Love and 50 Megatons

Love and 50 Megatons

Von Rolf Giesen

Im Januar 1964, ein gutes Jahr nach dem Ende der Kubakrise, die in einen Atomkrieg zu eskalieren drohte, startete ein Film mit dem Titel DR. STRANGELOVE und dem verstörenden Untertitel HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB. Stanley Kubrick, der Regisseur, und sein Co-Autor Terry Southern entschieden, dass die Vorlage, der Roman RED ALERT von Peter George (in der Bundesrepublik 1961 als Utopia Zukunftsroman Nr. 300 fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit erschienen), nur als Realsatire verfilmt werden könne: als Alptraumkomödie über durchgeknallte Generäle, deren Wahlspruch Peace on Earth POE abgekürzt wird, über einen russischen Botschafter namens DeSadesky und einen Major T. J. „King“ Kong, der die Bombe über der UdSSR abwirft, worauf unweigerlich die russische Weltuntergangsmaschine in Betrieb gesetzt wird, von der bis dahin niemand wusste.

Inzwischen hat der Irrsinn, so scheint es, auf allen Seiten Schule gemacht. Die Realität hat die Karikaturen der Filmgeschichte sogar noch überholt und Widersprüche hervorgebracht, die sogar Orwell verwirrt hätten. Einstige Pazifisten rasseln dreist mit dem Säbel, immer mehr Waffen retten auf einmal Menschenleben statt sie zu vernichten, ein Schauspieler und ein Boxer im Kampf gegen den roten Todesstern, der jetzt den Kreml eines neuen Imperators der Geheimdienst-Mafia krönt. Auf ihn mit Gebrüll! Diplomatie scheint in die Hände von Amateuren geraten oder ganz außer Kraft gesetzt. Und es gibt immer welche, die kräftig verdienen. Während Europa in den Schlamassel rutscht, profitieren à la longue ganz andere Mächte.

Kubricks Film ist erstaunlich aktuell geblieben und hat doch keinen Nachfolger gefunden. Doch, da ist ein langer Kurzfilm (oder kurzer Langfilm, je nach Sichtweise), voll ingeniöser konventioneller und digitaler Effekte, der eine starke Parallele aufweist, eine Abschlussarbeit der Filmakademie Baden-Württemberg, die Anfang 2019 unter der Regie von Cornelius Schick entstand: LOVE AND 50 MEGATONS. In einer fiktiven Welt, die durch eine Mauer getrennt ist, verliebt sich Paul in Mary. Das mag ja noch angehen, aber diese Mary wiegt 110 Tonnen und ist 30 Meter hoch: eine Interkontinentalrakete mit nuklearem Sprengkopf… Hier ist Kubricks Untertitel plötzlich wahr geworden: WIE ICH LERNTE, DIE BOMBE ZU LIEBEN.

Der 45-Minuten-Film passt in unsere Zeit, wie die Faust aufs Auge. Bei nochmaliger Überarbeitung des Drehbuchs und ausgefeilter Rollenprofile könnte aus der Idee sogar ein guter deutscher Kinofilm werden, in einer fortgesetzten Reihe Krieg und Frieden.

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Filmakademie Baden-Württemberg in Co-Produktion mit Südwestfunk SWR und in Zusammenarbeit mit Arte Deutschland TV GmbH | Regie: Cornelius Schick | Drehbuch: Janosch Kosack | VFX: Denis Krez | Darsteller: Hendrik Heutmann, Michael Pink, Martina Schöne-Radunski, Barbara Stoll | Format: DCP | 45 Min.