The White Lotus, 2. Staffel

The White Lotus, 2. Staffel

Von Shamway

WHITE LOTUS, Überraschungserfolgs-Serie von 2021/22, hatte sich Ende 2022 mit der zweiten Staffel geradezu in eine Hysterie hineingesteigert. Zurecht, auch die zweite Staffel ist wieder sehr süffig genießbar und überaus amüsant, anregend und wie die erste Staffel schmerzhaft ehrlich (auf einer etwas geringeren Pace, aber mit hoher emotionaler und unterhaltender Intensität). Während in der ersten Staffel von WHITE LOTUS die Brüche in der Kommunikation und die Kluft zwischen eigenem Anspruch und Realität in der aufgeklärten, dynamischen, gehobenen Mittelschicht auf höchst unterhaltsame Art thematisiert wurden, geht es hier um das eine: Sex. Aber auch um alles drum rum. Und selbst wenn hier viele Klischees zu Sex und Beziehungen einfach gut variiert werden, gibt es auch ein paar Dinge, die so noch nie gesagt wurden. Aus dem einfachen Grund, weil auch diese Staffel ganz gezielt die moderne soziokulturelle mittlere Oberschicht porträtiert.

Die Ferienresortkette „White Lotus“ hat auch einen Ableger in Sizilien – wohin es die zweite Staffel verschlägt. Eine Leiche, die im Meer schwimmt. Die vehemente, italienische Resortleiterin Valentina (Sabrina Impacciatore), die erst nur bemerkt: „The ocean is not hotel property.“ Aber natürlich gibt‘s die Verbindung zum Resort. Und wer die erste Staffel kennt, weiß: Der oder die Tote wird uns während der unterhaltsamen 7 Folgen eigentlich kaum interessieren. Mit der Serie WHITE LOTUS haben wir es mit einer seltsamen Art von Krimi zu tun, die eigentlich gar kein Krimi ist. Am Anfang der ersten Folge wird mit einem Mord angeteast, doch erst am Ende der letzten Folge erhält dieser Todesfall wieder Relevanz und wir erfahren, wer auf welche Art oder durch wen gestorben ist. Im Sinne von: Betrifft uns Zuschauer eigentlich nicht, doch gut, haben wir‘s erfahren. Die Serie hält uns damit den Spiegel vor und zeigt, dass wir kaum besser sind als die Gesellschaftsschicht, über die wir uns gerade so prächtig amüsiert haben. Amüsement geht über Mord.

Die seltsame Struktur, am Mord völlig desinteressiert, steht völlig konträr zur Struktur des immer noch hochpopulären Serienmörder-Genres, das davon lebt, das in einigermaßen hoher Frequenz Morde oder Fast-Morde geschehen. (Zeigt uns das Serial-Killer-Genre nicht dasselbe auf entgegengesetzte Art: Wir müssen ständig an Morde erinnert werden, damit sie uns auch tatsächlich beschäftigen?)

Mit einer Ausnahme lernen wir hier alles neue Besucher kennen. Die Ausnahme bildet die vordergründig liebenswerte, aber – ohne dass sie’s zu realisieren scheint – unsäglich egomane Tanya (Jennifer Coolidge), die ihren Einst-Lover-jetzt-Ehemann Greg (John Gries) mit ins Resort führt. Keine Beziehung, die auf Wolken gebettet ist. Auch im Bett funkt‘s nicht so richtig. Doch als Greg eines zufälligen Tags plötzlich auf Tanyas kitschig-romantische Träume eingeht und sie sogar noch übertrifft, wird gleich danach deutlich, dass der Mann eine Hidden Agenda im Hinterkopf hat. Geheime Telefongespräche, eine plötzliche Abreise – und Tanya ist allein. Sie, die nicht allein sein kann. Sofort beansprucht sie wieder ihre mitgeschleppte junge Assistentin Portia (Haley Lu Richardson) zeitlich über Gebühr, die sich doch gerade erst mit dem junge Albie (Adam DiMarco) angefreundet hat. Die zwei sind drauf und dran, in ein modernes, respektvolles, unsexistisches Liebesverhältnis hineinzuschlittern, als Tanya eine verrückte Gruppe superreicher Homosexueller rund um den Briten Quentin (Tom Hollander) kennen lernt und sich vieles ändert. Auch für Portia. Das Leben wird zu schön, um wahr zu sein, doch manchmal poppt die Frage auf: Wie finanzieren sich diese alternden Lebemänner eigentlich? Ebenso wird auf subtile Weise auch das Thema angesprochen, inwiefern es lediglich egoman ist, dass Homosexuelle sich gern mit fülligen Frauen umgeben.

