Der unheimliche Mr. Sardonicus
Von Rolf Giesen
Ich muss gestehen, dass ich die meisten von William Castles Filmen noch im Kino gesehen habe, von MACABRE angefangen. Den TINGLER und MR. SARDONICUS habe ich jeweils zweimal gesehen. Aber von Gimmicks, für die Castle doch so berühmt war, dass ihn selbst Joe Dante in einem seiner Filme (MATINEE, 1993) als Figur zitierte, habe ich nichts mitbekommen. In Deutschland wurden diese kleinen Marketing-Tricks offensichtlich als sinnlose Spielerei, die den Verleiher nur zusätzlich Kleingeld kostete, unter den Teppich gekehrt. Zwar wurde auf dem Lehmacher-Plakat von MACABRE noch auf die sensationelle 1000 Dollar Versicherung für verängstigte Kinobesucher hingewiesen, aber Skelette, die von den Kids mit Zwillen von der Saaldecke heruntergeschossen wurden, habe ich keine gesehen und auch keinen leichten Schlag im Hintern beim Betrachten des TINGLERS verspürt. Und Castles Kurzauftritt in Düsseldorf in den 1960er-Jahren habe ich verpasst. Als der Vorspann von Polanskis ROSEMARY’S BABY ihn als Produzenten nannte, war er noch einmal ganz oben. Aber als ich Castles letzten Film FEUERKÄFER (BUG) im Marmorhaus in Berlin sah, habe ich für diesen Mann nichts als Mitleid verspürt. Da waren seine Tage schon gezählt, er selbst ausgezählt, und zwei Jahre später ist er gestorben.
MR. SARDONICUS, den er, einer der wenigen, die zu Lebzeiten mit dem tyrannischen Studiomogul Harry Cohn auskamen, in einem Paket von Filmen für die Columbia produzierte, ist einer seiner weniger bekannten und doch vielleicht besten Filme. Ich jedenfalls habe ihn gemocht. Ray Russell, ein ausgewiesener Experte im Erzählen von Gruselgeschichten (mit Charles Beaumont hat er auch das Drehbuch für Cormans LEBENDIG BEGRABEN verfasst), hat die Story geschrieben. Wie konnte ich ahnen, dass er sich von Victor Hugos L’Homme qui rit inspirieren ließ, den der wunderbare Paul Leni 1928 mit Conrad Veidt für Universal realisierte?
Aber Guy Rolfe steht Veidt in nichts nach. Ich hatte Guy Rolfe schon als Prinz John in MGMs IVANHOE gesehen, und Stuart Gordon schwärmte so sehr von seiner Mitwirkung in DOLLS, dass Charles Band ihn gleich für mehrere PUPPET MASTER verpflichtete. Der Baron Sardonicus, den Rolfe spielt, im Vorleben ein einfacher Bauer, Geldadel, hat im Grab seines verblichenen Vaters nach einem gewinnträchtigen Lotterielos gesucht, wobei sich sein Gesicht vor Schreck für immer zu einer grinsenden Visage verzerrte. Und das hat sich auf seine Psyche ausgewirkt. Sardonicus wird zusehends schwermütig und despotisch. Wer würde es ihm verdenken? Ben Lane, der ursprünglich bei MGM und RKO war, war zu der Zeit der Chefmaskenbildner bei Columbia, aber ob er oder nur einer seiner Mitarbeiter für Sardonicus zuständig war, entzieht sich meiner Kenntnis. Ein Chirurg aus London soll dem Entstellten helfen und ihm das Lachen abgewöhnen. Ja, und dann ist da noch Oskar Homolka, der einäugige, rachsüchtige Diener von Sardonicus, der unter seinem Herrn leidet wie ein Hund. Homolka allein ist das Eintrittsgeld wert gewesen, damals nicht mehr als drei Mark. Homolka war gebürtiger Wiener, sehr geschätzt sowohl von Brecht als auch von Max Reinhardt. Anders als sein Freund Paul Hörbiger, der, als Sohn des von Hitler bewunderten Welteislehrers Hanns Hörbiger, mit den Nazis keine Probleme hatte, verließ Homolka. wie auch Wladimir Sokoloff, mit dem er in diesem Film unter Castles Regie zu sehen ist, Hitlers Machtbereich stante pede. Drei Filmauftritte machten ihn unsterblich: Anton der Zuhälter 1927 in DIRNENTRAGÖDIE, an der Seite von Asta Nielsen; 1936 als bombenzündender Kinobesitzer Carl Verloc in Alfred Hitchcocks SABOTAGE; 1956 als General Kutusow in King Vidors Leinwand-Version von Krieg und Frieden. Gut, die Filme heute sind authentischer. Die Darsteller nuscheln um die Wette. Da ist es schon ganz gut, dass einige Zeugnisse aus der Zeit großer Bühnen- und Filmdarsteller als DVD und Blu-ray überleben. Oskar Homolka benötigte keine Maske. Sein slawisches Gesicht, das ein wenig dem von Paul Wegener ähnelte, war schon eine. Unvergesslich brannte es sich dem Beschauer ein. Burnett Guffey, ein exzellenter Kamera-Spezialist des Film noir, Fritz Langs Director of Photography bei HUMAN DESIRE (LEBENSGIER), hat ein Übriges getan, die morbide Schwarzweiß-Atmosphäre kunstvoll zu gestalten. Die Atmosphäre entspricht der von Val Lewtons BODY SNATCHER.
Kürzlich bat mich ein Herausgeber von Books on Demand, nur über Filme zu schreiben, die nach 1990 entstanden sind. Wenn wir diesen Rat befolgen würden, welche „Perlen der Filmkunst“ würden uns da entgehen!
Die jüngst erschienene Collector´s Edition von Koch Media weist ein für das Alter der Vorlage exzellentes Bild auf. Neben dem englischen wie dem deutschen Ton findet sich ebenfalls ein eigens produzierter Audiokommentar von Robert Zion. Eine Vielzahl liebevoll produzierter Featurettes, zu nennen ist etwa das knapp halbstündige GOTHIC CASTLE, Trailer wie auch eine umfangreiche Bildergalerie runden die Scheibe ab. Das luxuriöse Digipack beinhaltet den Film sowohl auf Blu-ray als auch auf DVD. Im beiliegenden sechzehnseitigen Booklet findet sich ebenso ein ausführlicher Filmessay.
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Mr. Sardonicus | USA 1961 | Regie: William Castle | Darsteller: Guy Rolfe, Oskar Homolka, Ronald Lewis, Audrey Dalton, Vladimir Sokoloff, Erika Peters u.a.
Anbieter: Koch Media
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