Die Maske runter
Von Bodo Traber
Im Sommer und Herbst 2009 ermöglichte eine umfangreiche Richard-Brooks-Retrospektive des Festivals von San Sebastián und der Filmoteca Española nicht nur erstmals seit Jahrzehnten die Wiederbegegnung mit den eindrucksvollen Leinwandfresken ELMER GANTRY oder THE BROTHERS KARAMAZOV, sondern vor allem auch mit dem inzwischen fast unbekannten Frühwerk des Regisseurs. Brooks, der am Drehbuch zu Robert Siodmaks COBRA WOMAN oder danach THE KILLERS mitwirkte, kam wie wenige andere – etwa Preston Sturges – als Autor zur Regie und widmete sich inmitten der McCarthy-Ära nicht nur anspruchsvollen, sondern auch dezidiert gesellschaftspolitischen Themen – am berühmtesten aus dieser Phase ist nach wie vor THE BLACKBOARD JUNGLE (DIE SAAT DER GEWALT), andere wuchtvolle Filme dieser Periode sind heute praktisch vergessen: Während der großartige CRISIS (HEXENKESSEL, 1950) sich durchaus doppelsinnig dem Thema Tyrannenmord anhand einer (fiktiven) südamerikanischen Diktatur nähert, stehen in DEADLINE – U.S.A. (DIE MASKE RUNTER) die Grundwerte Meinungsfreiheit und Justizunabhängigkeit auf dem Spiel, drohen in einem Sumpf aus Korruption und Kartellökonomie zu versinken – wenn da nicht Bogie wäre…
Zeitgenössischer Hintergrund sind die Estes-Kefauver-Hearings zum (von J. Edgar Hoover geleugneten) organisierten Verbrechen, die auch dem zeitgleich entstandenen CAPTIVE CITY (STADT IM WÜRGEGRIFF) von Robert Wise als Referenz dienten. Mafiaboss Rienzi – ein intellektueller Pate, der zum Jähzorn neigt – hat nicht nur die Stadt in der Hand und beste Kontakte bis in Regierungskreise, sondern auch im Affekt ein Mädchen erschlagen und die Leiche beseitigen lassen. Nur zufällig kommen die emsigen Kriminalreporter von „The Day“ darauf, dass sich hinter dem scheinbar alltäglichen Gewaltverbrechen im proletarischen Milieu in Wahrheit politische Abgründe öffnen – dabei hat Chefredakteur Eddie Hutchinson neben den Drohungen durch Rienzi noch ein ganz anderes Problem, denn seine Zeitung soll verkauft werden, um als lästige Konkurrenz abgewickelt zu werden. Ihm bleiben nur noch wenige Tage, um Rienzi zu entlarven und zur Strecke zu bringen, bevor der Laden endgültig geschlossen wird…
Humphrey Bogart hatte Anfang der 50er Jahre, als er mittlerweile zu alt für coole Heldenrollen war, ein glorreiches Comeback; der Oscar für seinen wunderbaren „Mr. Allnutt“ in THE AFRICAN QUEEN brachte ihn während seiner letzten Jahre in einigen kantigen Altersrollen auf die Leinwand zurück. In DEADLINE – U.S.A. läuft er noch einmal zu darstellerischer Wucht auf, trägt den ganzen Film mit ungeheurer Energie durch deklamatorische und anrührende Szenen; verstärkt wird das Ensemble u.a. durch Ethel Barrymore, der großen alten Dame des klassischen Dramas, die durch ihre Rolle der Über-Mutter in THE SPIRAL STAIRCASE in die Filmgeschichte einging. Thematisch gehört Brooks’ frühe Stilübung zum klassischen Zeitungsfilm, der nach seiner Blütephase in den 30er Jahren während des Kalten Krieges ein interessantes Revival erlebte – natürlich nie ohne propagandistischen Impetus, aber eine ganze Reihe bemerkenswerter Klassiker zeitigend, zu denen etwa die Sam-Fuller-Filme SCANDAL SHEET und PARK ROW ebenso gehören wie Fritz Langs BEYOND A REASONABLE DOUBT.
Die DVD-Edition von Pidax bietet den Film neben der Original- mit der deutschen Synchronfassung von 1952, die mit heute amüsanten zeitgenössischen Bezügen auf deutsche Alltagsrealität der Adenauer-Ära aufwartet: Hier berichten die New Yorker Zeitungen schon mal über Marshall-Plan und Montan-Union. Eine Untertitel-Spur gibt es leider nur zu im Bild erscheinenden englischen Texten, also vor allem Zeitungsschlagzeilen, die in der deutschen Kinofassung sicherlich durch in deutscher Sprache gedrehte Filminserts ersetzt waren – insofern hätte die Kinofassung (von der ja die Tonspur stammt und die noch in irgend einem TV-Archiv liegen dürfte) ein erfreuliches, filmhistorisch wertvolles Extra abgegeben, zumal der beiliegende Nachdruck des damaligen „Illustrierten Film-Kuriers“ schon herzlich zur Zeitreise einlädt. Aber nun wollen wir mal nicht meckern.
In jedem Fall hat hier ein seltener Klassiker und Repräsentant eines Kinos an die Wasseroberfläche zurück gefunden, in dem Tough Guys noch Fliege trugen und das es so schon lange nicht mehr gibt: Message, Anspruch, Spannung und großes Gefühl boten einen Filmabend, der die damaligen „re-educated Germans“ vielleicht mit einem Hauch melancholischer Nachdenklichkeit nach Hause entließ – und der wunderbaren Sicherheit, dass Hollywood mal wieder ein Stückchen freie Welt retten konnte.
(Eine Blu-ray-HD-Veröffentlichung ist für Februar angekündigt.)
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Deadline – U.S.A., USA 1952, R: Richard Brooks, D: Humphrey Bogart, Kim Hunter, Ed Begley, Ethel Barrymore, Warren Stevens, u.a.
Anbieter: Pidax