The Hunt

The Hunt

Von Oliver Schäfer

Zwölf Frauen und Männer erwachen gefesselt und geknebelt auf einer bewaldeten Lichtung. Warum sie hier sind und wo sich dieses Hier befindet, wissen sie nicht. Mitten auf der Lichtung steht eine große Holzkiste, bei deren Inhalt es sich um ein umfangreiches Waffenarsenal handelt…und ein kleines Schweinchen. (Man achte auf die Symbolik…) Während sich alle noch fragen, was das Ganze zu bedeuten hat, fallen bereits die ersten Schüsse.
So beginnt der neue Thriller aus den Federn von Damon Lindelof und Nick Cuse (THE LEFTOVERS, WATCHMEN), dessen geplanter US-Starttermin vom Studio Universal wegen zweier kurz zuvor stattgefundener Amokläufe verschoben wurde.
Ein stabiles Genie namens Donald Trump twitterte dazu, dass das liberale Hollywood auf höchster Ebene rassistisch sei und der Film nur gemacht wurde, um zu hetzen und Chaos zu verursachen. Natürlich hatten weder er, noch der ebenfalls fleißig zeternde Sender Fox News zu dem Zeitpunkt auch nur einen Meter des Films gesehen. Aber Fakten sind ja eh reine Interpretationssache…
Was hat es nun auf sich mit diesem “most talked about movie of the year, that no one has actually seen”? An der Grundkonstellation wird der geneigte Filmfan schon erkannt haben, dass wir es hier mit einer neuen Variante von THE MOST DANGEROUS GAME zu tun haben, also einer Großwildjagd, bei der Menschen die Beute darstellen.
Üblicherweise machen Reiche und Privilegierte Jagd auf Arme und Unterprivilegierte. Bis zu einem gewissen Punkt ist das auch hier der Fall, allerdings haben sich Lindelof und Cuse zusammen mit Regisseur Craig Zobel (THE LEFTOVERS) eine aktuellere Variante einfallen lassen und das Ganze auf eine politische Ebene gehoben. Folgerichtig macht hier also die gebildete, diverse, vegane Elite Jagd auf die von Hillary Clinton seinerzeit als “Erbärmliche” (Deplorables) bezeichneten Rednecks, Verschwörungstheoretiker und Fox-Zuschauer. Kein Wunder also, dass Trump und Fox News sich angesprochen fühlten.
Allerdings – auch wieder kein Wunder – haben sie natürlich wieder nur die halbe Wahrheit gesehen, denn die auf den ersten Blick durchaus einseitige Betrachtung der beiden Lager wird schnell aufgelöst in einer rasanten, und oftmals beißend ironischen Politsatire mit hohem Blei- und Blutgehalt, in der alle Seiten aufs Korn genommen werden. Dabei werden besonders die Zuschauer mit manch satirischer Breitseite belohnt, die sich bis zu einem gewissen Grad mit der US-Politik und sonstigen amerikanischen Gegebenheiten des täglichen Lebens auskennen. Andererseits ist Subtilität hier definitiv ein Fremdwort. Stattdessen wird mit breitem Pinsel gemalt…besonders gern in blutrot.
Jeder kriegt sein Fett weg, jedes Klischee der politischen und gesellschaftlichen Lager wird bedient und plötzlich stehen beide Seiten auf ihre Art als bigott und ignorant da. Das von Trump und Fox postulierte Hohelied auf die aufgeklärten Demokraten findet hier also sicher nicht statt. Stattdessen ist der Film ein scharfer Kommentar zu der sich verfestigenden Spaltung zwischen dem liberalen und dem erzkonservativen Amerika. Homophobie vs. Diversität, Rassismus vs. Integration, Evangelikale vs. Atheisten, offene Grenzen vs. Nationalismus, China vs. USA – hier ist alles vertreten. Praktisch jeder Charakter erfüllt mindestens ein beliebtes Klischee und hat sich durch die spaltende und parteiische Politik, soziale Medien, Fake News und persönliche Befindlichkeiten in einen wandelnden Internet-Troll verwandelt.
Und trotzdem ist dies natürlich keine schwere politische Parabel, sondern ein schneller, blutiger und vielfach sehr witziger Actionthriller, der bei der insgesamt durchaus prominenten Besetzung auch noch mit zwei erstklassigen Hauptdarstellerinnen aufwarten kann. Auf der Seite der Gejagten haben wir da Betty Gilpin, hierzulande überwiegend bekannt aus den Serien GLOW und THE ASSASSINATION OF GIANNI VERSACE, während auf der Seite der Jäger die zweifache Oscarpreisträgerin Hilary Swank (MILLION DOLLAR BABY) antritt. Ihnen zu Seite stehen u.a. Ike Barinholtz (SUICIDE SQUAD), Amy Madigan (FIELD OF DREAMS), Emma Roberts (NERVE), Macon Blair (BLUE RUIN), Ethan Suplee (MOTHERLESS BROOKLYN) und Justin Hartley (THIS IS US).
Hilary Swank ist natürlich der klangvollere Name – und wenn es nach mir ginge, würde man sie viel häufiger auf der Leinwand sehen – aber der Star des Films ist ganz klar Betty Gilpin als Crystal, die sich erst zwanzig Minuten nach Beginn der Jagd als zentraler Charakter des Films entpuppt. Trotz der tödlichen Umstände wirkt sie merkwürdig ruhig, teilweise sogar ironisch amüsiert. Ihre stoische Gelassenheit erinnert an frühe Eastwood-Rollen. Sie durchschaut das Spiel, ist gedanklich allen weit voraus und ist eine Frau weniger Worte. Nach Abzählreim-Manier werden die Protagonisten auf beiden Seiten nach und nach mit teilweise sehr kreativen Methoden dezimiert, bis sich unsere beiden Heldinnen für einen finalen und sehr handgreiflichen Showdown gegenüberstehen.
Technisch überzeugt der Film durch Darran Tiernans (WESTWORLD) ruhige Bildgestaltung, die einen schönen Gegenpol zu den sich vor der Kamera ausbreitenden Verrücktheiten bietet. Das Ergebnis hat Zobels Stammcutterin Jane Rizzo (COMPLIANCE) auf knackige neunzig Minuten geschnitten, zu denen Komponist Nathan Barr (TRUE BLOOD) den mal treibenden, mal augenzwinkernden Score liefert. Insgesamt ist der Film ein großer böser Politsplatteractionthriller voller Überraschungen, der zumindest allen Actionfreunden gefallen sollte. Außerdem liefert er uns mit Betty Gilpin eine brillante Darstellerin, die man sicher im Auge behalten sollte. Meine Wertung: 8 von 10 Handgranaten

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The Hunt | USA 2020 | Regie: Craig Zobel | Darsteller: Betty Gilpin, Hilary Swank, Ike Barinholtz, Ethan Suplee, Emma Roberts, Kate Nowlin, Amy Madigan u.a.

Anbieter: Universal