Snowpiercer

Snowpiercer

Von Michael Kathe

Bong Joon-Ho analysiert die Gesellschaft und die Probleme der Gesellschaft. War PARASITE eine Studie über das Verhältnis zweier unterklassiger Familien, die sich parasitär an eine reiche Familie andocken können, so liefert das sechs Jahre früher entstandene Werk SNOWPIERCER als surrealer Action-SciFi-Film eine Studie über das Funktionieren einer (geschrumpften) Weltgemeinschaft und der Technologie. Schon die Grundanlage des Films ist irrwitzig, aber aufschlussreich. Die Klimaerwärmung wird mit Geoengineering aufgehalten, mit einem Mittel mit dem Kürzel CW-7, und – durch menschliches Versagen – in ihr Gegenteil verkehrt. Die Erde findet sich in einer tiefen Eiszeit wieder. Doch auch hier sichert die Technik noch einmal das Überleben der Rasse: Zum Glück hat der einst belächelte Milliardär Wilford (Ed Harris) eine Eisenbahnstrecke gebaut, die einen gigantischen Kreis von Europa über Sibirien, durch China, Indien bis wieder nach Europa zieht und die höchster Hitze wie tiefster Kälte gleichermaßen trotzt. Angetrieben von einem Perpetuum Mobile, der vergötterten „ewigen Maschine“, rast der unglaublich lange Zug mit über 1000 Menschen seit 17 Jahren durch die tote, verschneite Erde – „Rattling Ark“ wird er am Anfang des Films genannt. Wie in einem Hamsterrad zieht die Menschheit ihre Kreise in der selber verursachten Naturkatastrophe.

Im Innern des Zugs gibt es eine strenge Unterteilung nach Gesellschaftsschichten. Hinten sind die Ärmsten. Sie werden von Soldaten in Schach gehalten und erhalten schwarze, schlabbrige Nahrungsblöcke aus Proteinen und sind sonst auf sich allein gestellt. Dass Curtis (Chris Evans) und Gilliam (John Hurt) einen Aufstand planen ist nur folgerichtig, betrachtet man die unmenschlichen Bedingungen, unter denen da gelebt wird. Enge, Schmutz, Mangelernährung.

Mason, eine Funktionärin im Pelz (Tilda Swinton), erklärt ihnen die „ewige Ordnung“, die „auf der Maschine“ beruht (Technologie als Gott): ein Schuh gehört an die Füße, also unten – deshalb müssten die Armen nicht meinen, sie gehörten plötzlich auf den Kopf. Zuwiderhandlungen gegen die „ewige Ordnung“ werden mit Grausamkeit nicht unter einem abgehauenen Arm bestraft. Und manchmal kommt eine seltsam-aristokratische Dame mit einem Messband nach hinten und trennt möglichst kleine Kinder von ihren Eltern.

Curtis findet derweil immer wieder geheime Botschaften in seinen Proteinbriketts und plant eine Revolution, um in vordere Wagengefilde vorzustoßen. Wie das ihm und seinen Frauen und Mannen gelingt, mag actionmäßig etwas voraussehbar sein, doch die Entdeckungsreise durch immer neue Zugabteile ist faszinierend. Auf die Soldaten folgen die Metzger, die mit ihren Beilen üblicherweise Fisch und Fleisch zerkleinern (weiter vorne werden eben keine Proteinblocks verzehrt). Es geht durch Wintergärten voller Nutzpflanzen, einem wunderbaren Aquariumwagen, in dem die Fische nach genauen Zeit- und Vermehrungsplanungen zum Verzehr gefischt werden. Es folgt ein Schulwagen, mit einer quasi-religiösen Lehrerin, die uns den großen Wilford so anpreist, wie das die Kirchen in den USA tun. Es folgen Wagen mit Schneider-, Coiffeur- oder Spitalabteilen, dann ein Partywagen und ein Chill-out-Drogenwagen. Spätestens hier sind wir in der ersten Welt angekommen. Während die hinteren Bewohner ums Überleben kämpfen, der Zwischenteil vor allem die Arbeiten erledigt von der Aufrechterhaltung der Ordnung (Soldaten) bis zu den Handwerkerjobs für die Reichen, versuchen sich Menschen aus der ersten Welt ihre Tristesse mit Drogen und Exzessen wegzuhauen.

Doch Curtis kommt noch weiter, bis ganz vorne in die Lokomotive. Dort findet er sowohl Wilford wie auch die „ewige Maschine“, den unglaublichen Antrieb des Zugs. Was Wilford ihm nun zu erzählen hat, erinnert stark an das Ending von THE WIZARD OF OZ. Wilford ist zwar keine Schießbudenfigur, die sich zum großen Gott hochstilisiert, aber er enthüllt ebenso einen Masterplan darüber, welche Menschen zu mehr als nur zum Dienen geboren sind. Wilford repräsentiert diese 0,1% Superreiche, von denen wir immer öfter wieder in politischen Diskussionen hören, die einfach nur sagenhaft reich sind und mit ihrem Geld den Lauf der Welt bestimmen.

Mit der Figur des Wilford nimmt Bong Joon-Ho einen Milliardär zum Retter weniger Menschen einerseits, aber auch einen, der völlig überzeugt ist von einem klaren Klassensystem. Nicht unähnlich der Wirklichkeit: Obwohl Bill Gates, Jeff Bezos, Elon Musk oder (von der alten Garde) Richard Branson alles „gesellschaftlich bewusste“ Milliardäre sind, neigen sie doch bereits aus Egogründen zu einem undemokratischen Machtmodell. In diesem Survival-Train macht der Herr Milliardär schließlich Kinder zu Opfern: Nur Kleinkinder (unter 5) haben die passende Körpergröße, damit sie vorne in der Lokomotive unter engsten Verhältnissen jahrelang zur Unterstützung der „ewigen Maschine“ arbeiten können. Fazit: Die göttliche technische Maschine gaukelt zum einen also nur vor, dass sie ein Perpetuum Mobile sei, und zum andern braucht es dafür Kinderopfer – und da gleicht sie wiederum modernen Firmen, die oft sehr kaschiert in der dritten Produktionskette auf Kinderarbeit aufbauen.

Ah ja, was übrigens fehlt, ist der Mittelstand. Gibt‘s den noch?

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Snowpiercer | Südkorea / USA / Frankreich / Tschechien 2013 | Regie: Bong Joon-Ho | Drehbuch: Bong Joon-Ho, Kelly Masterson | Darsteller: Chris Evans, Song Kang-ho, Ko Ah-seong, Jamie Bell, Tilda Swinton, John Hurt, Ed Harris u.a. | Laufzeit: 126 min.