Albie ist das aufgeklärte, jüngste Mitglied einer amerikanischen Großvater-Vater-Sohn-Männergruppe, die ihre Wurzeln in Sizilien erkunden will, und doch eigentlich ständig mit ihren Trieben beschäftigt ist – vor allem die älteren beiden. Großvater Bert (F. Murrray Abraham) kann es trotz fortgeschrittenem Alter nicht lassen, keine Bedienstete ohne anzügliche Bemerkung an sich vorbeigehen zu lassen. Was Bert als Flirten versteht, ist für Albie natürlich ein totales NoGo und der junge Mann ist voller Ekel über die Idee, dass Frauen überhaupt noch das schrumplige Glied eines so alten Mannes anschauen sollten. Was den alten Herrn aber zum goldenen Satz über Penisse verleitet: „It’s not like it was ever beautiful anyway. It’s a penis, not a sunset.“ Das größte Problem der drei hat allerdings Albies Vater Dominic (Michael Imperioli), der von seiner Ehefrau nicht nach Sizilien begleitet wurde, weil er seine Untreue neulich wieder unter Beweis stellte. Der Arme ist in gewisser Weise sexsüchtig und erkennt sofort die beiden jungen italienischen Prostituierten, die vor dem Resort herumlungern, als das, was sie für ihn sein könnten: Heimliche Geliebte in den Nächten seines Aufenthalts. So einfach wird’s schon nach der ersten Nacht nicht.

Der sexuelle Wildwuchs wird erweitert durch die Ferien zweier alter Schulfreunde, deren Frauen sich noch nicht kennen und sich nicht mögen werden. Der gutaussehende Financier Cameron (Theo James) und seine ebenso hübsche Frau Daphne (Megann Fahy) leben glücklich in einer Welt, in der sie sich Treue vormachen und tiefe Gespräche sich nicht in den Vordergrund drängen. Die Ehefrau von Camerons fleißigem Nerd-Freund Ethan (Will Sharpe), die Anwältin Harper (Aubrey Plaza), hat das Mehr-Schein-als-Treue-Paar schnell auf dem Kieker, doch die Wechselwirkungen von Macht, Standesbewusstsein, Intelligenz und Geld schütteln die Verhältnisse doch gehörig durcheinander. Schmerzliche Beziehungs-Szenen folgen, insbesondere, wenn auch noch die beiden Prostituierten ins Spiel kommen.

Wem das alles zu sehr nach einem amourösen Verwirrspiel des späten Woody Allen klingt, der liegt nicht ganz falsch (was die inspirierten Dialoge betrifft), aber auch total falsch. Auch die zweite Staffel von WHITE LOTUS ist voller mitfühlendem und gleichzeitig beißendem Sarkasmus und voller Wahrheiten aus dem Leben der oberen Mittelschicht, dass es phasenweise beinahe schmerzt.

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The White Lotus (2. Staffel), USA 2022 | Creator: Mike White | Regie & Drehbuch: Mike White | Kamera: Xavier Grobet, Musik: Kim Neundorf | Darsteller: Jennifer Coolidge, F. Murray Abraham, Meghann Fahy, Tom Hollander, Jon Gries, Adam DiMarco, Michael Imperioli, Aubrey Plaza, Beatrice Granno, Sabrina Impacciatore, u.a. | Laufzeit: 7 x 55-65 min.