Joy – Alles außer gewöhnlich

Joy – Alles außer gewöhnlich

Von Peter Clasen

Abgesehen von HUDSUCKER – DER GROSSE SPRUNG von den Coen-Brüdern, in dem die Genese des Hula-Hoop-Reifens besungen wurde, hat es kaum je eine derart reife, herrliche Tragikomödie über ein derart banales Thema wie den sich selbst auswringenden Wischmop gegeben wie JOY – ALLES AUSSER GEWÖHNLICH – der neue Film vom AMERICAN HUSTLE-Team David O. Russell (Regie), Jennifer Lawrence und Bradley Cooper.

Joy-coverJoy Mangano, Tochter aus Vaters zweiter Ehe, liebte es schon als Kind, die große Erfinderin zu spielen – damals noch zusammen mit Peggy, der Schwester aus Vaters erster Ehe. Doch aus den Träumen wurde nichts – auch anderthalb Jahrzehnte später hütet Joy, die einmal Jahrgangsbeste war, noch immer das Elternhaus und sorgt für die schräge Familie: für den Vater, der immer wieder Frauen erobern muss; für Mutter Terry, die seit der Scheidung das Schlafzimmer nicht verlassen hat und ohne Pause Soaps guckt; für Ex-Mann Tony, der im Keller haust und singt; für die beiden Kinder natürlich, und für Oma Mimi.

„Ich komme mir vor wie im Gefängnis!“ klagt Joy und hat völlig recht damit. Immer wieder muss sie ihren gar nicht Lieben Grenzen setzen, doch der große Ausbruch scheint Illusion zu bleiben. Bis Vater sich die reiche italienische Witwe Trudy angelt, die ganze Familie auf deren 17-Meter-Yacht Party macht – und sich Joy beim Aufkehren zersplitterter Rotweingläser die Hände verletzt.

joy4Ein paar Tage lang gärt es in ihr, dann hat sie das Konzept für einen völlig neuartigen Wischmop parat. Finanzierung, Fertigung, Bewerbung und Verkauf sind das eine Problem, die Familie selbst ist das andere. Kontakte auf dem freien Markt zu knüpfen, ist schon schwer genug, aber die biologisch vorgegebenen können einem genauso das Genick brechen.

Die Familie als Segen und vor allem Fluch zugleich: Das Drama des begabten Kindes als US-amerikanische Success-Story und als Beinahe-Tragödie vom fast sicheren Untergang. Jennifer Lawrence ist das All-American-Girl, das zu Höherem geboren ist, aber permanent von der eigenen Familie ausgebremst wird – teils aus wurschteliger Ahnungslosigkeit, teils aus miefiger Kleinkrämerei und kleingeistigem Neid.

joy2Im Kern zeigt JOY den Kampf einer Frau, sie selbst zu bleiben und sich gegen die täglich auf sie einprasselnden Erwartungen, Anfeindungen und Brabbeleien zu schützen, um endlich das zu tun, was sie wirklich will – und kann. Der spießige Mief zuhaus, die einen selbst fast lähmende Penetranz der gepflegten Eigenwilligkeiten der anderen, dazu die miesen Fallen des noch unbekannten kapitalistischen Dschungels: Joy hat ein verdammt dickes Paket aufzuschnüren, muss ihren ganz eigenen Weg finden, doch jeder weitere Schritt vorwärts ist auch für den Zuschauer ein großes Glück.

Immer wieder überrascht der Film mit unvermuteten Situationen, kuriosen Figuren (Bradley Cooper als zielgerichtet-verträumter QVC-Leiter ist zum Piepen!) und wunderbaren Auflösungen. Unterschwellig fühlt man sich immer wieder an Hollywood-Klassiker wie IT HAPPENED ONE NIGHT, NETWORK oder CITIZEN KANE erinnert, einmal ganz deutlich sogar an Edward Hopper. Aber Regisseur David O. Russell stellt nichts aus, übertreibt wenig, vermeidet Showstopper, bleibt immer nah an seiner Hauptfigur, der wieder großartigen Jennifer Lawrence.

joy3Allerdings wäre es kein echter Russell-Film, wenn er Ambiente und Zeitkolorit nicht überspitzen würde: erst der groteske, falsche Glamour von Mutters hohlen TV-Seifenopern mit dem wahnwitzigen, steifen Personal, dann die eigene kleine Scheinwelt des Verkaufskanals QVC, in dem die Ausgespuckten der Medienbranche eine herrlich trashige Gegenkultur zelebrieren – ja, so waren die 70er- und 80er-Jahre; die Frisuren und Brillengestelle würden uns heute Alpträume bescheren.

Vor diesem Hintergrund scheint die Familie Mangano nicht sonderlich absonderlich; man könnte sogar den Eindruck gewinnen, dass alle, wie sie hier versammelt sind – vor der Kamera, hinter den Kulissen und daheim an den Empfangsgeräten – eine große, magische Familie bilden. Doch nur Joy ist die, die das irgendwann begreift und zu ihrem Vorteil nutzt. Sie ist die Erfinderin, die Visionärin, die Grenzgängerin, die alle Schranken überwindet: Idee und Form, Realität und Fiktion, Familie und Kundenstamm – letztlich gehört alles zusammen, ist alles eins. Es braucht nur einen Wischmop, um dahinterzukommen.

Erschienen im TV Spielfilm Blog.

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Joy, USA 2015 | Regie: David O. Russell | Drehbuch: Annie Mumolo, David O. Russell | Musik: David Campbell, West Dylan Thordson | K: Linus Sandgren; | D: Jennifer Lawrence, Bradley Cooper, Robert De Niro, Édgar Ramírez, Diane Ladd, Virginia Madsen, Isabella Rossellini, Elisabeth Röhm, Dascha Polanco | Laufzeit: 124 Min. | Verleih: 20th Century-Fox