Dirty Mary, Crazy Larry – Kesse Mary, Irrer Larry
Von Christopher Klaese
Amerika! Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Vor allem in der Zeit des ‚New Hollywood‘ schien auch filmisch nichts mehr unmöglich. Kino ging dahin, wo das Leben war – auf die Straße, nah an die Menschen. Dass ausgerechnet ein aus England stammender Regisseur mit DIRTY MARY, CRAZY LARRY der Welt Amerika in reinster Form schenken würde – unglaublich. Was mit EASY RIDER (1969) begann, kulminiert in DIRTY MARY, CRAZY LARRY: ein absolutes Road-Movie, in dem der Weg das Ziel ist. Dass Quentin Tarantino den Film als Inspirationsquelle für DEATH PROOF – TODSICHER (2007) ausgiebig herangezogen hat, darf als Auszeichnung verstanden werden.
Die Geschichte des Filmes ist im Grunde schnell erzählt: die zwei Rennfahrenthusiasten Larry (Peter Fonda) und Deke (Adam Roarke) ergaunern mit einem dezidierten Plan die Tageskasse eines Supermarktes und wollen im getunten 69er Dodge Charger über die Highways fliehen. Doch als Mary (Susan George), die in der Nacht vor dem Raub von Larry vernascht wurde, mit Tricks und Charme im Fond platznimmt, wird aus dem Duo ein Trio – und der heißeste Tagestrip, den man am Volant unternehmen kann, steht bevor!
Vordergründig geht es in DIRTY MARY, CRAZY LARRY um die Flucht von drei Verbrechern. Doch Larry, Mary und Deke sind viel mehr als simple Figurenabziehbilder – sie leben den amerikanischen Traum, dass jeder alles erreichen kann, wenn er sich nur genügend reinschafft. Die dauernde Hassliebe zwischen Mary und Larry offenbart ihre Charaktere. Menschen, die etwas vom Leben haben wollen – die nicht nach Konventionen fragen, denen der Highway gar nicht weit genug gehen kann. Deke ist hingegeben der Intellektuelle, der gerne die Ratio walten lässt – wären da nur nicht die Umstände, die vieles verunmöglichen. Streetwise jedoch sind sie alle, sie sind die klassischen Antihelden – Typen, ohne die die Filmgeschichte schon um einige ihrer schönsten Gestalten gebracht worden wäre.
Nördlich von San Francisco und ausschließlich an Originalschauplätzen gedreht, zeigt der Film ein sonnengegerbtes Kalifornien. Staubiges Land, verbrannte Erde, menschenleere Orte. Regisseur John Hough, ein talentierter Handwerker, potenziert in seiner ersten US-Produktion die Tugenden dieses Landes und erteilte seinen Schauspielern improvisatorische Narrenfreiheit. Der coole Peter Fonda, die impulsive Susan George und der wundervolle Adam Roarke spielen ihre Figuren nicht mehr – sie leben dieses ‚Trio infernal‘. Sie haben die Pferde gegen einen vierrädrigen Untersatz getauscht, mit Ihrem Auto erobern sie den Westen noch einmal neu! Vic Morrow und dem alten Serial-Schlachtross Kenneth Tobey als Sheriffs zuzusehen bereitet ebenfalls Laune, die beiden verbeißen sich geradezu in ihre Parts.
Interessant ist auch das Sounddesign des Filmes. Während die Musik von Jimmie Haskell sehr sparsam eingesetzt wird, definiert sich der Ton des Filmes vorwiegend über Motorengeräusche und Umgebungsrauschen. So klingt er also, der wilde Westen anno 1974. Der ohrwurmige Countrypopsong „Time Is Such A Funny Thing“ (Danny Janssen / Bob¬by Hart), gesungen von Marjorie McCoy, bietet zudem den perfekten Einstieg über den Vorspanncredits – Wehmut inbegriffen, Melancholie in stillen Momenten. Doch die Zeit ist ein lustiger Geselle; und mit massig PS unter der Haube macht es umso mehr Spaß. Der heutigen Generation, die durch die unerschöpfliche Masse an seelenlosem CGI-Blendwerk aktueller Prodiktionen schon überreizt sein könnte, sollte DIRTY MARY, CRAZY LARRY außerdem als Beispiel dienen, wie man früher waghalsige Autofahrten und beeindruckende Stuntkoordinationen vollständig von Hand machen konnte.
Dem Label filmArt ist es zu danken, dieses kleine Meisterwerk vorbildlich auf Blu-ray veröffentlicht zu haben. Der erstklassige Transfer im Format 1,85:1 wird von englischem Ori¬ginalton und deutscher Synchro flankiert, wobei alle Soundfiles bestens abgestimmt sind und die deutsche Bearbeitung (dank wunderbarer Sprecher wie Christian Brückner, Dagmar Biener, Hans-Werner Bussinger, Wolfgang Lukschy oder Michael Chevalier) sitzt wie ein Maßanzug. Das zusammengetragene Bonusmaterial liefert einen interessanten Einblick in die Hintergründe der Filmherstellung. Herzstück ist der Audiokommentar von Regisseur John Hough sowie die ebenfalls von Anchor Bay angekaufte, halbstündige Dokumentation „Ride The Wild Side“, bei der sich zum Regisseur auch noch die Hauptdarsteller Peter Fonda und Susan George als Interviewpartner hinzugesellen. Einiger Wehrmutstropfen: beide Features zeigen sich nicht untertitelt. Beigegeben sind außerdem der deutsche Kinotrailer, in dem Heinz Petruo als Off-Sprecher Stimmung verbreitet, sowie amerikanische Kinotrailer, TV- und Radio-Spots.
Die rote Blu-ray-Hülle verbirgt sich im schmucken O-Ring-Card-Schuber, ein Artbook mit Abbildungen zahlreicher Aushangfotos und Kinoplakate liegt ebenfalls bei. Besonders rührig gestaltet sich das Limitierungszertifikat der auf 1500 Exemplare begrenzten Auflage, in dem sich Label/Lizenzgeber/Filmproduktionsfirma für den Kauf der ersten offiziellen Veröffentlichung des Filmes im deutschen Home Entertainment-Bereich seit dem VHS-Release bedanken. In Anbetracht der Tatsache, dass filmArt sich trotz des durch ein DVD-Bootleg ‘verbrannten Marktes’ zu einem Blu-ray-Release entschlossen hat, kann man als Käufer den Dank nur erwidern.
Anschnallpflicht, Schulterblick, Rechts vor Links – alles außer Betrieb, im westamerikanischen Sand vergraben. Kupplung springen lassen, Gang rein und das Gaspedal voll durchgetreten; so geht Highway, so geht Leben! Die Freiheit riecht nach Asphalt, nach Benzin und verbrannten Reifen. Für Klimaschützer ist das nichts, über CO2-Emissionen sollte in diesen 1½ Stunden nicht gegrübelt werden. Aber dieses Trio auf seiner Flucht zu begleiten, ist nicht nur für Autofreaks eine Pflichtveranstaltung. DIRTY MARY, CRAZY LARY wird jeden Filmfan glücklich machen – bis zum Horizont und weiter!
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Dirty Mary, Crazy Larry, USA 1974, R: John Hough, D: Peter Fonda, Susan George, Adam Roarke, Vic Morrow, Roddy McDowall, Kenneth Tobey
Anbieter: filmArt