Wara no tate – Die Gejagten
Von Thorsten Krüger
Takashi Miike hat kaum ein Genre und Tabu (ICHI THE KILLER) ausgelassen. Aber seine Flegeljahre sind vorbei, die Perversions-Krone trägt Shion Sono (WHY DON’T YOU PLAY IN HELL?) und der Fließbandfilmer (fast 100 Titel in 25 Jahren) dreht nun Mainstream. Allerdings auf gehobenen Niveau in diesem straighten Polizeithriller mit mehr Drama denn Action und einem nicht immer glaubhaft auf die Spitze getriebenen Moraldilemma.
Ohne erkennbare Exposition wendet Miike ein zwingendes Konzept an – das massive Kopfgeld löst eine Menschenjagd auf einen Psychopathen aus, den ein aufrechtes Cop-Quintett vor Anschlägen und Attentaten am laufenden Meter mit Leib und Leben schützen muss. Ein Alptraum, denn 127 Millionen Japaner haben ein Motiv (incl. die Cops) und der Täter ist purer Abschaum, für dessen Eskorte Steuergelder verschwendet werden.
Kinderschänder Kiyomaru hat eine Siebenjährige ermordet. Deren schwer reicher Großvater Ninagawa lobt eine Billionen Yen aus für den, der den verurteilten Sexualsadisten tötet. Als der sich der Polizei stellt, sollen fünf loyale Beamte ihn binnen 48 Stunden ins ferne Tokio geleiten; und ganz Japan jagt sie.
Dieser Gefangenentransport von a nach b entstammt klassischen Western- und Samuraiszenarien, von 3:10 TO YUMA über THE GAUNTLET bis S.W.A.T. und ist beeinflusst von den Werken Akira Kurosawas wie John Carpenters. Miike widersteht dem Spektakulären – bis auf eine Tanklasterexplosion – und sucht das Menschliche, in einem mörderischen, Charakterstärke abfordernden Parcours mit fokussiertem Script.
Es steht keine Daueraction wie im brillanten SPEED an, sondern eine ohne viel Hi-Tech ablaufende Flucht, die immer beklemmender demonstriert, wozu Menschen fähig sind. Auch wenn sich dies auf psychologischer und zwischenmenschlicher Ebene unterkomplex und deshalb nicht nennenswert nahegehend gestaltet, die Kollateralschäden bestürzen. Viele unnötige Opfer pflastern die Fehde zwischen Rache und Recht.
Diese fünf Samurai müssen übermenschliche Anstrengungen unternehmen, kämpfen aber auch gegen die unplausible Logik – dass sie keinen Helikopter nehmen und sich statt dessen per Bus, Bahn, Auto und zu Fuß durchschlagen, ist eindeutig der als moralphilosophisches Exempel konstruierten Versuchsanordnung geschuldet. Welche das Schlechte im Menschen hervorbringt und zwar auf sehr eindringliche Art.
Loyalitätskonflikte, konfrontatives Misstrauen, Verrat und Peilsender, alle das zersetzt soziale Gewissheiten und zeigt, dass jeder Mensch, wenn richtig motiviert, mehr als nur ein potentieller Mörder ist. Jeder verkauft seine Seele, doch Anstand und Idealismus lösen auch Ehrfurcht aus, wenn man für einen kleinen Teufel stirbt. Aber nicht Gewalt, nur Argumente können das Verhängnis lösen, so die nachwirkende Botschaft.
Erschienen auf Komm & Sieh
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