den Brauner scheins für den internationalen Export fertigte.

DER TODESRÄCHER VON SOHO wurde gar auf Blu-ray veröffentlicht, wobei der deutsche Ton nun wesentlich verbessert ist und nicht mehr derart topfig-dumpf klingt wie bei bisherigen Ausstrahlungen. Als Extra ist eine Bildergalerie mit deutschen Aushangfotos enthalten. Der neue Bildtransfer, der im Zuge des nationalen Förderprogramms Filmerbe erstellt wurde, zeigt sich gegenüber allen bis dato erhältlichen Fassungen ungekürzt sowie ausgesprochen farb- und detailscharf – der Wiederentdeckung dieses Kleinods steht somit nichts mehr im Wege.

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Der Teufel kam aus Akasava/El diablo que vino de Akasawa | D/ES 1971 | Regie: Jess Franco | Darsteller: Fred Williams, Soledad Miranda, Horst Tappert, Ewa Strömberg, Siegfried Schürenberg, Walter Rilla u.a.

Der Todesrächer von Soho/El muerto hace las maletas | D/ES 1972 | Regie: Jess Franco | Darsteller: Horst Tappert, Fred Williams, Barbara Rütting, Wolfgang Kieling, Rainer Basedow, Dan van Husen u.a.

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