Der Bunker

Der Bunker

Von Jörg Stodolka

Bei einem Film deutscher Herkunft stellen sich nicht wenigen immer noch die Nackenhaare hoch, und der Bildträger fliegt schneller aus dem Player als jemand im Film „Hitler“ sagen kann. Allergische Reaktionen in Folge von andauernder Geschichtsaufarbeitung sind häufig, zeugen jedoch von einer sehr eingeschränkten Wahrnehmung der hiesigen Filmlandschaft. Dabei liegt der eigentliche Reichtum oft unter der Wahrnehmungsgrenze der Massen und vermag auch international durchaus eigenständige Akzente zu setzen, man denke nur an Wenzel Storchs einzigartiges Privatuniversum. Die Phrase „Für einen deutschen Film gar nicht schlecht“ war noch nie einleuchtend, zumal sie den gönnerhaften, despektierlichen Unterton nicht vermeiden konnte. Vielleicht zeigt es aber auch, dass man die ganze Zeit in die falsche Richtung geschaut hat.

Cover-BUNKERWaren über die vergangenen Jahrzehnte Genreproduktionen in Deutschland eher dünn gesät und nur selten mit Beachtung geadelt, zeigt sich in den letzten Jahren eine Häufung von hochkarätigen Filmen, die mit Genreelementen experimentieren. Till Kleinerts DER SAMURAI kommt in den Sinn, irgendwie auch Katrin Gebbes TORE TANZT oder in jüngster Vergangenheit Akiz‘ DER NACHTMAHR. Auch Nikias Chryssos DER BUNKER zählt dazu, lässt sich angenehmer Weise in keine Schublade stecken, atmet vielmehr eine konzeptionelle Freiheit, die er auch benötigt, um Themen wie innerfamiliäre Mechanismen und Pädagogik ausgesprochen eigenwillig zu interpretieren.
Ironischerweise führt DER BUNKER – zumindest was die Ausstattung betrifft, eine genaue zeitliche Zuordnung findet nicht statt – zurück in die Blütezeit des deutschen Films, in die Zeit der analogen Telefone mit ihren gelochten Wählscheiben, von mechanischen Schreibmaschinen, mit geometrischem Mustern bedruckter Tapeten und geknüpfter Teppiche. Diese Welt entdeckt ein namenloser Student, als er bei einer Familie ein ruhiges Plätzchen für seine Studien zu finden sucht. Das ruhige Plätzchen befindet sich abseits der Zivilisation halb unter der Erde in einem Wald, und auch seine Bewohner scheinen aus der Zeit gefallen. Der Vater stolziert mit überheblichen Gockelgehabe eines Zirkusdirektors herum. Sein Sohn Klaus ist ein erwachsener anmutender Achtjähriger mit Lernschwäche. Die Mutter als feuchter Traum eines jeden Reaktionärs sorgt sich um den Haushalt und sucht ihre Erfüllung im Kochen. Man kommt überein, dass der Student für die Bildung des Jungen sorgen soll, um so für die Zimmermiete aufzukommen. So beengt die Verhältnisse auch sind, so groß sind die Ambitionen des Vaters, der aus seinem schweigsamen, verschüchterten Sohn einmal den „Präsidenten“ machen möchte. Dafür scheint es zunächst auszureichen, dass Klaus die Hauptstädte aller Länder auswendig weiß. Lernfortschritte werden von den Eltern täglich kontrolliert, Misserfolge mit Prügel bestraft. Und Klaus erweist sich als sehr lernresistent.

BUNKER-01Regisseur Chryssos präsentiert die Familie in seinem Film als groteske Abstraktion von Loriots Hoppenstedts und mit ihr den Horror des Kleinbürgertums der Sechziger und Siebziger Jahre mitsamt seiner pädagogischen Konzepte. Das ist gelungen überzeichnet, garniert mit zitatwürdigen Onelinern – besonders des Vaters – und karikiert genüsslich altbekannte Stereotypen. Dabei führt DER BUNKER alle reformpädagogischen Überlegungen gekonnt ad absurdum: Schläge führen hier tatsächlich zu effektiverem Lernen, Auswendiglernen erscheint als Gipfel der Intellektualität und Diplome sind weniger Zeugnis von Leistung als Mittel, um lästige Studenten loszuwerden. Und selten war der miefige deutsche Humor so unerträglich wie im allabendlichen Witzerzählen des Vaters. Witze, die den Mitbewohnern wie dem Zuschauer als unausweichliche Zwangsunterhaltung geboten werden. Dass unter der Oberfläche Dunkleres brodelt, zeigt vor allem der Charakter der Mutter, deren räumlich eingeschränkter Aktionsspielraum ihrer Psyche nur wenig förderlich scheint: Cronenberg lässt grüßen, wenn sie allabendlich Gespräche mit der offenen Wunde an ihrem Bein führt. Aber auch der Vater, der seine im eigenen Leben unerfüllt gebliebenen Ambitionen in den Sohn projiziert, strahlt mit der emotionslosen Strenge seines Regiments eine beunruhigende Bedrohlichkeit aus. Der Student selbst wird von diesem miefigen Mikrokosmos der Skurrilität immer mehr assimiliert, schwankt zwischen Sympathie für Klaus, Komplizenschaft und Fassungslosigkeit.

Gerade dadurch, dass Chryssos in seiner Groteske bewusst auf Erklärungen verzichtet, eine zeitliche und soziale Verortung nicht stattfindet, der Bunker sozusagen losgelöst im Assoziationsraum schwebt, lädt er den Zuschauer ein zu subjektiven Interpretationen.

BUNKER-04DER BUNKER bietet damit alle Voraussetzungen für einen intelligenten Filmabend jenseits der üblichen Pfade. Er ist weder reine Komödie noch Horrorfilm, weder Lynchsches Mysterium noch Jeunetsches Wohlfühlkino. Er steht allein auf weiter Flur – ebenso auch die gelungene Edition von Bildstörung, die in der 2 Disc-Version mit vielen Interviews der Beteiligten, einem Audiokommentar und zwei Kurzfilmen des Regisseurs aufwartet. Für Fans gibt es zusätzlich noch eine limitierte Version mit einer CD des gelungen Soundtracks von Leonard Petersen.

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Der Bunker, Deutschland 2015, Regie: Nikias Chryssos, Mit: Pit Bukowski, Daniel Fripan, Oona von Maydell, David Scheller u.v.a.

Anbieter: Bildstörung