Only Lovers Left Alive

Only Lovers Left Alive

Von Caroline Lin

Nun verantwortet die coproduzierende Degeto, berüchtigt für uninspiriert-steife TV-Ware, glatt ein künstlerisch überwältigendes Werk. Denn Independentveteran Jim Jarmusch (DEAD MAN, STRANGER THAN PARADISE) hypnotisiert mit einem Gedicht, das anders als EXIT MARRAKECH den exotischen 1001-Nacht-Zauber des marokkanischen Hippie-Mekkas Tanger sowie den Reiz der sterbenden Industriemetropole Detroit erforscht.

Er stellt ein friedliches, jahrhundertealtes Vampirpaar vor, auffällig nach Adam und Eva benannt, seit Ewigkeiten verheiratet, aber auf verschiedenen Kontinenten lebend. Er (THE AVENGERS-Loki: Tom Hiddleston), wie ein lässig abhängender Alternative-Rockmusiker, lebensmüde, melancholisch. Sie (noch eine Ikone: Tilda Swinton, ADAPTATION) fast als aristokratischer Albino, humanistisch, lebensfreudig. Beide leiden an der Welt und ihren Bewohnern. Sie ernähren sich ausschließlich von Blutkonserven, doch die Umweltverschmutzung vergiftet ihr Lebenselixier. Dann taucht auch noch Eves jüngere Problemschwester auf, die Adams Zuträger aussaugt.

Den Niedergang von Umwelt, Geistesleben und Zivilisation kommentiert Jarmusch, indem er von seinem persönlichen Shangri-La schwärmt: Während seine Stilleben in atmosphärisch meditative Gitarrenteppiche hineindriften, injiziert er Bildung, Kunst und Kultur, vornehmlich jene, die ihn selbst prägte und deren Erhalt er (zu recht) bedroht sieht. So hinreißend verströmt kaum ein anderer Film Attitüde und stilvolle Lebensart.

only.lovers.left.alive.2013.coverDenn diese alten Gefährten, die in einer geistlosen Welt als romantische Sonderlinge nur noch sich selbst haben, sind Liebhaber und Sammler, er ein misanthropischer Musiker, der Menschen Zombies schimpft und ein Virtuose auf jedem Musikinstrument ist; sie eine bibliophile Poetin. Beide sind Gourmets, geben sich dem Blutdigestiv wie einem Absinthrausch hin und verfügen als Connaisseurs über phänomenales kulturelles Wissen.

Damit weht der Geist der Jahrhunderte durch ihre keineswegs luxuriösen Erinnerungsräume. Es sind kleine, zugestellte Klausen, in denen sie wie vergessene, aus der Zeit gefallene Rockstars vergangenheitstrunken in ihrem Reich schweben. Mia Wasikowska (SPUREN), die als quirlig-nervige Schwester STAR TREK-Chekov Anton Yelchin tötet, hat die schrägsten, ein zotteliger John Hurt (ALIEN) die gar traurigsten Momente.

Auch wenn viel Wehmut mitschwingt, feiert Jarmusch durch die Musik vital das Dasein. Er verzückt mit einem kulturell-historischem Namedropping der allgemeinverträglichen Art, was schalkhaft, aber nicht elitär ausfällt, er leistet sich superbe Dialoge und verschlagen-beiläufigen Humor. Seine Hommage an die analoge Existenz (die dennoch Skype und Youtube nutzt) ist schon jetzt eine altmodische Kostbarkeit.

Aber nie veraltet: Seine Vampire sind Kulturbewahrer, weise Alchimisten mit sechstem Sinn (und verflixt schnellen Reaktionen), die sich an jedes Datum vor Jahrhunderten erinnern können – aber sie sind eine aussterbende Spezies. Ihre Elegie ist eine so wundervolle Versenkung ins Sinnliche und Sinnierende, dass man sich wünscht, der Film möge nie enden. ONLY LOVERS LEFT ALIVE sollte nicht Kult werden – er muss es einfach.

Erschienen auf Komm & Sieh

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Only Lovers Left Alive, Großbritannien/Deutschland/Frankreich/Zypern/USA 2013 | Regie/Buch: Jim Jarmusch | Mit: Tilda Swinton, Tom Hiddleston, Mia Wasikowska, u.a. | Laufzeit: 123 Minuten, Verleih: Pandora.